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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 24
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Brieger, Lothar: Zur Entwicklung der russischen Malerei i. 19. Jahrhundert
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Kiesling, Ernst: Carl Seffner
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Nr. 24

Die Aun st-Halle.

37s

Ruhe seiner Arbeit, was ihn in Frankreich interessirte,
war hauptsächlich das Bodenständige, die Bauern.
Dennoch würde man ihm mit der Annahme Unrecht
thun, daß die großen künstlerischen Errungenschaften
der Franzosen ungenutzt an ihm vorübergegangen seien.
All' seine Bilder beweisen das Gegentheil. Aber er
war einer von denen, die vom Fremden nur so viel
nehmen, als es ohne Schaden für die eigene Seele
möglich ist, während seine Gefährten dem fremden Ein-
flüsse auch im Denken und Fühlen große und nicht stets
harmlose Konzessionen machten.
Nichts ist charakteristischer für Wasnezow, als daß
er, nach Moskau zurückgekehrt, beim Anblicke des
Kreml, der Kirche des wassily Blaschenny und all' der
anderen byzantinischen Bauten in heiße Thränen aus-
brach. Die Sehnsucht nach dem russischen Alterthume,
seinen Märchen und Sagen, hatte ihn heimgelockt, und
nun konnte er der frohen Erschütterung nicht stand-
halten. Gleichzeitig mit ihm waren seine Freunde
heimgekehrt. Die ganze Kolonie ließ sich setzt in
Moskau nieder. Ls hieß zeigen, was man in der
Fremde gelernt hatte.
Bis dahin hatte Wasnezow nur Genrebilder ge-
schaffen, setzt fühlt er in sich die Kraft zu größeren Auf-
gaben gewachsen. Sein erstes Bild aus dein Sagenkreise
des russischen Volkes, „Das Schlachtfeld", erregte zunächst
nur betroffenes Stillschweigen bei presse und Publikum.
Es war aber auch nicht zu verwundern. Das russische
Kirchenbild trat aus der stillen Zurückgezogenheit seiner
Kuppelkirchen, vermählte sich mit den Errungenschaften
inoderner Technik und wurde so zu einem wirklichen
Kunstwerke. Zu einem alle Themen und Stoffe um-
fassenden Stile, der, seine Nuance vom betreffenden
Stoffe erhaltend, von einer tiefen russischen Inbrunst be-
seelt wurde! Roth liegt die Sonne über dem Felde der
Schlacht. Und oben in der Luft setzen die Adler den
Kampf fort, dem die Helden dort unten zum Opfer
gefallen sind. Die ganze Größe der herben und doch
so zarten Wasnezow'schen Linienführung ist bereits in
diesem Bilde und eine wundersame Ruhe der Farbe.
Aehnlichen Volksmärchen entnommene Stoffe behandelte
der Künstler in „Der fliegende Teppich" und „Die prin-
zinnen der drei Reiche des Kupfers, Silbers und
Goldes", während sein Wandgemälde „Die Steinzeit"
im ersten Saale des Moskauer historischen Museums als
eine großartige dekorative Phantasie zu bezeichnen ist,
von Kühnheit in den Formen und höchst lebendiger
Farbe.
All' diese Bilder aber machen noch nicht die eigent-
liche Größe Wasnezow's aus. Die zeigt sich erst in
seinen Kirchenbildern. Als ihm die Ausschmückung der
Wladimir-Kathedrale zu Kiew übertragen wurde, ge-
wann er sein ureigenstes Gebiet.
Tiefste Religiosität ist eine der durchdringendsten
Eigenschaften russischen Nationalcharakters, sie gehört
wie nirgends anders aufs Unzertrennlichste zum Volks-
typus. Darum mußte dem russischen Volke alle Kunst
so fremd bleiben, weil sie unreligiös oder sogar anti-
religiös war. Hier vor Wasnezow's Bildern in der
Kathedrale zu Kiew aber fand der Russe wieder
Fühlung mit der Kunst, die bis jetzt „da draußen
irgendwo" gewesen war und dem Volke als Greuel
und heidnisch galt. Denn Wasnezow beherrscht all'
die technischen Errungenschaften, durch die Frankreich
so groß war in der Kunst, aber er ließ sich nicht von
ihnen beherrschen. Er war und blieb Nationalrusse.
Zu weit fortgeschritten, um ein sklavischer Nachahmer
des alten russischen Kirchenbildes zu werden, studirte
er es aufs Genaueste, bis sein ganzer Geist davon er-

