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Geht man, umgekehrt, von der Peripherie aus: so er-
wartet man eine Auflösung der widersprechenden Mo-
mente im Mittelpunkt, findet aber nur eine theilweise
Mischung derselben im Prediger- die für den Sinn er-
greifend, für den Verstand deutlich, nicht aber für den
Geist erfüllend und erhebend ist. Daher fühlt man sich
nicht am Ende, nicht im Reinen. Das Gemälde erschöpft
die angeregten Eindrücke nicht. Ich hörte daher öfter
sagen: die Composition sei) nicht genug geschlossen; wenig-
stens auf der linken Bildseite sepen die Linien zu gleich-
artig widerholt, der Raum zu wenig ausgefüllt. Andere
suchten den Grund einer gewissen Zerstreuung darin, daß
die Farbenwirkung nicht genug cvncentrirt scy. Meines
Erachtens sind dies nur secundare Hindernisse einer im
Ganzen sehr schöne» Zeichnung und Malerei, und liegt
vielmehr, daß es zu keiner vollen Sammlung des Ein-
drucks und geschlossenen Vertiefung kommen kann, in der
Bedeutungsverfchiedenheit der Momente des Gegenstandes
für Empfindung und Einsicht, in dieser Coordinativn von
Zuständen und Charakteren, welchen in Wahrheit nur
eine gleiche Meinung und Gewalt, nicht eine gleiche Idee
zu Grunde liegt. Aus dieser Ursache konnte weder ei»
einzelner Punkt im Gemälde zum sichtbar vollen Mittel-
pnnkt der höchsten Bedeutung erhoben, noch durste eine
einzelne Gestalt wahrhaft großartig, noch das Ganze eine
erhabene Scene werden; sonder» der einmal gewählten
Aufgabe gemäß möchte der Künstler sowohl die einzelnen
Figuren als die ganze Composition so behandeln, daß
sein eigener Verstand (so wie der des durch ihn Anschanen-
den) über den Vorgestellten, erkennend und unparteiisch
über ihnen steht, und das Gefühl wohl mannichfaltig
angeregt, aber nicht mit seiner eigenen ganzen Mensch-
lichkeit in die ganze Handlung hineinverflochten wird. —
Nun kommt aber niemals eine tragische Befriedigung,
eine tiefe Versöhnung zu Stande, wo nicht die ganze
Vorstellung als allgemein menschliche, somit als eigenste
Erfahrung, bis in die Wurzeln der Seele empfunden
worden ist. Da das Leztere hier einmal nicht sevn konnte,
da dieser Fanatismus in seiner Wahrheit uns nur theil-
weise anziehen, theilweise abstoßen kann und im Ganzen
wieder frei lassen muß: so konnte auch die Versöhnung
in der Darstellung nur eine formelle werden. Andacht
oder sachliches Behagen können wir hier nicht empfinden;
aber die Klarheit der Charakteristik und die unparteiische
Ausführlichkeit und Sauberkeit des Vortrags kann dem
Verstände und dem Auge und der besonderten Empfindung
anmuthen. 2» so fern dies eigentlich die Stimmung des
Künstlers ist, der sich für die verschiedenen Seiten des
Gegenstandes interessiren kann, an ihren besonderen Zü-
gen mit eindringendem Verstände und schöpferischer Liebe
sich bethätigen und in der Ausführung der mannichfalti-
gen Erscheinung mit Wärme und Fleiß verweilen kann:
in so fern ist hier wieder die elegische Form vorhanden,
die Form eines Bewußtseynö, welches im Mannichfaltigcn
und Widersprechenden eine Beschäftigung und Befriedi-
gung seines Sinnes, seines Verstandes, seiner Kraft,
seiner Menschlichkeit selber findet. Ganz dem gemäß ist
die Technik des Lessing'schen Bildes beschaffen. Sie
gibt dem theils furchtbaren, theils rührenden, theils ver-
ständig interessirenden Charakterstück eine allseitige Farben-
reinlichkcit, Glätte und Blüthe der Erscheinung, die, im
Gegensatz mit den düster», wilden, stäubenden und schat-
tenden Momenten, die in der Natur der Sache und
Geschichte liegen, dem Anschauenden mit einer sanften
Heiterkeit und mannichfaltigcn Anmuth entgegenscheint.
