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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Hood, Fred: Der Zufall als Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0411

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Nr. 23

Die Run st-Halle.

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nur bei einem ganz gewöhnlichen Bunzlauer Topf nahm man
allenfalls einen solchen Fehler mit in den Kauf, peute ist es
gerade umgekehrt; heute sind keramische Erzeugnisse, die ein
buntes Spiel unregelmäßiger Farbenstecken, Herablausender
Tropfen, überlaufender Flüssigkeiten zeigen, äußerst beliebt, und
je deutlicher die Glasur noch die Einwirkung des Feuers auf
die schmelzende Masse offenbart, um so reizvoller findet man
den Gegenstand. Fällt die Glasur aber ungleich, vielfarbig und
flammig aus, dann ist es noch besser. Man begünstigt auch
das ungleiche Fließen der Glasur dadurch, daß man aus die
äußere Fläche grobe körnige Erhebungen modellirt, so daß die
Glasurmasse nur in den Rinnen läuft und hier erstarrt, die Er-
hebungen aber fast unbedeckt läßt. Ls hat sich gleichsam eine
ganze Richtung in der Keramik herausgebildet, welche in
bewußter künstlerischer Absicht die Dekoration des Gegenstandes
dem Feuer überläßt, dessen Wirken jedoch durch präparieren
des Thons oder der Glasurmasse mittelst erdiger oder metallischer
Zusätze beeinflußt wird. Man hat diese Kunst sehr treffend
als „^.rt än ksn" bezeichnet. Der Dekor fällt dabei natürlich
außerordentlich mannigfach aus, flammig, gefleckt, krystallartig,
vor allen Dingen aber vielfarbig. Und kein Stück fällt wie
das andere aus — jedes ist einzig in seiner Art — ein
Original.
Ls ließen sich nun aus den mannigfachsten Industrien
noch eine ganze Reihe von Beispielen ansühren, um zu zeigen,
daß der Zufall künstlerischen Absichten nicht widerstrebt. Ich
erinnere an die Patina der Bronzen, deren Erzeugung ja aller-
dings heute durch Verwendung angemessener Legirungen an-
gestrebt wird, sich ursprünglich jedoch willkürlich, d. h. ohne
Absicht des Künstlers bildete. Mieder ein anderes Beispiel
von der Nutzung des Zufalls für das Kunsthandwerk liefern
uns die gemaserten pölzer. Sie besitzen schon an sich eine so
mannigfache und reizvolle Zeichnung, daß die weitere Dekoration
der Möbel auf ein sehr bescheidenes Maß beschränkt werden
kann. Einige moderne Künstler der Innendekoration ver-
schmähen sogar jedes Ornament oder architektonische Beiwerk
vei Dekoration von Möbeln. Man hat es verstanden, die
Struktur und Maserung des polzes selbst zur Erzielung einer
Art Relieswirkung zu benutzen, indem man die Flächen mit
dem Sandstrahlgebläse bearbeitete und dadurch ein Vertiefen
der weicheren Partien bewirkte, wird nun eine derartige
Fläche polirt, so erhalten nur die höherliegenden erhabenen
Theile Glanz, während die tiefliegenden rauhen Theile unpolirt
bleiben, und sogar eine wesentlich andere Farbe zeigen. Denn
die Struktur eines Materials ist von wesentlichem Einfluß auf
seine Farbwirkung. Diese Art der Dekoration hängt nun
auch vom Zufall ab — von der zufälligen Zeichnung und
Struktur des polzes, von der Wirkung des Gebläses auf das
verschiedenartige Material rc. Aber auch hier ist der Zufall
wieder beeinflußt von dem Lrfindungsgeist des Menschen.
Aber die weitaus größte Zahl interessanter Beispiele liefert
uns die Luxuspapier-Industrie, in welcher der Zufall sichtbar
aus eigener Machtvollkommenheit schaltet und waltet; über-
haupt bildet die Ausgabe, Muster zu erfinden, so recht ein
Pauptgebiet des Zufalls, und es ist wohl angebracht, hier an
das Kaleidoskop zu erinnern, das mittels einiger bunter Glas-
sxlitter und zweier Spiegel die wunderbarsten regelmäßigen
Muster bildet, die sogar dazu dienen, den Musterzeichnern bei
ihrer Arbeit Anregung zu geben. Ist es nicht überhaupt sehr
merkwürdig, daß die Natur fast aus jede Fläche, die sich ihr
bietet, ein Muster zeichnet, als ob sie uns gleichsam eine An-
leitung in dieser Kunst geben wollte? Selbst aus die Flügel-

