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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Kunstausstellungen der Berliner Secession
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Niessen, Johannes: Düsseldorfer Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0248

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Die Kunst- l) a ! l

Nr.

2^

aber erst heute, wo ich den Aufenthalt in ihren Kunst-
sälen gern erträglich finde, ihr wahres Mesen offenbart?
Werden ihre litterarischen Parteigänger, die damals
schon von den besten Ausstellungen sprachen, die man
in Deutschland bisher gesehen, an der schwindender:
Rohheit der sezessionistischen Arbeiten den verfall des
künstlerischen Programms ihrer Freunde konstatiren?
Oder werden die wackeren Derrn den deutschen Sprach-
schatz um neue, noch nie gehörte und gelesene Aus-
drücke überschwänglichster Begeisterung bereichern
müssen? Zumal das gegenwärtige Resultat ohne die
vielheredete Münchener Mitwirkung gelungen ist. . .
Freilich, indem so die Sezession in den Augen ernsthafter
Leute gewann, hat sie unter ihren bisherigen Anhängern
sicherlich manchen Feind gefunden: es kann eben
Niemand, weder im alten noch in: neuen Lager, die
Abweisung durch eine gestrenge Jury ertragen. So
ganz ohne München xräsentirt sich übrigens die Aus-
stellung nicht. Ist doch die „Scholle" Münchener
Gewächs; und außerdem sind noch ein paar Unabhängige
von der Isar, voran der Phantast Karl Strathmann,
erschienen, die sich nach dem bekannten Vorgänge nicht
veranlaßt fanden, sich nut den Uebrigen solidarisch zu
erklären. Bei einer so kleinen Veranstaltung (220Nummern)
spielt schon diese Betheiligung eine Rolle, fehlen doch
Düsseldorf u. a. deutsche Kunstorte sogar vollständig.
Das ganze Ausland ist mit einem Viertel, Berlin allein
mit einem Drittel der Künstler vertreten. Neben den
Franzosen kommen eigentlich nur noch einige polländer
mit Israels sen. an der Spitze und dann die große
Leinwand des Russen Malsavine „Das Lachen" in
Betracht, die letztere indeß nicht als Neuheit, da sie
auf der pariser Weltausstellung von ss>00 stark in die
Augen fiel.
Ich stehe nicht an zu bekennen, daß der Berliner
Gruppe, die, nach den jüngsten Schwächungen, durch
Zuzug einiger süddeutscher Maler — Slevogt, Torinch,
Trübner — wieder frische Kraft gewann, der Löwen-
antheil an dein diesmaligen Erfolge gebührt.
L. von pofmann und Torinth in erster Reihe,
dann besonders Liebermann, W. Trübner, PH. Frank,
Paul Baum, D^iurich und Ulrich pübner, Leistikow,
Slevogt, sichern mit ihren Arbeiten der Ausstellung die
Theilnahme auch des nicht L priori begeisterten
Publikums. Frägt man aber nach den wcrthvollsten
Schöpfungen, dann müssen zunächst die der großen
Todten genannt werden, der Segantini, Leibl, Manet,
an deren künstlerischen Trust nur weniges sonst heran-
reicht. Vor allein giebt Segantini mit seinem gewal-
tigen Triptychon: Natur, Leben und Tod — dein
Ganzen eine weit über dessen Maß hinausreichende
Ouvertüre, dein Eintrittsraum, der früher immer eine
Art Kuriositätenkammer war, eine feierliche Wirkung,
die nur von echter, tiefer Kunst ausgeht, wie man
sie in diesen Sezessionsausstellungen kaum jemals an-
getroffen hat.
Segantini-Ausstellungen giebt's heule überall, so
viele, daß man sich ihrer erwehren möchte, wenn inan
nicht mit seinem perzen dabei in Konflikt käme. Nie-
mals aber vermag sich ein Auge dem Anblick dieser
Engadinschilderungen theilnahmlos zu entziehen. Mit
solchem Fleiß des Malens in eigenthümlicher technischer
Art hat sich noch niemals eine so großzügige An-
schauung der Landschaft vereinigt. Natur, Leben und
Tod sind von dem Künstler zwar so schlicht aufgefaßt,
wie sie sich im Geiste der bäuerlichen Bewohner jener
einsamen bsöhenwelt spiegeln, denn Leben ist hier die
Fruchtbarkeit ländlicher Arbeit, Tod ist die Ruhe der
in Schnee eingehüllten Natur; aber der schwermüthige