Es ist dies gleichsam ein Ueberzug von Versöhnung; einer
Versöhnung, welche nicht in der objectiven Scene, son-
dern in der freien Stimmung, den, klaren Verstände und
ruhig-reinen Blick des Künstlers gegeben ist. — Diese
elegische Klarheit mildert das Furchtbare des Gegenstan-
des, sie verschmilzt auch den Reiz jener bewundernswürdig
scharfen Charakteristik mit einer allgemeineren Stimmung;
sie dampft sowohl das Gewaltsame als das Zerstreuende.
So geschieht es, daß der Sinn eingenommen und der
Geist, unter Anmahnungen des Tragischen, zwischen Ur-
theil und Wehmuth gewiegt wird. Aber wir fassen nicht
Fuß auf dem Boden einer großen Geschichte; wir schweben
im reichen Geiste des Künstlers. — Also auch hier ist,
streng genommen, der Stoff zwar historisch, aber nicht
ideal (seine Idee geht über die Erscheinung hinaus); die
Form zwar ideal, aber nicht historisch (der vorstellende
Sinn ist ein anderer als der der Geschichte). Der Ver-
stand ist historisch, der Stpl lyrisch. —
(Die Fortsetzung folgt später.)
Nachrichten vom Januar.
Denkmäler.
tlom. Am 2i. December wurde in der Bastlica Vati-
cana das Marmordenkmal, welches der jetzige Pabst seinem
Vorgänger Leo All. errichtet hat, ein Werk des Ritters
Fabris, enthüllt. - Der Pabst ist stehend dargestellt, wie
er dem Volke den Segen crtvcilt.
Dresden, rg. December. Gestern Vormittags 11 Uhr
fand die feierliche Enthüllung des Monuments des verstor-
bene» Königs Anton statt, zu welchem man an dessen 8t.
Geburtstage den Grundstein gelegt hatte. Die gclnngene,
in dem dem Freiherr» v- Bnrgk gehörigen Eisenwerke (im
Plaucn'sche» Grunde) gearbeitete, gegen t2 Centner schwere
Büste ruht auf einem polirten Granitwürftl von 68 Centner
Schwere, auf dessen Vorderseite mit metallenen Buchstaben
die Inschrift: „Anton dem Gütige», von den Bewohnern
der Fricdrichsstadt, den XXVII. December MDCCCXXXV.“
angebracht ist.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Schorn.
Geht man, umgekehrt, von der Peripherie aus: so er-
wartet man eine Auflösung der widersprechenden Mo-
mente im Mittelpunkt, findet aber nur eine theilweise
Mischung derselben im Prediger- die für den Sinn er-
greifend, für den Verstand deutlich, nicht aber für den
Geist erfüllend und erhebend ist. Daher fühlt man sich
nicht am Ende, nicht im Reinen. Das Gemälde erschöpft
die angeregten Eindrücke nicht. Ich hörte daher öfter
sagen: die Composition sei) nicht genug geschlossen; wenig-
stens auf der linken Bildseite sepen die Linien zu gleich-
artig widerholt, der Raum zu wenig ausgefüllt. Andere
suchten den Grund einer gewissen Zerstreuung darin, daß
die Farbenwirkung nicht genug cvncentrirt scy. Meines
Erachtens sind dies nur secundare Hindernisse einer im
Ganzen sehr schöne» Zeichnung und Malerei, und liegt
vielmehr, daß es zu keiner vollen Sammlung des Ein-
drucks und geschlossenen Vertiefung kommen kann, in der
Bedeutungsverfchiedenheit der Momente des Gegenstandes
für Empfindung und Einsicht, in dieser Coordinativn von
Zuständen und Charakteren, welchen in Wahrheit nur
eine gleiche Meinung und Gewalt, nicht eine gleiche Idee
zu Grunde liegt. Aus dieser Ursache konnte weder ei»
einzelner Punkt im Gemälde zum sichtbar vollen Mittel-
pnnkt der höchsten Bedeutung erhoben, noch durste eine
einzelne Gestalt wahrhaft großartig, noch das Ganze eine
erhabene Scene werden; sonder» der einmal gewählten
Aufgabe gemäß möchte der Künstler sowohl die einzelnen
Figuren als die ganze Composition so behandeln, daß
sein eigener Verstand (so wie der des durch ihn Anschanen-
den) über den Vorgestellten, erkennend und unparteiisch
über ihnen steht, und das Gefühl wohl mannichfaltig
angeregt, aber nicht mit seiner eigenen ganzen Mensch-
lichkeit in die ganze Handlung hineinverflochten wird. —
