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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Zimmern, Helen: Ein Besuch bei Rodin
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0013

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Nr. s D i e K u n st - b) a l I e.

Werke der griechischen und römischen Elastik so warn:
und überzeugend wirken, Seiner wünsche höchstes
Ziel ist das Leben, die Bewegung zu ersahen, doch
heftige Aktion erachtet er durchaus nicht als Erforderns,
um diesen Eindruck zu erzeugen, wenn ihm eine Idee
kommt, so fixirt er sie sofort, sei es mit dem Zeichen-
stift, den er vortrefflich handhabt, oder in Thon. Und
dann gönnt er sich Tag und Nacht keine Nuhe, ehe er
nicht genau zu Stande gebracht hat, was seine Idee
war. Hunger, Ermüdung giebt's für ihn nicht, so
lange er mit einem künstlerischen Problem beschäftigt
ist; daher auch sein großes Maß an Arbeitsleistung,
aber auch die ärztliche Verordnung, auf's Land zu
ziehen. Eine bestimmte Methode hat er nicht, und
ebensowenig einen speziellen Etil. Der Etil wird bei
ihm vom Tharakter des Kunstwerkes bedingt, und so
erklärt es sich, daß manche seiner Arbeiten so im-
pressionistisch und skizzenhaft, andere dahingegen von
einer Vollendung und Glätte sind, wie ein Erzeugniß
der akademischen Schule. So auch bei seinen weib-
lichen jllorträtbüsten. In der Bildniß-Skulptur giebt er
sich nicht damit zufrieden, das Aeußere zu studiren. Er
will auf den Grund der Seele blicken. Er kann aus
diesem Grunde auch nicht rasch nach dem Modell
arbeiten, er bedarf einer intimen Kenntniß, des
Hineinfindens in dessen Eigenthümlichkeiten und
Neigungen. Tharakteristische Beispiele sind zwei setzt
im Valais ImxsmbonrA befindliche Büsten — die einer
Modedame, voller Selbstbewußtsein und von tadelloser
Eleganz; die andere, mit der Kopfbedeckung der
Bäuerinnen in der Bretagne, aus einem Stück rohen
Marmors herausgehauen. Dieses, vielleicht das be-
kannteste Stück von Nodin, „Ta Vsnstzo" genannt, ist
in Wirklichkeit das Porträt einer Schülerin und intimen
Freundin des Künstlers.
„Sie müssen sich davor setzen," sagte er, und rückte
einen Stuhl vor die eben erst gemachte Marmorkopie.
„Sie blickt dann auf Sie nieder. Sehen Sie die Falte
dort über der Braue? Liegt darin nicht der Prozeß
des konzentrirten Denkens ausgeprägt?"
Und in der That, als ich so zu ihr aufblickte, sah
ich ihre Augen wie die einer Seherin in die Ferne ge-
richtet, als wolle sie Welt und Ewigkeit ergründen.
Ich bin geneigt, diese Schöpfung Rodins für das
Vollkommenste zu halten, was aus seiner Hand hervor-
gegangen ist.
„Haben Sie schon direkt in Marmor gearbeitet,
wie Michelangelo gethan hat?" fragte ich ihn.
„Nein; Sie berühren da einen schwachen jDunkt
unserer modernen Bildhauerei. Ich habe es versucht,
und ich weiß auch, daß es das Richtige ist, denn nur
auf diese weise kann dem Kunstwerk die Frische des
ersten Ausdrucks voll gewahrt werden, was setzt an
Skulpturen in Stein vorgeführt wird, ist Kopie, da
geht immer etwas von der Spontaneität der Inspiration
verloren, wir von heute können aber das Heraus-
hauen nicht mehr machen."

Zu Rodin's Eigenthümlichkeiten gehört auch die,
daß er sich lange Zeit mit einer Idee trägt, und das
Motiv dann beständig ändert, daran herummodelt, ehe
er es in Angriff nimmt. „Es wächst," sagt er, „ich
muß sehen, wozu es führt."
Er plant ein großes Werk, womit er sein
eigenes Lebenswerk zu krönen hofft. soll heißen:
„Der Thurm der Arbeit", und die Huldigung sein,
die er als Arbeiter jenem Triebe zollt, der die Mensch-
heit seit ihren: Erstehen im Bann hält. Ihm ist die
Arbeit keine Strafe, er faßt sie als eine Befreiung und
Erlösung auf. Eine Art Trajanssäule, mit Basreliefs
umwunden, wird auf ihrer Spitze drei engumschlungene
Genien tragen — „Kraft", „Schutz" und „Liebe", aus
deren Vereinigung Segen ersxrießt. Zwei Gestalten,
der „Tag" und die „Nacht", bewahren den Eingang
Eine Krypta wird die Förderarbeiten des Rohstoffes
einschließen, und von da aufwärts entwickelt sich die
Arbeit zu immer lichteren Höhen, mit dem Rüstzeug
der Kultur ausgestattet, und im geistigen Schaffen
gipfelt die befreiende Macht der menschlichen Arbeit.
In diesem groß angelegten Werke offenbart sich
wiederum jenes Interesse an LerMenschheit, das für Nodin
charakteristisch ist. Ebenso aber ist ihn: auch ein Hang
zur Lösung philosophischer Fragen eigen, und dieser
Zug hat ihm den Erfolg bei der Masse vielfach er-
schwert. Ein großer Litteraturfreund, verehrt er be-
sonders die Dichter, er kennt sie von Dante (für den
er schwärmt, den er aber auf seine eigene Art inter-
pretirt) bis auf Victor Hugo und Baudelaire. Auch unter
Rousseau's Einfluß steht er in hohem Grade, er theilt
dessen Liebe für das Leben und die Natur, wie er auch
ein Optimist ist. Für die neuere Philosophie hat er
keine Sympathien, und besonders Nietzsche ist ihm ein
Schrecken.
Im diesjährigen Salon hat er drei männliche
Statuen unter dem Titel „Schatten" ausgestellt, die
einen Theil seiner großen Komposition „Das Thor der
Hölle" bilden. Es wird, in Bronze-Guß ausgeführt,
das pariser „Museum für dekorative Kunst" schmücken.
Auf breiter epischer Grundlage geplant, werden theils
in Reliefs, theils durch Statuen alle Leidenschaften und
Schmerzen der Menschheit zum Ausdruck gelangen.
Das Motiv ist Dante entnommen, doch nicht in ge-
wohnter weise illustrirt. Unten, wo das Thor die
Erde berührt, mit den niederen Typen und Gefühlen
beginnend, führt uns der Künstler, der Vision Dante's
folgend, höher empor und mehr und mehr in die
Regionen der seelischen und geistigen Empfindungen.
Oben, im Tympanon, wird eine große, einsame Ge-
stalt prophetisch über dem Ganzen thronen, wenn
auch kein Abbild des Autors der „Göttlichen Komödie",
so kann man sie doch als die Verkörperung seines
Geistes betrachten. Nicht in irgend einer Tracht, die
sie in ein bestimmtes Zeitalter bannen würde, sondern
in strenger Nacktheit stellt er jene als Inbegriff der Er-
forschung des Menschen und menschlichen Wesens aller
 
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