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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

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Heft 7 (Juli 1928)
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Klauss, Otto: Zur Psychologie des plastischen Gestaltens im Kunstunterricht: ein Beitrag zu der Frage "Versiegt die Gestaltungskraft mit dem Eintritt des jungen Menschen in die Geschlechtsreife?"
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https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0211
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Urlpniniilicherc iein wird —, üer mujz mindestenä
veriuchen, den Mikkelwen einzuschlagen, der dem
'Zluddrncksdrang zum Nechk verhilfk und üaL „Pla-
stische" krohdem varbereikek. Bei solcher Schuiung
wird die Altersmundart mit einkretender Neife auch
auf dielem Geblet nakurgemcist und ohne verfrkihte
Gewalksamlieit zur Sprache werden, die versuchen
kann, sich likinstlerisch auszudrüclren.

Die Arbeiten der Oberkertia (Tafel II und III,
erske Neihe) zeigen bereits ein anderes Bild.

Der Drang, das Weltbild in seiner wirlrlichen Er-
icheinung zu erobern, der auf der Mitkelstufe mächtig
einseht, äufzert sich hick in der Neigung die Dorstel-
lung am Erscheinungsmästigen fortwährend zu kon-
trollieren. Die oft öamit verbundene Enkmukigung
kann zu jenen Hemmungen fiihren, die den Selbst-
drang zum phankasiemäblgen Gestalten unterbinden.
Aber sie müsfen es nicht, und werden es nichk bei
verständlger Anleikung üurch üen menschlich und
künstlerisch mitfühlenden Lehrer. Än Gegenteil: Die
Phantasie wird akkiv. Lharakleristische Einzelzüge
des Tieres werüen absichtlich ausgewählt und zum
Äufbau des Gesamkbiloes geschickt verwertek. An
der liünstlerischen Täkiglreik nnd am Materialgesetz
entzündet sich üie liünstlerische Dorstellung. Die Er-
findungskraft wird neu angeregk vom Gefühl für das
Organische. An der Eindringlichlieik, mit üer dieses
phankastische Känguruh, das „chinesische" Nashorn
darüber, der Schildkrötenreiker, üer lrläffende Hund
und das vergniigke Entchen likinstlerlsch gesehen und
gestalkek sind, liönnen wir den Grad der Erfindungs-
krast dieser 14- und 15jährigen Schüler ablesen! Eine
Nückbilüung hat jeöenfalls noch nichk eingesetzt!

Und ebenso veryält es stch mit üen Leistunaen der
Obersekunda, die auf Tafel III (2. und 3. Reiye) und
IV abgebildet sind. Ein Fortschritt im Sinne -er
wirlrlichkeitsgetreuen Körpergettallung ist augen-
scheinlich. Damit hat höchstens die wilde Phantastilr
ein Ende gefunden, die wahre Phankasielrraft aber,
die zur Gestalkungskrafk geworden ist, blüht unver-
kümmert weiter. Die elemenkaren Züge der Plastik,
grotzgesehene, zusainmeiifassende Grenzllnle und ge-
schwellte Form klinden sich überall an. Das organische
Fkihlen ist noch stärker wahrzunehmen als auf der
Mitkelstufe und wird als nokwendige Grenze der
airäschiveifenden Phantasie empfunden. Der Oberflä-
chengeskaltung, üie der jüngere Schüler vorwiegend
mit dem Mittel der Farbe vollzieht, wird nun beson-
dere Aufmerlisamkeit geschenlrt. Weichteile und Pan-
zerung werden streng geschieden, grobe organische Un-
möglichlreiten vermieden. Der Schüler versucht die
Linzelform der Gesamtform unterzuordnen, wagt sich
an üie Lösung der Frage nach Einheik von Skoff und
Form und gewinnt bei der Arbeit das Derhältnis
zum Werksioff, das ihn auch dem Begriff des Plasti-
schen oft recht nahe bringt. Damit ist die Form- und
stdeenphantLstlkderQuintanerzurbewuhkenGeskaltung
forkgeschrltten,üie allein zur Kunstgestalt führen kann.

