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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Wirth, Robert: Das Gefühlsurtheil in der Kunst
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Meyer-Schöneberg, H.: Das Jubiläum der "Fliegenden Blätter"
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0191

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Nr. U

Die Nun st-Halle.

Eindrücken der Außenwelt auch sonst empfindet. Auch
äußerlich wird die innere Wirkung spürbar durch Miene
und Blick, welche die innere Spannung und Hingabe
verrathen. Nicht mit Unrecht hat man daher die aller-
dings etwas materialistisch anmuthende Behauptung
aufgestellt, die Betrachtung, das Studium von Kunst-
werken, ihr Genuß fördere auch das leibliche Leben.
Auch das Gefühlsurtheil kann gebildet und ver-
feinert werden. Ls läutert sich aber durch die ver-
tiefte Betrachtung der Natur, vor allem aber durch den
Umfang der Bildung des Beschauers überhaupt. So
kommt es, daß Kunstwerke, die das Gefühl in einer
früheren Lebensperiode befriedigten oder rührten, später
gleichgültig lassen. Aus der interessirten Schau vieler
und zahlreicher Kunstwerke von Bedeutung, aus ihrem
vergleichenden Studium erwächst allmählich eine Läute-
rung, eine Sicherheit des Gefühls für den Kunstwerth,
nicht aber, wie man daneben vermuthen könnte, eine
Abstumpfung. Allerdings: Je mehr Jemand gute
Sachen gesehen hat, desto weniger wird er von schlechten
angezogen; es ist dies aber eine Erhöhung der Vor-
nehmheit des künstlerischen Empfindens. „Kluge"
Künstler, die für den Markt, arbeiten, vermeiden eine
Störung des gemeinen Gefühlsurtheils und der
Empfindung der Menge; sie begnügen sich bei der Be-
urtheilung ihrer Werke mit den wenigen verbrauchten
Prädikaten, durch welche die Menge ihr Gefühlsurtheil
äußert, als da sind: hübsch, reißend, schön.
Man ist geneigt, das Gefühlsurtheil, als das
primitivste Urtheil, kritiklos zu nennen. Und doch bleibt
es das natürlichste Urtheil von allen. Das volks-
urtheil, das Urtheil des „gemeinen" Mannes, ist vor-
wiegend nur Gefühlsurtheil. Es gleicht hierin dem
Urtheile des Kindes und dem der Frau. Man hat
heute von der allgemeinen Psychologie die Psychologie
des Kindes abgezweigt, schon liegen mehrere Jahr-
gänge einer „Zeitschrift für Kinderforschung" vor, wie
man denn auch nach dem exakten Zuge, der zur Zeit
durch diese Wissenschaft geht, der Thierseelenkunde viel
mehr Aufmerksamkeit widmet — es wäre also sicher-
lich nicht ohne Reiz, wenn man bei einer öffentlichen
Kunstausstellung, an denen ja nie Mangel ist, in ge-
eigneter Form Erhebungen vornehmen wollte, welche
Kunstwerke dem Kinde, dem Knaben und dem Mädchen
desselben Alters, welche daneben dem Erwachsenen aus
dem Volke am meisten gefallen. Den Ausschlag würde
neben dem gewohnten Vorstellungskreise des Beschauers
das Gefühlsurtheil geben. Ich hebe hierbei hervor,
daß, wenn ein Kunstwerk dem Anschauungskreise oder
dem Bildungsstandxunkte des volksthümlichen Beschauers
nicht entspricht, sein Empfinden gegenüber dem Werke
wohl auf Bahnen abgelenkt werden kann, die der Absicht
des Künstlers ganz fern lagen, ja ihr geradezu wider-
sprechen. Ein Anekdoton beweise es: Ein biederer
Arbeiter sieht sich das Gemälde von Ioh. Friedr. Engel
in München: Bockbeinchens Unglückstag in der Holz-
schnittwiedergabe eines Familienjournals an. Das Bild

f63

stellt einen angelnden Faunenjungen dar, der die zer-
rissene Angelschnur aus dem Wasser ziehen muß und
erbost darüber greint. Der Beschauer, offenbar ein
Familienvater, ist über die vermeintliche Mißgeburt mit
den Ziegenfüßen ganz entsetzt, und bedauert, indem ihm
vor Mitleid die Thränen in die Augen treten, dessen
arme Eltern! Das Gefühl des Humors, das hier neben
dem künstlerischen Werthgefühle der Künstler erwecken
wollte, wurde hier gänzlich unterdrückt, weil die Bild-
figur, als importirtes Fremdgut, in ihrer Bedeutung
dem Vorstellungskreise des Beschauers vollständig
fern lag.
Auch der Kritiker, der mit Studium und Uebung
arbeitet, soll nicht der Stimme seines Herzens Schweigen
gebieten. Fühle vor einem Kunstwerke, rede nicht!
rede wenigstens nur, was du fühlst! Lin echtes Kunst-
werk zwingt ja zum Schweigen, es überwältigt. Nach
den Herzensergießungen eines kunstliebenden Kloster-
bruders von Wackenroder aus dem Jahre ist das
einzige wahre Verhältniß zur Kunst Andacht. Lin Kunst-
werk kann mein Erstaunen erregen wie ein Kunststück,
der Künstler kann mir als großer Könner imxoniren,
aber nur ein Schöpfer kann in mir die Wärme der
Empfindung, den „rührenden Enthusiasmus" entzünden,
und darauf kommt es an. Freilich: wessen Empfindung,
wessen Gefühlsurtheil soll denn nun maßgebend sein?
Der große Künstler, das Genie rührt zunächst die
wenigsten Menschen. Getrost: Kultur ist Feinfühligkeit
und die Feinfühligkeit wächst stetig bei jedem Volke und
so erobert das echte Kunstwerk schließlich alle Herzen!


Zar Mläum Ser „MegenSen Mtter".
Gedenkblatt von H. Meyer-Schöneberg.
(Hierzu die Abbildung.)
s(Än unseren Tagen, da die Illustration immer weitere
Kreise sich erobert und in einer weise zur An-
wendung gelangt, die man noch vor einem Jahrzehnt
kaum geahnt — in einer Zeit, da wir von illustrirten
Publikationen jeden Genres oft geradezu überschwemmt
werden und man ganz gut von einer „Illustrations-
sucht", die zum Theil zu einer „Illustrationswuth" aus-
geartet ist, reden kann, berührt es um so angenehmer,
in diesem bewegten Treiben ein ruhiges Fleckchen zu
finden, an dem die wogen dieses Drängens und
Treibens stets abgeprallt sind. Hier kann das Auge
ruhen und sich am Scheine erfreuen, das Gemüth
findet seine Nahrung, und für Aufheiterung und Be-
lustigung sorgt ein goldechter, deutscher Humor. Das
sind die weit über Deutschlands Grenzen bekannten und
allgemein beliebten „Fliegenden Blätter", die in
diesen Wochen ihre öOOOste Nümmer in alle Welt
 
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