Zug, der selbst das Glück sommerlicher Schönheit und
der Mutterliebe auf diesen drei Bildern dämpft, zeigt
ebenso sehr persönliches Gepräge wie Segantinis Malart.
An die ehemalige Kuriositätenkammer erinnern noch
die beiden seitwärts gehängten Bilder des Genfers
F. Lsodler: die „Poesie" und der „Frühling", der, ein
am Wiesenboden hockender Knabe, von einem daneben
knieenden Mädchen blöde angeäugt wird. Auch zwei
Plastiken des großen Auguste Rodin: „Die pand
Gottes" und „Mond und Erde" führen uns auf das
Gebiet des Seltsamen und Abstrusen. Beide zierliche
Gruppen je eines Menschenpaares, das sich in seltsamer
Verschlingung und sanfter Schwärmerei küssend an-
einanderschmiegt, schälen sich nur unvollständig aus
einem rohen Marmorblock; das eine paar ruht
gleichzeitig auf einer in Mitten des Blockes wuchtig
heraustretenden Riesenhand, der geöffneten „bsand
Gottes."
Von der: Bildern L. von Dafmanns im bsaupt-
saale des Gebäudes ist die große, kräftig kolorirte
Leinwand des Sündenfalles zweifellos eine Komposition
von poetischem Gehalt; die lichte ehrwürdige Er-
scheinung Jehovas blickt väterlich mitleidig auf das
strafwürdige Menschenpaar, dessen Reue indeß mehr
drastisch als überzeugend ausgedrückt ist. Wenigstens möchte
ich nicht wünschen, daß die platt auf den Bauch gelegte
Gestalt des Mannes die berühmten historischen Gestalten
Adams seit Masaccios alter Florentiner Leistung aus
dem Gedächniß der Kunstfreunde verdränge. Die kleine
„Europa", die nackt auf dem mächtigen Rücken ihres
frisirten Stieres sitzt, hat etwas von Stuck'scher Froh-
launigkeit. Ein echter bsofmann, geistig wie koloristisch,
ist dagegen die sich zum Bade rüstende „Leda" mit dem
ihr erst entgegenschwimmenden Schwane, zu dessen Ehren
sich die sonnige Frühlingsnatur wie im Märchen mit
bunten Blättern geschmückt hat. Torinth hat auf aus-
gedehnter Fläche einen Stier in gerader Längenansicht
mit einein Mädchen gemalt, welches das Thier an einein
Faden bei der Nase und sich selbst das Kleid hält.
So frappant die Lösung der Idee wirkt, ist diese kaum
noch originell zu nennen; und so lebensgetreu und kraft-
voll gemalt der Stier auch vor uns steht, ein Potterscher
Stier an Schlichtheit und Kühnheit der Darstellung, in
Belauschung der Thierseele ist er noch lange nicht. Das
röthlich-vioiette Inkarnat, das Torinth seinen Nacklfiguren
zu geben pflegt, bedingt auch den Gesammtton seiner
Salome-Dalbfigur sowie des Bildes: Odysseus kämpft
mit dem Bettler Iros vor den schwelgenden Freiern.
In dieser burlesken Kampfesszene des bilden, in Gestalt
eines greisen Bettlers, mit dem frechen Unhold ist sicherlich
keine Travestie der homerischen Schilderung beabsichtigt
worden, denn deutlicher ist tückische Wuth auf der einen
und spielend offenbarte Ueberlegenheit auf der anderen
Seite im Sinne der Dichtung kann: zu verbildlichen.
G. G.
(Ein 2. Artikel folgt.)


DörrelSoffer Xiinrtbnej.
Von I. I. Nießcn.
„FreieVereinigungDüsseIdorfer Künstler "
hat in diesem Jahre ihre XII. Iahresausstellung
in den Räumen der städtischen Kunsthalle. Eine
staltliche Anzahl von Werken ist zusammengebracht,
 
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