Unsere Abbildungen, die durchweg Querschnikte
ganzer Klassenleiskungen darstellen, und die die Ar-
beiken der verschiedensten Begabungen in jeder Klasse
-zeigen, lassen deutlich in Erscheinung treten, wie
langsam und verschleierk dieser Dorganckdes psycholo-
giichen Neifens und gestalknerischen Werdens vor
sich geht. Säzon auf üer Unkerskufe zeigen sich neben
den naiv-sponkanen Normallelstungen dieses Alters
die kiberlegenden, ordnenden. Auf der Oberltufe
sehen wlr die Arbeik des noch rein naiv Gestalken-

den (Taf. III, 2. Neihe a) neben all den klar das er-
scheinungsmätzig Mögliche ansirebenden Arbeiten sei-
ner Klastenliameraden. Derfrühungen und Derzöge-
rungen dürfen unser psychologisches Urkeil, das aus
dem Allgemeingültigen Schlüsse ziehen will, nicht trü-
ben. Woyl kann die Sonderleistung eines Quintaners
der schwachen Leistung eines Obersekundaners llber-
legen sein, weil seine Phantafie- und Gestaltungs-
ckraft an sich schon skärker isi (und durch üas ganze
Leben hindurch bleiben wtrd. Die Tatsache, datz die
Geskalkungskraft des älteren Schülers im Durch-
schnitt gegenüber üer des jüngeren einen Fortschrikt
aufweist, wirü dadurch nicht berührt. Sofern die
Keimzelle der Phantasiekraft überhaupt lebensfähig
und enkwicklungsfchig ist, wird das Adsterben dieser
werkvollen Gabe nicht zu befürchten sein. Datz sie
Pflege und Uebung verlangt, um stark zu bleiben,
ist eine Doraussetzung, die regslmäßig übersehsn
wirö, wenn sie gemessen werden soll.

Die zusammenfassende Schlußfolgerung dieser Aus-
führungen sei üer eindringlichen Sprache der Abbil-
dungen llberlassen, in der Ueberzeugung, dah sie auch
den bisher Zweifelnden „durch üen üichten Wust der
Voreingenommenheiten" hindurch zu der Feststellung
ftihren wird, dah die Gestalkungslrräfte unserer Schü-
ler auch mit dem Einkreken in die Geschlechtsreife
nicht versiegen.

Anhang: Da eine gewisse Erschwerung des äutze-
ren Unkerrichtsbekriebes besonders bei grohen Klassen
iinmer noch die gröhke Hemmung zur Äufnahme pla-
stischer Geskaltungskibungen in den Klassenun-
kerricht bedeuten, seien hier lrurz einige Einrich-
tungen angegeben, die sich bewährt yaben. Das For-
men mik Plastiline ist im Kunstunterricht gänzlich zu
verwerfen. Es erzieht zur „Kondikoreiplastlk", ist mik
Recht schon als unappekikilch und charakkerlos be-
zeichnet worden, und hat den Nachteil, datz das Ge-
stalkete immer wieder zerstört werden mutz. Das lst
vor allem fllr üas Kind unbefriedlgend und kriebhem-
mend. Die Wahl des Tones als Modelliermikkel ist
geradezu VorauSsetzung filr die Erziehung zum Pla-
stischen (das Gestalken in Holz und Gips wird neben-
her gehen). Zur Feuchthaltung des Tones aber tst eine
mik Blech ausgeschlagene Tonkiste notwendig, wenn
man den teuren und fchmutzigen Ausweg vermeiden
will, datz sich jeder Schlller seinen Tonklumpen beim
Töpfer holt. Einen reibungslosen Unkerrlchksbekrieb
ermöglicht das Anschaffen einer zweiten Tonkiste
(zirka 50 X 50 X 80 — l : br : h), die es beim Ein-
hängen von Bretkern mit starken Schnüren in ver-
fchiedener Höhe gestatket, sämtliche Arbeiten der
Klasse bis zur nächsten oder übernächsten Skunde
feuchkzuhalken. Unsere Kurzstunden und Vollklassen
verlangen eln nochmaliges Uebersehen nach der
wöchenklichen Pause. Dieses Derfahren hat noch dazu
den Dorkeil, den Schüler vor der blotz andeukenden
Skizzenmanier und -manie zu bewahren, und ihm Ge-
legenheit zu geben, eine angefangene Arbeit wei-
kerzuführen. Äls Modellierunkeriagen sind Bretkchen
(30x40 Zentimeker, 1 Zenkimeker stark) üem Linoleum
unbedingk vorzuziehen. Die Herstellung kann ja in vie-
len Schulen der Schreinerkursus tibernehmen, der
unter Umständen auch die Tonkiske herstellen könnke.

Wenn die Schüler von üer ersten Klasse an zur
Reinlichkeit erzogen werden (Derbot des Werfens
mit Ton, Abwaschen der Tische und feuchkes Abrei-
ben der Bretkchen), wird für Lehrer und Schüler das
Gestalten in Ton elne Lusi seln.
 
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