decken des kleinsten Käsers sind noch einige rothe oder schwarze
Tupfen gesetzt, während uns die Zeichnung eines Schmetter-
lingsflügels häufig eine so überaus reiche und bunte Kom-
position zeigt, wie sie auch der phantasiebegabteste Zeichner nicht
schöner erfinden könnte — wenn ihm eben nicht die Natur so
glänzende Vorbilder geliefert hätte.
Die einfachste Methode bildet die Perstellung gesprengter
Buntpapiere. Man schleudert mit dem Pinsel aus das Papier
Spritzflecke, die, je nach Wahl der Farben, ein mehr oder
minder hübsches Muster bilden. Sollen die Sxritzflecke nicht
zu groß ausfallen, so benutzt man einen kurzhaarigen Borsten-
pinsel, den man über ein Maschengitter führt. Schließlich wird
wohl auch die ganze Fläche aus diese Weise mit Punkten be-
deckt, doch hat man es in der pand, ein Muster auszusparen,
indem man vor Ausführung der Spritzarbeit aus den Bogen
kleine Papiersternchen, Ouadrate, Kreise, auch Blatt- und
Blumensormen ausbreitet. Man nimmt sie nach Ausführung
der Arbeit wieder fort, so daß an den betreffenden Stellen der
Farbenton des Papiers sichtbar wird. Nach dem Trocknen
vermag man einen zweiten Ton über die Papierfläche zu
spritzen und dabei wieder ein anderes Muster auszusparen nnd
so fort. — Bei diesem Verfahren spielt der Zufall nur eine
untergeordnete Rolle; weit mannigfacher und launenhafter wirkt
er, wenn man das Muster durch Austupsen des Farbenpinsels
aus angeseuchtetes Papier erzeugt. Dabei breiten sich die
Farbenflecke auseinander, um schließlich zusammenzufließen und
so eine sehr vielfarbige, flammige Zeichnung zu bilden. Sehr
überraschende Wirkung erreicht man, wenn man zwei mit
Farbe bespritzte Bogen noch feucht übereinander legt, um sie
hieraus zu trennen. Denn durch das Zusammenxressen nehmen
die Farben einen willkürlichen Laus. Nun wird man vielleicht
glauben, daß eine derartige Malerei von der Absicht des
Fabrikanten gar nicht beeinflußt werden kann. Das ist in-
dessen nicht der Fall. Man lernt auch auf diesem Gebiete den
Zufall beobachten, die Farben in richtigen Mengen auf das
Papier bringen, und sie vor allen Dingen so zu wählen, daß
sich schöne Pannonien oder Kontraste ergeben. Man zeichnet
wohl auch Bänder, Wellenlinien, Kreise re. mit dem pinsel
auf das Papier, um ganz bestimmte Effekte hervorzurufen;
denn wenn auch der Zufall den buntesten Wechsel erzeugt, so
bewegt sich doch immer der Fluß der Farben noch innerhalb
gewisser Grenzen. Damit die Farben beim Zusammenwalzen
oder Anstreichen der Bogen nicht zu sehr ineinander fließen,
sondern ein konstruirtes Muster ergeben, pflegt man sie mit
Kleister, Leim oder Ochsengalle zu versetzen.
Nun aber komme ich zum interessantesten Kapitel der
Luxuspapier-Industrie, zur Perstellung der Marmorpapiere.
Wenn man einen Farbtropfen auf eine Wasserfläche fallen
läßt, so wird er infolge der Oberflächenspannung des Wassers
zu einem breiten Flecken auseinandergerissen, bevor er versinkt
und sich mit dem Wasser vermischt. Der unbekannte Erfinder
des Marmorirwassers, der ein äußerst kluger Kopf gewesen sein
muß, verstand es, die Flüssigkeit etwas steifer zu machen; so gelang
es, die Farbflecke an der Oberfläche zu erhalten, andererseits
aber auch die treibende Wirkung der Oberflächenspannung ein-
zuschränken, also den Farbflecken eine mäßige Größe zu geben.
Damit war schon die Möglichkeit zur Erzielung vielfarbiger
Muster geschaffen, welche durch Auflegen von paxierbogen von
der Flüssigkeit abgezogen werden können. Aus dieser einfachen
Erfindung beruht das von Buchbindern und Buntpapier-
sabrikanten heut allgemein angewandte Marmorirwasser, durch
dessen Verwendung die charakteristischen Zeichnungen aus den
 
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