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Dienstag, den 18. April 1837.

Nekrolog.

Carle Vernet.

Dieser Maler stammt aus einer von der Natur reich
bevorrechteten Familie, in welcher sich - ein in den An-
nalen der Kunstgeschichte unerhörter Fall — das Talent
drei Geschlechter hindurch vom Vater auf den Sohn ver-
erbte. Antoine Carle H o r a c c V e r n c t war das
jüngste von drei Kindern des berühmten Marinemalers
Joseph Vernet und der Virginia Parker, einer gebornen
Engländerin, deren Familie sich in Rom angesiedelt hatte.
Er erblickte das Licht der Welt zu Bordeaur am 14. August
1758, wo sich sein Vater damals gerade aufhielt, weil er
von Ludwig XV. beauftragt war, alle Hafen Frankreichs
zu malen. Schon in seiner frühesten Jugend zeigte der
junge Carle eine ungewöhnliche Anlage zum Zeichnen:
sein erstes Spielzeug war ein Crayon und man sah ihn
oft allerlei Figuren aus dem Boden entwerfen. Ein hie-
siges Blatt theilte neulich folgende charakteristische Anek-
dote aus den Kinderjahren dieses Malers mit, welche
wir hier kurz wieder erzählen wollen. Joseph Vernet
befand sich eines Abends in einer zahlreichen, glänzenden
Gesellschaft beim Marquis von Augevilliers und rühmte
mit besonderem Wohlgefallen die frühzeitigen, aber ent-
schiedenen Küustlertalente seines jungen Sohnes, der kaum
fünf Jahr alt war. Jedermann hielt natürlich das Lob
für übertrieben und schrieb den größten Theil davon auf
Rechnung der väterlichen Eitelkeit und Liebe. Joseph
Vernet, der sich dadurch nicht wenig gekränkt fühlte und
die Ungläubigen von der Wahrheit seiner Behauptungen
überzeugen wollte, entfernt sich aus der Gesellschaft und
gibt seinem Bedienten den Befehl, nach Hause zu gehen
und den kleinen Carle zu holen. Nach einer Weile tritt
der Vater mit seinem Sohne in den Salon und bittet
die Gaste, das Talent des jungen Künstlers selbst zu
zu prüfen; man bringt ein Crayon und ein Blatt Papier,
reicht Beides dem Kinde und drängt sich von allen Seiten
herbei, um Augenzeuge von der Feuerprobe eines künftigen

Genies zu seyn. Der kleine Carle, von seinem Vater über
die,e Prüfung aufgeklärt, nimmt das Crayon und beginnt,
gleichsam einem geheimen inner» Rufe folgend, ein Pferd
zu zeichnen. Je weiter seine Arbeit voranschreitet, desto
mehr aufmunternde Lobsprüche erntet er von den Um-
stehenden ein; aber allgemein macht man die Bemerkung,
daß er zu niedrig angefangen habe und ihm der Raum
fehlen werde, um die Füße ganz auszuzeichnen. Diese
Bemerkung hatte allerdings ihre Richtigkeit: aber der
Kleine läßt sich dadurch nicht irre machen, zeichnet ruhig
weiter, macht den Oberkörper fertig und fängt die Füße
des Pferdes an; nachdem er sie bis über die Hälfte voll-
endet, füllt er den noch übrigen Raum des Blattes ohne
Weiteres mit 5, 6 Strichen aus und deutet dadurch an,
daß das Pferd im Wasser stehe. Groß war natürlich das
Staunen der Zuschauer, welche er im Zweifel ließ, ob sie
die einzige Gewandtheit im Zeichnen oder den genialen
Einsall eines unmündigen Kindes am meisten bewundern
sollten.

Von seinem zwölften Jahre an besuchte Carle Vernet
die damals berühmteste Erziehungsanstalt zu Paris, welche
unter der Leitung eines gewissen Herrn von Lamarque
stand. Er konnte jedoch seine Studien darin nicht voll-
enden; die Aerzte ricthe» seinem Vater, mit dem kränk-
lichen Knaben eine Reise nach der Schweiz und ins süd-
liche Frankreich zu machen, welches auch geschah. Bei
dieser Gelegenheit besuchten Vater und Sohn die damali-
gen literarischen Notabilitäten, Rousseau, Voltaire, Geß-
ner, Lavater u. s. w., welche ihre Gäste sehr freundschaftlich
aufnahmen. Nach dieser Reise beendete Carle seine Stu-
dien in Paris, ohne jedoch darüber die Entwickelung seiner
Anlagen zum Zeichnen zu versäumen. Sein Vater schickte
ihn daraus in das Atelier eines heutzutage ganz unbe-
kannten Malers, Namens Lepicier, eines sehr strengen,
religiös gesinnten Mannes, der bei seiner Arbeit immer
eine Mönchskutte trug. Die Familie Vernet besizt ein
ganz gutes Porträt von dem jungen Carle im Alter von
17 Jahren, welches jener Maler gearbeitet hat.
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