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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Esswein, Hermann; Neumann, Ernst: Zum Problem der modernen Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0298

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258

Die Kunst-Halle.

Nr. (7

neuartigen Erscheinungen, aus neuen, überraschenden
Evolutionen innerhalb aller materieller Kulturkategorien
(soziale Verhältnisse, Industrie, Technik) auf einer realen,
materiellen Basis, die keine national abgeschlossene,
geistige, dekorative Kultur tragen wird, sondern eine
Kultur des internationalen Fernverkehrs und der inter-
nationalen Verträge, eine Kultur der Industrie, der
Technik, der Maschine. Neuartig wie ihre materiellen
Grundlagen sind daher auch die geistigen Ziele unserer
Zeit, neuartig sind die Kunstformen, die auf dem Wege
zu diesen Zielen aus modernen seelischen Bedürfnissen
heraus, auf Grund eines spezifisch-modernen Empfindens
geschaffen werden.
Auf allen Kunstgebieten beobachten wir den Prozeß,
daß die altüberkommenen Kunstformen ihre Anpassungs-
fähigkeit an den neuen Zeitgehalt erproben müssen.
Sind sie zu eng für ihn, so hat ihre Stunde geschlagen.
Sind sie aber zu weit, so bildeu die alten Formen und
der neue Inhalt statt einer ästhetisch wirkenden Einheit
jene seltsamen Konglomerate, von denen ein treffendes
Beispiel die prunkvolle Nenaissancefassade einer Jahr-
marktsbude von 1905 bietet, in deren Innerein eine
elektrisch betriebene Sehenswürdigkeit —- etwa ein
Kinematograph — deplazirt ist. Folgerichtig begegnen
wir denn auch in allen Kunstzweigen dem Bestreben,
Formen, Ausdrucksmittel zu finden, die dem gegen
früher völlig gewandelten Geiste nicht nur entsprechen,
sondern sich restlos mit ihm decken, mit ihm eine neue
ästhetische Einheit bilden: Das moderne Kunstwerk.
Auch das moderne plastische Kunstwerk wurde und
wird erstrebt. Daß dies Bestreben auf dem Gebiete
der modernen Denkmalskunst am allerwenigsten Er-
folg haben konnte, ist wohl klar, pandelt es sich doch
hier nicht um die Schöpfung von Phantasiegestalten,
sondern um die Darstellung hervorragender Persönlich-
keiten, die in der Mehrzahl der Fälle unsere Zeit-
genossen waren, deren persönliche Eigenart, deren
Wirken und walten uns bekannt und verständlich ist,
von denen wir uns also ein fest umrissenes, mannigfach
nuancirtes Bild gemacht haben. An diesen: Bilde
messen wir nun die Auffassungen der verschiedenen
Denkmalsplastiker, deren Arbeit uns das Wesentliche
eines jeden der Dargestellten erschließen soll.
Eine solche Persönlichkeit nun in irgend einer
historischen oder symbolischen Vermummung dargestellt
zu sehen, beleidigt unseren Thatsachensinn, widerstrebt
unserem realistischen Empfinden. Ein Bismarckdenkmal
z. V., das die Kolossalfigur eines geharnischten mittel-
alterlichen Ritters wiedergiebt, ist für uns die schlechte
Metafer eines inittelmäßigen Dichters, die ebensowenig
die Verewigung in Stein oder Bronze lohnt, als irgend
welche andere Metafern über Bismarck (z. B. Bismarck
als Schmied des Reichsschwertes rc.). Wird doch das
wesentliche der Gestalt durch eine solche Symbolisirung
keineswegs verdeutlicht. Nur ein einzelner, oft nur in
der subjektiven Auffassung des betreffenden Plastikers
wesentlicher Zug wird dadurch abgegrenzt und zu Un-

gunsten anderer, oft wesentlicherer Züge bombastisch
hervorgehoben und unterstrichen. Unser modernes
Empfinden aber verlangt, daß uns der Plastiker in
seinem Bismarckdenkmal mindestens ebensoviel sachlichen,
wesentlichen Bismarck gebe, als etwa Lenbach in
einem seiner Bismarckporträts.
Wendet der Denkmalsplastiker gegen diese Forderung
die Eigenart seiner Kunst ein, die als Kunst der
absoluten Form keine erschöpfende Persönlichkeits-
Darstellung bieten könne, sondern eben nur ein monu-
mentum, eine symbolische puldigung, die ihren haupt-
sächlichen Kunstwerth erst in ihrer Eigenschaft als
monumentaler Schmuck des Stadtbildes erweise, so sei
er daran erinnert, daß gerade dies Stadtbild, wie es
mit seinen geradlinigen Straßen, seinen elektrischen
Trambahnen und Bogenlampen, seinen Fabrikessen,
Waarenhäusern und Reklametafeln gesetzmäßig ge-
wordene Entwicklungsthatsache ist, daß dies Stadtbild
ein historisch-kostümirtes, idealifirtes Denkmal unmöglich
macht. In diesem Milieu, das immer mehr das all-
gemeine Milieu der Zeit werden wird, wirkt das seinen
Formen, also auch seiner Tracht nach, unmoderne,
idealisirte, symbolische Denkmal genau so geschmacklos,
wie etwa ein goldstrotzendes Barockornament oder ein
bunter, feuerspeiender Drache, aufgemalt auf den Kessel
einer Dampfmaschine.
Im Interesse der Plastik selbst war es also freudig
zu begrüßen, daß dieselbe anfing, ein der Auffassung
wie der Tracht nach realistisches Denkmal zu erstreben,
wodurch sie sich gleichsam bereit erklärte, eine Anpassung
an den Geist und an die Formen unserer Zeit zu ver-
suchen. Diese modern bestrebte Plastik sah es aller-
dings als in ihrer Aufgabe belegen an, die Formel der
darzustellenden Persönlichkeit zu geben, ihren möglichst
erschöpfenden Ausdruck fest zu halten. Sie unternahm
es, den ganzen Menschen auf den Sockel zu stellen,
nicht eine willkürlich gewählte, subjektiv-empfundene
Vermummung oder Ausdeutung desselben. Sie war
durchdrungen von der richtigen Erkenntniß der wesent-
lichen Bedeutung der modernen Tracht für die führenden
Persönlichkeiten unserer Zeit. Zumal die moderne
Militärtracht erkannte sie als ganz besonders wesentlich
für unsere Peerführer, wie überhaupt für die Staats-
männer unserer militaristischen Aera. Sie erkannte,
daß unsere perrscher, unsere Peerführer, unsere Staats-
männer durch die ihnen wesentliche Uniform für
kommende Zeiten genau so präzis charakterisirt sein
werden, wie für uns die entsprechenden Gestalten der
römischen Antike durch die ihnen wesentliche Toga
charakterisirt sind.
Gemäß dieser Erkenntniß hegte der modern be-
strebte Plastiker gegen die Darstellung der Uniform
keinerlei prinzipielle ästhetische Bedenken und Vor-
urtheile. — Er trat frisch und unerschrocken an die
neue, von der neuen Zeit gestellte Aufgabe heran. —
Aber die Lösung dieser Aufgabe ist ihm nicht geglückt,
was er auf Grund seines Schaffensprinzips zu Stande
 
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