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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Collner: Grenzen der Malerei und Plastik
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Der Fall "Reinhold Begas"
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0155

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Nr. 9

Die Kunst - Halle.

Augenblick dargestellt werden könne, und dieser nicht
blos erblickt, sondern betrachtet, eingehend und wieder-
holt betrachtet werden soll. Denn nur dasjenige allein
ist sruchtbar, was der Einbildungskraft freies Spiel läßt,
und je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir zu sehen
glauben. In dem ganzen Erfolg eines Affekts ist aber
kein Augenblick, der diesen Vortheil weniger hat als
die höchste Staffel desselben. Ueber ihr ist weiter nichts,
und dem Auge das Aeußerste zeigen, heißt der Phantasie
die Flügel binden und sie nöthigen, da sie über den
sinnlichen Eindruck nicht hinaus kann, sich unter ihm
mit schwächeren Bildern zu beschäftigen."
Hat also, wie man sieht, die Plastik in dieser Be-
ziehung einen recht schwierigen Stand, so hat sie doch
andererseits einen nicht unwichtigen Vorzug des Reich-
thums vor der Malerei voraus, nämlich den, daß man
die Statuen umgehen, daß man von verschiedenen
Standpunkten einen verschiedenen Anblick von einem
und demselben Werk gewinnen kann. Freilich wird der
Nachtheil der Malerei zum Theil wieder dadurch aus-
geglichen, daß ihre Figuren nicht, wie diejenigen der
Bildhauerkunst, im Leeren stehen, sondern daß sie einen
Hintergrund haben. Durch die Gegenstände, mit
welchen diese gefüllt werden, und durch die unzähligen
Beziehungen zwischen ihnen lockt die Malerei die Ge-
stalten aus ihrer Vereinzelung heraus und befähigt oder
zwingt sie zugleich, sich in Haltung und Bewegung, in
Stimmung und Affekt, in allen Theilen ihrer Erschei-
nung überhaupt an diese Welt und ihre bewegenden
Motive anzuschließen. Diese Wirkung indeß haben hin-
wiederum viele alte Maler, welche wände und Decken
der Kirchen durch Gemälde schmückten, nicht gewollt,
und sie haben die Berührung ihrer Gestalten mit der
irdischen Welt dadurch auszuheben gesucht, daß sie einen
isolierenden Goldgrund schufen. —
Alles, was auf die Phantasie zu wirken bestimmt
ist, schafft die Malerei durch das Mittel der Farbe,
während das förmliche Element, die Zeichnung, die den
Gegenstand in seiner Erscheinung abgrenzt, sich mehr an
den verstand wendet, was stehen der Malerei irr
dieser Hinsicht für Effekte zu Gebote, welche durch die
Modifikationen des Lichtes und des Dunkels, durch die
Nachbildung des Nackten und Halbverhüllten, durch
eine sinnlichere oder bewegtere Behandlung der Formen
u. s. w. zu erreichen sind! Nur die Malerei versteht
den Zauber des Blickes und spricht seine Sprache, sie
ersaßt die einzelnen Seelenregungen, wie sie im flüchti-
gen Mienenspiel und nicht sowohl im ruhigen Bestehen
sich offenbaren, und während diese Kunst allerdings
nicht, wie die Poesie oder die Musik, eine Zeitsolge
zur Darstellung bringen, eine sich entwickelnde Hand-
lung geben kann, ist sie doch sehr wohl im Stande,
einen bewegten Moment daraus im Bilde sestzuhalten,
der uns einen Schluß aus das Vorhergehende wie
Nachfolgende gestattet.
Die Skulptur kann den Blick, in dem sich das
ganze Seelenleben des Menschen spiegelt, nicht in den


verschiedenen Farbentönen der Wirklichkeit zum Ausdruck
bringen, aber sie hat es auch gar nicht nöthig; stellt sie
doch den ganzen Geist und die ganze Seele des Men-
schen in der ganzen Gestalt dar; diese wird so zum
Spiegel der Geister oder, wie Hegel sagt, zum Auge,
das in klarer Schönheit das innere Leben verkörpert
ausspricht, denn es gehört zum Wesen der Plastik, daß
das ganze Innere im ganzen Aeußeren sichtbar, daß
die ganze Erscheinung von der Idee durchleuchtet
wird. — — — — —-— —-
Die Kunst ist das Werk des Geistes, und die einzelnen
Künste sind die Stufen ihrer Vergeistigung; sie alle
haben viel Gemeinsames, und besonders die Malerei
und Plastik sind eng mit einander verwandt: Die Malerei
hat ein plastisches Moment, und malerische Momente
spielen vielfach in die Werke der Skulptur hinein, will
man indeß die Grenzen zweier Künste bestimmen, so
darf man sein Augenmerk nicht hauptsächlich daraus
richten, was den beiden gemeinsam ist, sondern auf
dasjenige, was sie trennt, denn das ^charakteristische
der einzelnen Kunst zeigt sich eben in denjenigen Höhe-
punkten, die sie allein erreicht, und in denen es ihr die
andere nicht gleichthun kann. Und deren giebt es in
der Plastik und in der Malerei genug.
Eollner.


Zer M „üeinkolö Zegs5".
^^um Rücktritt*) des Altmeisters Begas von seinem
bis zuletzt in voller körperlicher Frische und un-
gemindeter Theilnahme wahrgenommenen Amt als Vor-
stand des hiesigen Meisterateliers für Bildnerei
geht uns die nachstehende, an den Kaiser gerichtete
Auslassung der Meisterschüler mit der Bitte um Ver-
öffentlichung zu. Sowohl diese Immediateingabe, als
auch ein zweites, für den Kaiser bestimmtes Gesuch
angesehener Berliner Bildhauer, betreffend den
Fall „Reinhold Begas", ist, wie uns glaubwürdig ver-
sichert wurde, nicht in die Hände des Monarchen ge-
langt, sondern offenbar an einer gewissen Stelle heim-
lich begraben worden. Das Schriftstück lautet:

vgl. die Rubrik „persönliches".
 
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