füllt war, und ließ es dann durch das Medium der
modernen Technik in herrlicher Verjüngung zu uns
sprechen! Er besaß den kecken Muth, all' die Tünche,
die das westeuropäerthum seit langen Jahren auf das
russische Wesen geschüttet hatte, so daß dies der Welt
verborgen blieb, keck beiseite zu räumen und Rußland
wieder in seiner ganzen Eigenart reden zu lassen. Es
ist ein unendlich erhabener Eindruck, der vom Inneren
der Kiewer Kathedrale auf Alle, auch auf den West-
europäer, ausgeht. Eine große Kunst, die Weltkunst be-
deutet, eben weil sie so durch und durch national ist,
hat zu uns gesprochen, und man hört eine solche Sprache
nicht allzu häufig.
Wasnezow's Kirchenbilder sind eine so einzigartige
Erscheinung in der russischen Malerei, weil ihr Schöpfer
der einzige russische Künstler ist, der sich ständig seine
Nationalität zu wahren verstand. Darum hedeuten für
den griechisch-katholischen Christen die Madonna und
die wunderbaren Thristusbilder in der Kathedrale zu
Kiew dasselbe, was für den römischer: Katholiken etwa
die sixtinische Madonna bedeutet. Mm: nehme das
nicht als Uebertreibung. Wasnezow wandte sich wieder
der Märchenmalerei zu und hat da noch vieles Schöne
geschaffen, so „Sirim und Alkonost", „Aljenuschka" und
andere. Nichts davon erreicht auch nur annähernd
seine Kiewer Kirchenbilder. Uns Westeuropäern aber,
die wir lange Zeit der russischen Kunst mit ungerechten
Vorurtheilen als einer Nachahmerkunst gegenüberstanden,
sollte es Pflicht sein, unseren Irrthum zu verbessern
und den Namen Wasnezow's unter die der anderen
großen Künstler zu setzen, die nicht nur ihrem Vater-
lande angehören, sondern der Kulturmenschheit.
Wasnezow hatte das Glück, in den: s862 ge-
borenen M. w. Nesterow einen wenn auch nicht eben-
bürtigen, so doch werthvollen Schüler zu finden, der
das Werk des Meisters fortzusetzen und auszubauen im
Stande ist. Seine Berühmtheit verdankt er hauptsäch-
lich den: Bilde „Der Knabe Bartholomäus", mit dem
er sich neben Wasnezow als ein beinahe Ebenbürtiger in
die Reihe der größten Künstler Rußlands stellte. Auch
schmückte er mit Wasnezow zusammen die Wladimir-
Kathedrale zu Kiew aus. was Beide von einander
scheidet, ist, daß Wasnezow's Glaube ein trotziger und
kriegerischer ist, während Nesterow mehr von einem
demüthigen Thristenthum beseelt ist; dementsprechend
ist Letzterer ein mehr lyrischer Maler, während seinem
Meister vor Allem starke dramatische Accente eignen.
Des Schülers Hauptwerk ist die Ausschmückung der
Kathedrale von Abas-Tuman im Kaukasus. Vor Allem
ist das Bild der größten Heiligen Grusiens, der heiligen
Nina, von gewaltiger Schönheit.
Leider liegt die Kathedrale so abseits von der
große:: Heerstraße, daß nur wenige zum Genüsse dieses
Meisterwerkes zu gelangen vermögen. Hier aber ent-
springen die (Quellen nationaler russischer Malerei.
W
Lsrl Offner.
Mit Abbildung.)
^er es unternimmt, über den Entwicklungsgang
des Leipziger Bildhauers Larl Seffner zu
berichten, ist genöthigt, das alte Lied von Noth
und Entbehrung und schwerem Ringen nut drückenden
 
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