Nun kommt aber niemals eine tragische Befriedigung,
eine tiefe Versöhnung zu Stande, wo nicht die ganze
Vorstellung als allgemein menschliche, somit als eigenste
Erfahrung, bis in die Wurzeln der Seele empfunden
worden ist. Da das Leztere hier einmal nicht sevn konnte,
da dieser Fanatismus in seiner Wahrheit uns nur theil-
weise anziehen, theilweise abstoßen kann und im Ganzen
wieder frei lassen muß: so konnte auch die Versöhnung
in der Darstellung nur eine formelle werden. Andacht
oder sachliches Behagen können wir hier nicht empfinden;
aber die Klarheit der Charakteristik und die unparteiische
Ausführlichkeit und Sauberkeit des Vortrags kann dem
Verstände und dem Auge und der besonderten Empfindung
anmuthen. 2» so fern dies eigentlich die Stimmung des
Künstlers ist, der sich für die verschiedenen Seiten des
Gegenstandes interessiren kann, an ihren besonderen Zü-
gen mit eindringendem Verstände und schöpferischer Liebe
sich bethätigen und in der Ausführung der mannichfalti-
gen Erscheinung mit Wärme und Fleiß verweilen kann:
in so fern ist hier wieder die elegische Form vorhanden,
die Form eines Bewußtseynö, welches im Mannichfaltigcn
und Widersprechenden eine Beschäftigung und Befriedi-
gung seines Sinnes, seines Verstandes, seiner Kraft,
seiner Menschlichkeit selber findet. Ganz dem gemäß ist
die Technik des Lessing'schen Bildes beschaffen. Sie
gibt dem theils furchtbaren, theils rührenden, theils ver-
ständig interessirenden Charakterstück eine allseitige Farben-
reinlichkcit, Glätte und Blüthe der Erscheinung, die, im
Gegensatz mit den düster», wilden, stäubenden und schat-
tenden Momenten, die in der Natur der Sache und
Geschichte liegen, dem Anschauenden mit einer sanften
Heiterkeit und mannichfaltigcn Anmuth entgegenscheint.
Es ist dies gleichsam ein Ueberzug von Versöhnung; einer
Versöhnung, welche nicht in der objectiven Scene, son-
dern in der freien Stimmung, den, klaren Verstände und
ruhig-reinen Blick des Künstlers gegeben ist. — Diese
elegische Klarheit mildert das Furchtbare des Gegenstan-
des, sie verschmilzt auch den Reiz jener bewundernswürdig
scharfen Charakteristik mit einer allgemeineren Stimmung;
sie dampft sowohl das Gewaltsame als das Zerstreuende.
So geschieht es, daß der Sinn eingenommen und der
Geist, unter Anmahnungen des Tragischen, zwischen Ur-
theil und Wehmuth gewiegt wird. Aber wir fassen nicht
Fuß auf dem Boden einer großen Geschichte; wir schweben
im reichen Geiste des Künstlers. — Also auch hier ist,
streng genommen, der Stoff zwar historisch, aber nicht
ideal (seine Idee geht über die Erscheinung hinaus); die
Form zwar ideal, aber nicht historisch (der vorstellende
Sinn ist ein anderer als der der Geschichte). Der Ver-
stand ist historisch, der Stpl lyrisch. —
(Die Fortsetzung folgt später.)
Nachrichten vom Januar.
Denkmäler.
tlom. Am 2i. December wurde in der Bastlica Vati-
cana das Marmordenkmal, welches der jetzige Pabst seinem
Vorgänger Leo All. errichtet hat, ein Werk des Ritters
Fabris, enthüllt. - Der Pabst ist stehend dargestellt, wie
er dem Volke den Segen crtvcilt.
Dresden, rg. December. Gestern Vormittags 11 Uhr
fand die feierliche Enthüllung des Monuments des verstor-
bene» Königs Anton statt, zu welchem man an dessen 8t.
Geburtstage den Grundstein gelegt hatte. Die gclnngene,
in dem dem Freiherr» v- Bnrgk gehörigen Eisenwerke (im
Plaucn'sche» Grunde) gearbeitete, gegen t2 Centner schwere
Büste ruht auf einem polirten Granitwürftl von 68 Centner
Schwere, auf dessen Vorderseite mit metallenen Buchstaben
die Inschrift: „Anton dem Gütige», von den Bewohnern
der Fricdrichsstadt, den XXVII. December MDCCCXXXV.“
angebracht ist.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Schorn.