Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 8.1903

DOI Artikel:
Haenel, Erich: Sächsische Kunstausstellung Dresden 1903
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0300

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
260

Die Aun st-Halle.

Nr. s?

Rivalen weit zurückgelassen wurden, konnte man bald auch
aus dem Munde der Gegner hören. Der Internationalen
von ^90; schuf dann die wundervolle Neugestaltung der
großen bfalle durch Wilhelm Kreis mit BariholomTs Todtenmal
einen Hauxtaeeeut von überwältigender Großartigkeit. Line
Steigerung nach dieser Seite der Auslese aus dem Schaffen
Gesammteuropas schien jetzt kaum mehr möglich. Und so er-
griffen die Dresdner Künstler nach abermals zwei Jahren
für ihre Ausstellung den einzigen Ausweg, der unter diesen
Umständen zu etwas Neuem und Vollendungsfähigem führen
konnte: sie warfen den schillernden Mantel der Internationalen
ab und richteten die Fahne der Stammeszugehörigkeit auf, sie
erinnerten sich der Heimath; ihrer Söhne, die in deutschen
Landen verstreut leben, und ihrer Kunst und nannten ihr Werk:
Sächsische Kunstausstellung.
Aber nicht nur die leitende Idee, sondern auch die
schaffenden Hände sind diesmal Novizen. Die Dresdner
Kunstgenosfenschaft, die erst kürzlich durch Wiederverschmelzung
mit der Sezession einen heilsamen Verjüngungsprozeß durch-
gemacht hat, trat an die Stelle des freigewählten Komitss,
das sonst unter Führung des gewiegtesten Praktikers die
Arbeit that. Man verkenne die Bedeutung dieses Wechsels
nicht. Was heute in Deutschland von älteren Künstler-
organisationen in Ausstellungen geleistet wird, muß sich — man
denke nur an das Magazin am Lehrter Bahnhof — zumeist
eine ziemlich mitleidige Kritik gefallen lassen. Und auf der
anderen Seite gelten die Sezessionen als die unantastbaren
Heilbringer in allen zeitgemäßen Ausstellungskünsten. Ich
glaube, in Dresden wird auch der verwöhnteste Ausstellungs-
gourmet die leider so bös verketzerte Atmosphäre kunstge-
nossenschaftlicher Biederkeit nicht spüren. Gewiß haben die
Erfahrungen aus den letzten sechs Jahren hier dem Unter-
nehmen die Wege geebnet. Aber es bleibt schließlich doch
das unbestreitbare Verdienst der Kunstgenossenschaft selbst, in
der Beschränkung zum Meister geworden zu sein und allen
Schwierigkeiten zum Trotz etwas geschaffen zu haben, was
sich der goldenen Kette Dresdner Ausstellungen als voll-
gewichtiges Glied anschließt.
Da im städtischen Ausstellungspalast am Großen Garten
die deutsche Städteausstellung haust, blieb den Künstlern
nur das Gebäude neben der Akademie auf der Brühlffchen
Terrasse übrig, wo sonst der Kunstverein sein lautloses Dasein
fristet. Ls galt, die Räume, denen Lipsius einst das schwer-
fällige Gewand seiner abgeleiteten Pseudorenaissance ver-
liehen, so umzugestalten, daß die Kunstwerke nicht, wie bisher,
in ihnen erdrückt, sondern farbig herausgehoben und individua-
lifirt würden. Da dies eine vollständige Neuschöpfung der
Innenarchitektur noihwcndig machte, so sei auch hier mit
einigen Worten auf diesen Theil der Ausstellung eingegangen,
zumal da das Resultat in der ästhetischen Gesammtwirkung
die führende Stimme hat. Gleich das Vestibül, in der kühlen
Vornehmheit seiner schlicht-gewaltigen, goldüberschimmerten
Formen, mit der mächtigen Brunnenschale im Zentrum, zwingt
den Besucher in die Stimmung gesteigerten Genießens. Der
Grundton der hohen Halle ist Gelb, belebt von sparsamen
Schmucksormen in oxydirter Bronze; das (Puadrat, das sich
nach den Seiten in Rundbögen öffnet, leitet sich in halber
Höhe ins Achteck über, das unter dem Vberlichtvelum von
geschnitzten Balkenköxfen abgeschlossen wird. In dem großen
Saal dann erhebt der volle Akkord der Grundnoten, Roth-
Vrangefarben, zu denen sich in den terrasfenartig behöhten
Scitenkabinetten Mattblau-Dunkelblau gesellt, mit Hülfe der

