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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Esswein, Hermann; Neumann, Ernst: Der Kulturwerth der modernen künstlerischen Bestrebungen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0388

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338 Die A n n st - H a l l e. Nr. 22

Trost, wie dem an seinem Titanismus gestrandeten
Naturalisten: wie dieser sich in die außerkünstlerische, sozial-
ethische Tendenzmalerei rettete, so besann sich der vom
Lichtprobleme mattgesetzte Impressionist plötzlich aus den
Ausweg einer maßlosen Subjektivität: Er sruktisizirte
die Thatsache der Unkontrollirbarkeit aller rein emotio-
neller Dinge und wurde „persönlich". Sein individuelles
Sehen setzte er großsprecherisch zum Maßstab aller
Dinge und begann an die Stelle der Farbenbeobachtung
eine Farbenxhantastik zu setzen, einen unehrlichen kolo-
ristischen Subjektivismus, dem der Subjektivismus derForm-
gebung, die zwangsweise Stilifirung der Natursormen aus
dem Fuße folgte. — Ls braucht wohl nicht besonders betont
zu werden, daß mit dieser Ablehnung nicht die ehrlichen
und starken Persönlichkeiten, die gerade in Uebergangs-
zeiten ost ihren Kreislauf zwischen den Entwicklungs-
linien vollenden, gemeint sind, sondern lediglich der
heute schon überlästig gewordene Durchschnitt aller der
Stilisten, Phantasten und Neuromantiker, die aus
Mangel an genügender Begabung, aus mangelndem
Naturstudium, aus Unehrlichkeit zu Verräthern an der
Entwicklung werden und sich in die Stimmungs- und
Stilkunst flüchten wie vordem die Unbegabten unter
den Naturalisten in die Tendenz. — Auch für diese
Lntwicklungsperiode sei hier eine Einschränkung nach-
geholt, die durch einen Vergleich aus litterarischem
Gebiete einleuchten mag: Gerhardt Hauptmann's,, Weber"
sind Tendenz-Drama und Kunstwerk, was wir aber
sonst an Tendenz-Dramatik innerhalb des litterarischen
Naturalismus erlebten — — ! ! —
Die Thatsache, daß minder widerstandsfähige Be-
gabungen vom Lichtprobleine hypnotifirt, rasch verbraucht
wurden, konnte natürlich die impressionistische Bewegung
nicht aufhalten. Jene Besonnenheit, die im richtigen
Momente über den todten Punkt hinweghilft, wurde
auch hier von den Berufenen als kulturwerthige im-
pressionistische Uebung bethätigt und führte endlich den
Impressionismus zum Ziele.
Diese Besonnenheit war die Konsequenz einer
Erkenntnis, durch welche der Impressionismus, der ohne
sie nur sterile Idolatrie vor dein Lichtprobleme sein
konnte, erst fruchtbar wurde. Sie bestand in der Ein-
sicht in die Thatsache, daß das Licht als solches sich
der malerischen Darstellung völlig entziehe, daß es also
nur darauf ankommen könne, die Veränderungen, die
sein Einfluß an Formen und Farben bewirkt, zu gewahren,
zu beobachten und darzustellen. Dieser gesunde Im-
pressionismus stellte sich also nur solche Aufgaben, bei
denen Form und Beleuchtung einander die Waage
hielten. Er suchte sie zu lösen, indem er formale und
koloristische Elemente in einer restlosen Synthese zu
einigen strebte, versuche gingen diesem schließlichen
Resultate voraus, die eine ungeahnte Bereicherung der
technischen Mittel bewirkten. Je komxlizirter, analytischer
dieselben wurden, um so mehr waren sie zum Werkzeug
jener Impressionisten geeignet, die Form und Beleuchtung
im Bilde vereinigten und so aufhörten, Impressionisten

im strengsten Sinne zu sein, ohne dabei freilich ein Be-
wußtsein vom Kulturwerthe ihrer Arbeit zu besitzen.
Die impressionistische Bewegung, soweit sie frucht-
barer, kulturwerthiger Natur ist, gipfelte schließlich im
Neoimpressionismus. Er erbringt mit pointillistischen
Mitteln den rein optischen, formelhaften Extrakt des
Natureindruckes, er schafft Tafeln, von deren Gobelin-
Tharakter ein kleiner Schritt abermals zu einem neuen
Lntwicklungsdokument, zur angewandten Kunst, zum
Kunstgewerbe führt. Damit soll natürlich nur ein ver-
schwindend kleiner Theil der modernen kunstgewerblichen
Produktion aus dem pointillirten, gobelinartigen Bilde der
Neoimpressionisten abgeleitet sein, wo es von linearem
stilisirend-dekorativem Tharakter ist, kann es leicht aus der
kulturwerthigen Arbeit stilisirender Künstler abgeleitet
werden, woraus jedoch in diesem Zusammenhänge nicht
eingegangen werden soll. Diese Ableitung, logisch
durchgeführt, würde vollauf genügen, die modernen
kunstgewerblichen werthe als kulturwerthig nachzuweisen.
Neben dem Kunstgewerbe und der Illustration hat
sich heute die Künstlergraphik als selbständiger Zweig
der modernen bedarfskünstlerischen Strömung Bahn
gebrochen, vonihrenholzschnittlichenundlithographischen
Vorstudien abgesehen, sei hier nur das Künstler-Plakat
als ihr bedarfskünstlerisches Hauptwerk in Betracht ge-
zogen, und an seinem Beispiele der Kulturwerth auch
dieser jüngsten Richtung unserer bildenden Kunst kon-
trollirt. was die Künstleraffiche als Plakat, als Reklame-
mittel in erster Linie verlangt, ist Fernwirkung, d. h.
die Eigenschaft, eine präzise, deutliche Bildformel bereits
auf weitere Entfernungen erkennbar darzustellen. Allein
diese Fernwirkung ist der Maßstab für die Brauchbar-
keit des Plakats im geschäftlichen Leben und für seinen
Kulturwerth als Kunstwerk.
Soweit es sich nun nicht um das wenig entwicklungs-
fähige, rein ornamentale oder mit ftilisirten Flächen
arbeitende Plakat handelt, sondern um eine Art von
Affiche, die malerische Wirkungen (Lurch Perspektive
und plastische Modellirung der Formen) anstrebt, ergiebt
sich die Fernwirkung derselben nur dadurch, daß der
Plakatkünstler ebenso besonnen an die kulturwerthige
Produktion der impressionistischen Gelmalerei anknüpft,
wie seiner Zeit der besonnene Impressionist das kultur-
werthige Produkt der naturalistischen Malerei weiter-
bildete. Der Plakat-Graphiker, welcher von seiner Arbeit
Kulturwerth verlangt, wird sich also nicht damit be-
gnügen, irgend eine Zeichnung oder Gelstudie unter
Mißbrauch der lithographischen Mittel zu reproduziren,
irgend einen naturalistischen, impressionistischen oder
dekorativen Entwurf graphisch zu vervielfältigen,
sondern er wird auf dem Steine ein graphisches Original
schaffen, das nur noch durch die Druckerpresse verviel-
fältigt zu werden braucht. Gelingen wird ihm dies nur,
wenn er soviel gelernt hat, daß er nicht mehr rein
impressionistisch zu arbeiten braucht, sondern im Stande
ist, sein impressionistisches Können bewußt in den Dienst
der Fernwirkung zu stellen.
 
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