2b 21
K u n s t - D l a t t.
wienstag, den 14, Mär? 1837,
Briefliche Mittheilungen allgemein-kuntt-
rviffenfchaktlichen Inhalts aus den Gemälde-
tammlungen von Berlin und Dresden.
Zweiter Brief.
(Aeltere Florentiner und Sienestr.)
Es ist so ziemlich dafür gesorgt, daß man die Psyche
als Raupe und als Puppe sehen kann. Byzantinisch-
griechische Madonnen und ihre russischen Abgüsse eröffnen
den Reigen. Es sind freilich garstige Bilder und ich will
Dich heute, wo ich obendrein Herz und Sinne sonst voll
habe, nicht damit plagen; aber vorübergehen darf man
doch nicht, es sind Samenkörner von gutem Waizen drin,
nur auf schlechten Boden gefallen; und das abgerechnet,
lernen nicht die Naturforscher sehr viel — Manche mei-
nen das Meiste — von Mißgeburten?
Du weißt aber, wohin es mich immer zieht; in jene
vom Glanze zweier Welten erleuchtete Zeit, über die die
ausgehende Sonne die belebenden Strahlen sandte, während
der Schimmer des Mondes noch auf den Traumbildern
heiliger Nächte ruhte; ich meine jene Periode der christ-
lichen Kunst, da sie anfing, die Bedeutung des Lebens
und der Natur zu erkennen, aber noch unbewußt von der
Erinnerung früherer Anschauungen geleitet wurde. Noch
haben wir in Deutschland nirgend einen Punkt gehabt,
von dem aus wir einen Blick in diese an Wundern der
Kunst reiche Epoche hätten werfen können. Das Berliner
Museum ist der erste, und schon um deßwillen betrat ich
es mit Andacht. Freilich sprach sich der Genius des vier-
zehnten Jahrhunderts frei und eigenthümlich nur im
großen Epos und Drama aus und bedurfte große Räume
für die Fülle seiner Anschauungen, für die Menge seiner
Gestalten; doch rührte er zuweilen auch die Saiten der
Lyra und auch die kleinsten Schöpfungen sind aus ihm
geboren. Nur muß man diese nicht für die einzigen oder
größten halten, ein Dutzend Mondsteine in einem Cabinet
für den Mond.
Es fehlen nur wenige Namen der Großen aus der
Giotto'schen Periode (namentlich Andrea di Cione und
Symon von Siena). Von Giotto selbst sind zwei Bild-
chen da (145. 146.), die in die Doppelfolge von Darstel-
lungen aus dem Leben Christi und des' h. Franz gehören,
welche die Florentiner Akademie zum Theil weniger be-
wahrt als vergräbt, und die ehedem die Sakristeithüren
in S. Crocc schmückten. Das Technische von Giotto's
Staffeleibildern, wie es Hr. v. Rumohr so genau bezeich-
net, kann man hier genau erkennen, so wie seine kräftige
Auffassung des Gegenstandes und Bezeichnung der Affecte,
z. B. in der um die Wiedererweckung ihres Kindes fle-
henden Mutter.
Ein anderes, das mich wegen seiner Innigkeit und
Entschiedenheit, immer an sich zieht, ist im Seitenzimmer
unter Nr. 2 aufgeführt und im Katalog als „dem Giotto
in Zeit und Art sehr nahe verwandt" bezeichnet.
Es sind halbe (aber dreiviertel lebensgroße) Gestalten;
„Maria hält stehend das bekleidete Christuskind, welches
die Rechte der Mutter faßt, auf dem linken Arm." Kind
und Mutter sehen einander an, ersteres heiter aufmun-
ternd, leztere wehmnthig lächelnd.. Das Kind langt nach
der Halsbekleidung der Mutter, die in Rosa mit weißen
Blumen gekleidet, mit einem schwarzen Mantel umgeben
ist; Schristzeichen, die ich nicht cnträthseln kann, verzie-
ren den Busensaum des Kleides; das Colorit ist licht-
blühend und warm. Bei einem Meister, dessen Größe
in der Erfindung von Geschichten, im Reichthum der
Gedanken und Allegorien rc. bestand, und von dem nur
wenige beglaubigte Staffeleibilder vorhanden, ist es natür-
lich schwer, ein einzelnes einfaches Bild ihm zu- oder
abzusprechen. Seiner Richtung gehört es an, eine Mei-
sterhand hat es geschaffen; tiefes Gefühl spricht aus allen
Zügen und ursprünglicher Geist belebt es. Doch ich finde
sogleich Gelegenheit, mich mehr über diesen Gegenstand
auszusprechen.
