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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 10
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Brieger, Lothar: E.M. Lilien
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Dworaczek, Wilhelm: Wiener Kunstbrief: XIX. Ausstellung der Sezession
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Nr. fO

Die Kunst-Halle.

wollen über die Auswahl der Blätter, ein gutes Recht
des Künstlers, hier nicht disputiren. Sie geben jeden-
falls ein erschöpfendes Bild vom Werdegange Lilien's.
Der junge Künstler ist ja überhaupt noch im werden.
Seine Blätter sind zum großen Theile noch Ver-
sprechungen. Ausgenommen die letzten: einige Illu-
strationen zu Gorki's im nächsten Jahren erscheinenden
Sammelwerke „Zbornik". hier ist bereits Reife, die
an Erfüllung streift. Gb sie wirklich Erfüllung ist,
wird die Zukunft lehren müssen.
Noch ein letztes Wort über Lilien. Rian nennt
ihn einen Zionisten, einen Nationaljuden und preist ihn
als den Weister einer neuen jüdischen Kunst. Das ist
nun grundfalsch, es verwechselt den Künstler mit dem
Menschen, die Kunst nut den Gedanken. Eine jüdische
Kunst, die doch überhaupt erst entstehen soll, läßt sich
so nicht mit einer Handvoll großer Worte festlegen.
Wan kann nicht von einem jüdischen Stil reden, wo
dieser Stil überhaupt noch nicht vorhanden ist, erst ent-
stehen soll. Mb und wie er werden wird, das kann
kein Wensch wissen. Der Zeichner Lilien ist durchaus
deutsch, seine Ahnen sind Dürer und Holbein
Sehen wir aber von den technischen Mitteln ab, so ist
es ja möglich, daß es ihm durch die schöne Darstellung
des eine ganze Rasse beseelenden Gedanken gelungen
ist, wie manche behaupten, ein Regenerator dieser
Rasse zu werden. Das ist ja aber, wie alle, welche
nicht Anhänger des reinen l'art, pour I'art - Prinzips,
zugeben werden, einer der letzten Zwecke der Kunst.
Denn die Kunst ist ja schließlich nicht mehr als eines
der Ausdrucksmittel des Menschengeistes, und so darf
man den Menschen Lilien gern zu etwas beglückwünschen,
was mit dem Zeichner an sich nichts zu thun hat.
L. Brieger-Wasservogel.
W

Viener Rimtbriej.
(XIX. Ausstellung der Sezession.)
<^/A^ie Sezession hat diesmal ein paar Kollektiv-
M / ausstellungen vorgeführt, über die manch' ernstes
Wort zu sagen ist. vieles davon wird freilich
die Spott- und Lachlust des Publikums reizen, und
nicht allein jener unverständigen Menge, die allem
Neuen und Ungewohnten gegenüber von vornherein
eine ablehnende Haltung einnimmt. Ich glaube viel-
mehr, daß gerade die vernünftigen, die den bedeut-
samen und tiefgehenden Einfluß der modernen Kunst-
strömungen mit verständniß begrüßten und seine Be-
deutung begriffen, sich gegen Ausschreitungen kehren
werden, die an sich werthvolle Kunstprinzipien ins
lächerliche Extrem treiben. Ls ist leicht begreiflich, daß
auch ein bedeutender Künstler in eine Idee pro-
grammatisch verrannt sein und wahre Ausgeburten
künstlerischen Geschmackes zu Tage fördern kann, die
durch das unleugbar vorhandene Können um so gefähr-
licher wirken, weil gerade um dieses Könnens willen
das Publikum verleitet wird, auch alles Ungesunde,
Uebertriebene und Ueberstiegene dabei mit in den
Kauf zu nehmen. Nichts ist in Kunstfragen so verderb-
lich, als die suggestive Gewalt des Ungewöhnlichen
aus geistig empfängliche Gehirne. Schon das in vielen
wohnende Bedürfniß nach steter Neuerung, die Eitel-