drei imposanten offenen Rundbögen über jenen den Grund
gedanken des Raumbildes ins warme, breitausladend Festliche.
Mit dem kälteren Violett-Grau-Blau des Fünsecksaales schwillt
die farbige Welle wieder zurück, um sich in dein Seitenkabinet
in die zarte Melodie intimer Wohnraumstimmung zu verlieren.
Dem achteckigen Kuppelsaal schließlich haben em in ganz
ruhigen, ernsten Formen gehaltener tempelartiger Lindau (über
dem früheren Königsbaldachin), eine Reihe glatter Pilaster
und ein plastischer Fries in halber Höhe, ein leuchtend rother
Fußbodenbelag und ein kühles Graugelb der Färbung die
würde und Lichtfülle verliehen, die das ältere Formengewand
seinen übergewaltigen Dimensionen stets geraubt hatte. Die
Architekten, denen diese neue Raumschöpfung zu verdanken ist,
haben damit, trotz der im Einzelnen deutlich gewahrten Un-
abhängigkeit, doch etwas zu Stande gebracht, was als Ganzes,
in seiner Wirkung aus den beschaulich wandelnden, als
räumliche und dekorative Linheitskomxosition gelten kann.
Ihre Namen sind: Julius Gräbner (Vestibül und Hauxtsaal),
Fritz Reuter (Fünfecksaal, und in Gemeinschaft mit Erich
Kleinhempel, das Kabinet für Kunstgewerbe), M. H. Kühne
(Kuppelsaal), G. v. Mayenburg (Graphische Abtheilung),
F. R. Voretzsch lArchitekturraum).
während so die Ausstellung, was ihren künstlerischen
Rahmen und, wie die Betrachtung zeigen wird, auch den
Inhalt betrifft, fest im Boden der entwicklungskrästigsten
Gegenwart wurzelt, weist sie doch auch in beisallswürdiger
Pietät aus einen vornehmsten Ausschnitt der Vergangenheit
hin, die der deutschen Kunst im ^9. Jahrhundert und der
sächsischen Heimat im Besonderen den reinsten und zartesten
Ausdruck ihres Volksthums geschenkt hat. Durch die Aus-
stellung der gesammelten Werke Ludwig Richter's, dessen
Geburtstages hundertste Wiederkehr im Herbst naht, bringt sie
dem Dresdner Meister ihre Huldigung dar. Und da Karl
woermann, der feinsinnige und kenntnißreiche Direktor der
Dresdner Gallerie, die Leitung dieser Kollektion in die
Hand genommen hat, so ist das Resultat nicht nur als
wissenschaftliche Arbeit vollendet, sondern auch als Gesammt-
erscheinung künstlerisch so abgerundet, daß sich hier der
„heimliche Schatz des Herzens", den jene Kunst birgt, in un-
geahntem Reichthum offenbart. Der Werth dieses Theils der
Ausstellung aus der Brühlffchen Terrasse, dem M. H. Kühne
ein Heim von außergewöhnlicher Anmuth geschaffen hat, wird
einen besonderen, späteren Bericht rechtfertigen.
Unter den Namen sächsischer Meister, die in die Ent-
wicklung der gesammtdeutschen Kunst im 19. Jahrhundert
entscheidend eingegriffen haben, steht der Fritz vor: Uhde's
wohl an der Spitze. Seine Werke, elf an der Zahl, nehmen
die Hauptwand des großen Saales ein; wann hat man den
Klassiker des deutschen Naturalismus je so eingehend studiren
können? Den Mittelpunkt bildet die „Grablegung", eine
Arbeit von solcher Größe und Wahrhaftigkeit der Empfindung,
solcher Genialität des Wurfes in Komposition und farbigem
Etil, daß hier jedes Wort des Zweifels an der inneren Be-
rechtigung dieser einst so problematisch befundenen Kunst
verstummt. Das Porträt des Schauspielers Wohlmuth als
„Richard III." erscheint daneben doch recht theatralisch, so
sicher auch die Eharakteristik des Kopses vor Allem einsetzt.
Die beiden großen Gartenszenen können als Schulbeispiele
reifster und persönlichster Hellmalerei gelten; einige Studien-
köxse, vor Allem der des „Radiweibes", reihen sich direkt an
die Porträts von Franz Hals an. Die kleine Szene „Am
 
Annotationen