Unter de» andern ältern Bilder», zu denen ich mit
nie ermüdender Liebe stets zurückkchre, nenne ich Dir
K u n s t - D l a t t.
wienstag, den 14, Mär? 1837,
Briefliche Mittheilungen allgemein-kuntt-
rviffenfchaktlichen Inhalts aus den Gemälde-
tammlungen von Berlin und Dresden.
Zweiter Brief.
(Aeltere Florentiner und Sienestr.)
Es ist so ziemlich dafür gesorgt, daß man die Psyche
als Raupe und als Puppe sehen kann. Byzantinisch-
griechische Madonnen und ihre russischen Abgüsse eröffnen
den Reigen. Es sind freilich garstige Bilder und ich will
Dich heute, wo ich obendrein Herz und Sinne sonst voll
habe, nicht damit plagen; aber vorübergehen darf man
doch nicht, es sind Samenkörner von gutem Waizen drin,
nur auf schlechten Boden gefallen; und das abgerechnet,
lernen nicht die Naturforscher sehr viel — Manche mei-
nen das Meiste — von Mißgeburten?
Du weißt aber, wohin es mich immer zieht; in jene
vom Glanze zweier Welten erleuchtete Zeit, über die die
ausgehende Sonne die belebenden Strahlen sandte, während
der Schimmer des Mondes noch auf den Traumbildern
heiliger Nächte ruhte; ich meine jene Periode der christ-
lichen Kunst, da sie anfing, die Bedeutung des Lebens
und der Natur zu erkennen, aber noch unbewußt von der
Erinnerung früherer Anschauungen geleitet wurde. Noch
haben wir in Deutschland nirgend einen Punkt gehabt,
von dem aus wir einen Blick in diese an Wundern der
Kunst reiche Epoche hätten werfen können. Das Berliner
Museum ist der erste, und schon um deßwillen betrat ich
es mit Andacht. Freilich sprach sich der Genius des vier-
zehnten Jahrhunderts frei und eigenthümlich nur im
großen Epos und Drama aus und bedurfte große Räume
für die Fülle seiner Anschauungen, für die Menge seiner
Gestalten; doch rührte er zuweilen auch die Saiten der
Lyra und auch die kleinsten Schöpfungen sind aus ihm
geboren. Nur muß man diese nicht für die einzigen oder
größten halten, ein Dutzend Mondsteine in einem Cabinet
für den Mond.
Es fehlen nur wenige Namen der Großen aus der
Giotto'schen Periode (namentlich Andrea di Cione und
Symon von Siena). Von Giotto selbst sind zwei Bild-
chen da (145. 146.), die in die Doppelfolge von Darstel-
lungen aus dem Leben Christi und des' h. Franz gehören,
welche die Florentiner Akademie zum Theil weniger be-
wahrt als vergräbt, und die ehedem die Sakristeithüren
in S. Crocc schmückten. Das Technische von Giotto's
Staffeleibildern, wie es Hr. v. Rumohr so genau bezeich-
net, kann man hier genau erkennen, so wie seine kräftige
Auffassung des Gegenstandes und Bezeichnung der Affecte,
z. B. in der um die Wiedererweckung ihres Kindes fle-
henden Mutter.
Ein anderes, das mich wegen seiner Innigkeit und
Entschiedenheit, immer an sich zieht, ist im Seitenzimmer
unter Nr. 2 aufgeführt und im Katalog als „dem Giotto
in Zeit und Art sehr nahe verwandt" bezeichnet.
Es sind halbe (aber dreiviertel lebensgroße) Gestalten;
„Maria hält stehend das bekleidete Christuskind, welches
die Rechte der Mutter faßt, auf dem linken Arm." Kind
und Mutter sehen einander an, ersteres heiter aufmun-
ternd, leztere wehmnthig lächelnd.. Das Kind langt nach
der Halsbekleidung der Mutter, die in Rosa mit weißen
Blumen gekleidet, mit einem schwarzen Mantel umgeben
ist; Schristzeichen, die ich nicht cnträthseln kann, verzie-
ren den Busensaum des Kleides; das Colorit ist licht-
blühend und warm. Bei einem Meister, dessen Größe
in der Erfindung von Geschichten, im Reichthum der
Gedanken und Allegorien rc. bestand, und von dem nur
wenige beglaubigte Staffeleibilder vorhanden, ist es natür-
lich schwer, ein einzelnes einfaches Bild ihm zu- oder
abzusprechen. Seiner Richtung gehört es an, eine Mei-
sterhand hat es geschaffen; tiefes Gefühl spricht aus allen
Zügen und ursprünglicher Geist belebt es. Doch ich finde
sogleich Gelegenheit, mich mehr über diesen Gegenstand
auszusprechen.
Unter de» andern ältern Bilder», zu denen ich mit
nie ermüdender Liebe stets zurückkchre, nenne ich Dir