keit, die um Alles in der Welt nicht rückschrittlich er-
scheinen möchte, die lieber gegen die eigene Ueber-
zeugung bewundert, als ihr Unverständniß einem neuen
Werke gegenüber einzugestehen, das sind die gefähr-
lichsten Waffen, die von den bewußten oder unbewußten
falschen Kunstxroxheten gegen die natürliche Wider-
standskraft des gesunden Menschenverstandes ins Treffen
geführt werden. Nicht ohne Erfolg, denn heute ist die
Kraft der Schlagworte, die Gewalt des Abstrusen, Neu-
artigen, Originellen vielleicht stärker denn je. Bei
ruhiger Ueberlegung aber wird man nur lächelnd die
Frage stellen müssen, ob die Umstürzler aller, selbst der
primitivsten Gesetze der Malkunst allen Ernstes glauben,
daß es just den letzten Jahren unserer Zeitrechnung be-
stimmtseinsollte, allesseitIahrhunderten und länger in uns
angesammelte Schönheitsgefühl, alle gesunde Anschau-
lichkeit über den Haufen zu werfen? Gewiß, Schön-
heitsbegriffe sind etwas unendlich Variables, aber nur
innerhalb gewisser-Grenzen. Ausgedörrte Pestkadaver
waren und werden zu keiner Zeit das allgemein
herrschende Schönheitsideal sein, so sehr auch das
Empfinden sich „verfeinern" sollte. Niemals hat es
und wird es Menschen mit lichtgrünen haaren geben,
so sehr man uns auch einzureden bemüht sein mag,
daß wir farbenblind sind und es nur ein paar gott-
begnadeten Menschen plötzlich zu schauen vergönnt ist,
was durch Jahrhunderte dem Auge der Menschen ver-
schleiert blieb, wohlgemerkt — um Mißverständnissen
vorzubeugen — ich spreche nicht etwa von reflektirtem
Licht, etwa unter Bäumen, die etwa fremdfarbige
Reflexe abwerfen können, sondern von einem auf einem
einfach ins freie Licht hingesetzten Porträtkopf Ferdi-
nand hodler's, der von den diesmal vorgeführten
Künstlern wohl das reichste Können besitzt, aber auch
mit einzelnen seiner Arbeiten am stärksten zu energischem
Widerspruch herausfordert! Sein künstlerisches Bedürf-
niß, al Irssoo zu empfinden und zu imitiren, ist unver-
kennbar, und in ein paar Bildern verräth dieser eigen-
artige Künstler eine Tiefe und Wucht der Auffassung,
eine Eindringlichkeit der Stimmung und eine Kunst der
Zeichnung, die es fast unfaßbar erscheinen lassen, wie
derselbe Künstler im nächsten Augenblick mit einer
Naivetät, die bis zur Lächerlichkeit, bis zur unwider-
stehlichen Komik herabsteigt, den Glauben an seine
künstlerische Sendung — ob muthwillig oder aus krank-
hafter Veranlagung, ist schwer zu entscheiden — fast
vandalisch selber zu zerstören bemüht ist. Da sind ein
paar große Bilder, vor allen: der dreitheilige „Rück-
zug von Marignano", voll kraftvoller Zeichnung,
prächtig in der Komposition, mit Details, denen ein
großer Zug und eine energische Kühnheit des Vortrags
eigen ist, die man nicht genug zu bewundern vermag.
Auch in den Bildern „Eurythmie", „Die Enttäuschten",
„Die Lebensmüden" und „Nacht" liegt eine eigenartige
zwingende Kraft. Gleich daneben aber sind eine Reihe
allegorischer Darstellungen, in denen die Phantasie oder
besser eine phantastische Vorstellungskraft des Künstlers
sich mit dem Bestreben, zu stilisiren, die Farbe in großen,
einfachen Wirkungen auszudrücken und die Wirkung
der Linie in den Vordergrund zu stellen, zu einem un-
organischen Gesammteindruck vermählt, der wie eine
sehr unglückliche Mischung von Naivetät und Brutalität
erscheint. Die deutlich erkennbare Absicht, die Menschen
wie Silhouetten an die Bildfläche zu kleben, verleitet
den Künstler zu den unmöglichsten, outrirtesten Posen,
die alles innere künstlerische Empfinden unter dem
bizarren äußeren Eindruck begraben. Man darf es
Niemandem Übelnehmen, wenn er, ohne nach den
technischen Absichten und Prinzipien des Künstlers zu
 
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