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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Esswein, Hermann; Neumann, Ernst: Der Kulturwerth der modernen künstlerischen Bestrebungen
DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Der Salon der "Artistes Français", [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0371

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Nr. 2(

Die Kunst-Halle.

323

Ziel, auf das er mit Absicht und Stetigkeit losarbeitete.
Absolute wirklichkeitstreue, ungeschminkte Ehrlich-
keit vor der Natur und vor den Neuformen des
modernen Lebens war die einzige Forderung, die er
an sich stellte, wo der Naturalist nicht mehr anstrebte,
als in dieser Forderung enthalten ist, wo er sich darauf
beschränkte, rein dem Gegenstände nach neue Lebens-
erscheinungen schlicht abzubilden, oder wo er in der
Landschaft anstatt gesucht pittoreske Kompositionen zu
liefern, ein Stück Natur einfach und photographisch
getreu abspiegelte, dort diente er, wie wir sehen werden,
der Entwicklung, schuf er im Sinne der Kultur, die
ihrem Wesen nach Fortschritt, Entwicklung ist.
wo er jedoch über die obengenannte Forderung
hinausging, dort wurde er sofort zum Tendenznatura-
listen, zum Künstler, der sich in ethische, soziale Probleme
einmischte, zu deren Lösung er nicht berufen war.
Der Tendenznaturalist, wie jeder Tendenzkünstler
überhaupt, wagte sich auf ein geistiges Gebiet, dessen
außerkünstlerischen Zwecken er sich nur zum Nachtheile des
Kulturwerthes seiner Kunst unterordnen konnte. Mit
vollem Rechte wird daher vom denkenden Künstler jede
Art Malerei abgelehnt, die „literarisch" ist, d. h. sich
in die Gefolgschaft außerkünstlerischer geistiger Strömungen
begeben hat, anstatt diesen Strömungen so gut wie den
Formen und Farben schauend, beobachtend, abwartend
gegenüber zu stehen. Nicht den „literarischen" Natura-
lismus in der bildenden Kunst erkennen wir als heute kultur-
werthig an, sondern den malerischen. Genau wie hier
die naturalistische Produktion in Dokumenten mit Ent-
wicklungswerth und in solche ohne Lntwicklungswerth
geschieden wurde, seien nun auch die impressionistischen
Dokumente in zwei entsprechende Gruppen geschieden.
Die entwicklungswerthige sei zuerst besprochen und als
entwicklungswerthig nachgewiesen.
Das kulturwerthige Dokument, an welches der
Impressionismus anknüpfen konnte, war die schlichte
wirklichkeitstreue Milieustudie, der Ausschnitt aus irgend
einem Milieu des modernen Lebens. Hier allein konnte
seine differenzirende, weiterführende Arbeit einsetzen, nicht
bei jener Art von naturalistischen Werken, die durch
tendenziösen Inhalt eine Bedeutung vortäuschten, die
auf Grund rein künstlerischer Mittel noch nicht erreichbar
war. Der Impressionist, welcher von der Absicht aus-
ging, durch seine schöpferische Thätigkeit die Wirklich-
keit im Bilde zu potenziren, sie künstlerisch wirken zu
lassen, ohne dabei an außerkünstlerische Empfindungs-
sphären (soziales Mitleid rc.) zu appelliren, erkannte,
daß seiner Absicht nur durch eine weitgehende Diffe-
renzirung des Auges gedient werden konnte. Es galt
nun, möchte man sagen, nicht mehr das gegenständlich
Neue darzustellen, sondern das Gegenständliche neu, auf
eine neue der differenzirteren Persönlichkeit entsprechende
weise. Das Licht war als die Ursache der relativen
Natur der Form- und Farbeneindrücke erkannt, und
schon in den Konsequenzen, die aus dieser Erkenntniß
gezogen wurden, schied sich der Impressionismus in

einen, der, kulturwerthig, zu neuen Zielen führte, und
in einen anderen, der heute planlos in einer immer
seichter und affektirter werdenden Produktion verläuft.
Line psychologische Zwischenbemerkung ist hier
vielleicht am Platze. Nicht diejenigen Geister sind für
die künstlerische und kulturelle Entwicklung die frucht-
baren, welche über ein steriles Streben nach dem
„Tiefsten und Letzten" niemals hinaus kommen. Das
Streben der Naturalisten nach der unmittelbaren Wieder-
gabe der Wirklichkeit war ein solches Absolutum, ein
solches „Letztes", eines jener Ziele, deren faszinirender und
lähmender Wirkung schon so manche tüchtige Kraft
vorzeitig erlegen ist. wer an einem naturalistischen
Intransigententhum nicht scheiterte, dem blieben nur zwei
Wege: Der Abweg in eine geistig-sterile, nach außen
hin effektvolle Tendenzkunst und der richtige weg, der
zu einer Ausbildung des Auges, zur allmählichen Vervoll-
kommnung spezifischer malerischer Mittel, zum Impressio-
nismus führte. Sich im rechten Augenblicke von der
Hypnose durch die absoluten Probleme loszureißen, sich
auf die Relativität aller Betätigungen, also auch der
künstlerischen im richtigen Momente zu besinnen, dies
charakterisirt das Wesen des entwicklungsfähigen Künstlers,
der allein im Stande ist, kulturwerthig zu arbeiten.

(Schluß folgt.)


Zer 5slon öer „Mrter frsnssk«
von Karl Lugen Schmidt, Paris.

ielleicht irre ich mich, aber es kommt mir vor,
als ob der Salon der ^rti8ts8 krMtz3.i8 selten
so langweilig und eintönig gewesen wäre wie
in diesem Jahre, wenn Henri Martin nicht wäre, so
könnte man die ganze hier gezeigte Malerei als ein
ödes Meer ohne Inseln bezeichnen. Natürlich giebt es
eine ganze Anzahl tüchtige und löbliche Arbeiten, aber
das genügt nicht unter zweitausend Bildern. Da darf
man sich nicht mit den hundert oder zweihundert hon-
netten Sternen zufriedengeben, sondern eine wirkliche
Sonne oder zum mindesten ein Mond ist nöthig, um durch
Hellen Glanz die Monotonie zu vertreiben. An dieser
Sonne und auch an dem Monde fehlt es, selbst zuge-
geben, daß Henri Martin in diesem Jahre mit einer
großen und interessanten Arbeit erschienen ist, die in
seinem Lebenswerke einen bedeutenden Platz einnehmen
wird.
Der ältere Salon ist der Salon der „großen Ma-
schinen" und der offiziellen Dekorations- und Historien-
malerei. Es gehört sich deshalb, daß wir mit dieser
Gattung der Kunst beginnen. Und da haben wir auch
gleich den Tlou der ganzen Ausstellung, das große
Dreibild von Henri Martin, den man seit dem Tode
von puvis de Thavannes als den größten dekorativen
Meister Frankreichs ansehen kann. Das Mittelbild stellt
eine große wiese dar, auf der einige Pappeln und
 
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