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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

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Heft XI (November 1907)
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Thiersch, Friedrich von: Künstlerische Erziehung der Techniker
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https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0134

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Wünsche auszusprechen und sie zur Verwertung solchen Männern zu überlassen,
■welche dienstlich oder aus Neigung an dem Wettstreit der Geister teilnehmen.
Fast auf allen Lehrgebieten der Gegenwart offenbart sich ein merklicher Um-
schwung, welcher auf die Seite der praktischen Ausbildung abzielt: Mit lebhaftem
Nachdruck wird neben den Fächern der allgemeinen Bildung auch das unmittel-
bare Verhältnis des Menschen zu der ihn umgebenden sachlichen Welt zu fördern
gesucht. Durch Anschauungs- und Zeichenunterricht, durch Handfertigkeits- und
gewerbliche Uebungen, durch praktische Arbeit in Laboratorien und Lehrwerkstätten
ist man bestrebt, Lücken auszufüllen, welche der einseitige abstrakte Unterricht
bisher unbeachtet gelassen hatte.
Aufsehenerregend sind in dieser Hinsicht die Wandlungen schon in der Volks-
schule. Durch die bahnbrechende Tätigkeit unseres Stadtschulrates Dr. Kerschen-
steiner ist der Nachweis erbracht worden, dass die Steigerung praktischer Fähig-
keiten schon im kindlichen Alter spielend gefördert werden kann, ohne dass die
anderen Entwicklungen darunter leiden. Im Gegenteil! Auf jeden lernenden
Menschen wirkt die Abwechslung in der geistigen Tätigkeit, namentlich aber der
Wechsel zwischen der Aufnahme abstrakter Begriffe und der Beobachtung und
Wiedergabe äusserer Eindrücke anregend und belebend. Ein frischer Hauch freudiger
Bewegung geht durch die Volksschule und er berührt Lehrer wie Schüler.
Die Erfolge auf dem elementaren Schulgebiet sind so mächtig, dass sie uns
allen zu denken geben. Ein guter Anfang ist gemacht und es ist dringend zu
hoffen, dass die Einwirkung auf die Ausgestaltung des Mittel- und Hochschulwesens
nicht ausbleiben werde.
Der Kampf um die Volksschule, die Fortbildungs-, Handfertigkeits- und niederen
Gewerbeschulen scheint einer leichteren Klärung der Fragen entgegenzugehen.
Heftiger lodert der Streit um den Ausbau unserer Mittelschulen.
Gestützt auf seine alten Vorrechte kämpft das humanistische Gymnasium um
seinen intakten Bestand. Fühlt es sich doch mit Hecht gemeinsam mit der Universität
als der wichtigste Träger antiker Bildung und damit auch als der Träger der auf
ihren Schultern stehenden Kultur der Neuzeit. Aber der starke Andrang der
Forderungen des modernen praktischen Lebens hat schon einen gewissen Wandel
gebracht.
Dem Realgymnasium und der Oberrealschule sind in mancher Hinsicht gleiche
Berechtigungen für das Hochschulstudium zugestanden worden. Bei der Reorganisation
der Mittelschule dreht sich der Streit vorwiegend um die Frage, wie weit Mathematik
und Naturwissenschaften grundlegend für das höhere Studium behandelt werden
sollen, und das Interesse für die praktisch-künstlerische Entwicklung des Schülers
ist stark in den Hintergrund gedrängt. Die Reformbewegung strebt eine Mittel-
schule an, welche, auf dem Unterbau des Gymnasiums errichtet, der ganzen gebildeten
Klasse des Bürgerstandes dienen soll und bei welcher die Gabelung zugunsten der
gelehrten und der praktischen Berufswahl erst in den oberen Klassen erfolgt.
Auf solche Fragen hier im einzelnen einzugehen, würde zu weit führen. An
die Männer aber, die berufen sind, in der Reorganisation der Mittelschule mitzu-
wirken, appelliere ich aus warmem Herzen, sie möchten nicht übersehen, wie un-
gemein wichtig neben der Fliege der Mathematik und der Naturwissenschaften auch
die der praktischen und künstlerischen Fähigkeiten ist. Dass bisher
nur eine sehr geringe Förderung dieser Fähigkeiten in der Mittelschule möglich
war, zeigen uns Hochschullehrern beispielsweise die Resultate im Zeichnen.
Wenn nun auch der lebhafte Wunsch besteht, die freiere und tiefere Ent-
wicklung dieser Fähigkeiten an den deutschen technischen Hochschulen berück-
sichtigt zu wissen, so kann ich dies nicht begründen, ohne in Kürze die Gesamt-
lage unserer Hochschulen zu berühren.
Vor allem möchte ich der Ueberzeugung Ausdruck geben, dass die technische
Hochschule ihren wissenschaftlichen Charakter hochhalten muss, wrenn sie nicht die
Stellung neben der Universität als Trägerin unserer Kultur wiederum einbüssen
will. Auf der ganzen Welt wird anerkannt, dass die hohe und geachtete Stellung
 
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