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pretirte, mag der Zusatz noch erhärten, daß wir auf dem
Arbeitstische des Wunderdoctors einen Schädel sehen,
genau wie er in siphylitischen Sammlungen zu finden,
angcfressen und durchlöchert. Hat Lichtenberg den Schädel
nicht bemerkt oder das Original nicht gesehen? Wie
konnte er ferner zweifeln, daß der hier sitzende, consul-
tirende Herr ein und derselbe mit dem Neuvermählten
sey, man betrachte nur Körper, Gesicht und Kleidung.
Wir schweigen von dem dritten, und gehen zum vierten
Tableau über. Ein musikalisches Lever! In dem Hanse
muß es hoch hergehen, der Credit noch stabil sepn, wel-
cher Lurus, welche Ueppigkeit, den ersten Sänger und
ersten Flötisten Londons bei dem Lever der Dame in
Activität! Die Dame wird coLsfirt und von einem jun-
gen wohlgenährten Manne unterhalten; ob dies derselbe
mit der Figur auf dem ersten Bilde, die der Verlobten
etwas zuzuraunen scheint, will ich weder mit Bestimmt-
heit mit Lichtenberg behaupten, noch gegen ihn verneinen,
jedenfalls müßte das Individuum jünger und dicker ge-
worden sepn. Doch Hogarth kann sich verzeichnet haben.
Auf der linken Seite sizt der fette Sänger, der seinen
Mund widerlich verzerrt, hinter ihm steht der Flötist;
folgen der Herr Gemahl der Hausfrau, welcher Papilloten
in den Haaren hat und aus einer Tasse trinkt; mehrere
Herren und Damen. Noch muß ich bemerken, wie der
Künstler auf unnachahmliche Art und Weise das Profil
und die Formen der „nach der Mode Verheiratheten"
bis jezt auf jedem Gemälde progressiv verändert hat,
doch so, daß dasselbe Individuum nicht zu verkennen.
Die Dame macht schnelle Fortschritte in der großen Welt,
im guten Ton und in der Vergnügungssucht, ihre Tur-
nure, ihr Embonpoint, ihr sicherer Blick, ihre Augen und
Mienen lassen das nicht verkennen. Der Gemahl wird
immer magerer und verdrießlicher; auf dem nächsten Ge-
mälde dagegen, und dies soll nach Lichtenberg eine Scene
des andern Morgens sepn, ist er minder hager. Dies
ist jedenfalls ein Versehen des Künstlers, denn daß der
verheirathete Sohn des heruntergekommenen Lords ein
und derselbe mit dem Herrn bei dem Arzte, mit dem
papillotirten, Kaffee oder Thee schlürfenden und mit dem
Verwundeten auf dem folgenden, dem fünften Tableau,
kann der Beschauer des Originals nicht verkennen. Auf
dem fünften entdeckt der Ehegemahl die Umtriebe seiner
Gemahlin in ihrer größten Blöße, die Entlarvte kniet
kaum bekleidet vor ihm, der Buhle schwingt sich ohne
Kleider aus dem Fenster. Mußte der arme Mann seine
Hälfte i» flagranti betreffen, um von dem Nebenbuhler
gar noch erstochen zu werden! Die Wunde ist sehr tief,
sehr bedenklich, der aus dem Boden zurückgelassene Degen
des Entfliehenden bis an die Hälfte der Klinge mit Blut
gefärbt; der Getroffene sinkt, rettungslos. Aber auch
der Fliehende muß verwundet sepn, denn der Degen des

betrogenen Ehemanns ist ebenfalls voll Blut. D'' knieende
Sünderin ist hier reizender, liebenswürdiger, denn je;
macht es das Gefühl ihrer Schuld, oder ihr Negligee?
Im Hintergründe erscheint die Wache, Watchmen und
Constables. Durften die zu Hogarth's Zeit ohne aus-
drückliches Verlangen in das Haus eines Bürgers, in
das Schlafgemach eines angesehenen Mannes dringen?
Heute dürfen sie es ohne schriftlichen, von der Behörde
ausgewirktcn Verhastsbefehl, oder ohne ausdrückliches
Begehr des Hausherrn, und im leztern Falle ohne dring-
liche, constatirte Angabe, daß ihr Erscheinen Gewaltthat
und Mord verhindern müsse, nicht, selbst nicht in ein
öffentliches, in ein Wirthshaus. Schwerlich aber war
bei der Scene des fünften Stücks eine vierte Person zu-
gegen, und lange werden die Kämpfenden nicht gefochten
haben: waren damals also die Gesetze anders beschaffen,
oder Hogarth hat sie gemodelt. Das lezte Stück zeigt
uns die reiche Tochter des stattlichen Kaufherrn sehr tief
gesunken, in einer ärmlichen Stube, auf einfachem Lehn-
sessel, dem Tode nahe. Sie hält ein Kind — wohl ihr
Kind, von dem wir jedoch noch nichts gesehen — in dem
matten linken Arm, den rechten betastet ein Arzt, nicht
um den Puls zu fühlen, sondern um einen Ring abzu-
ziehen, welcher der Sterbenden noch geblieben, nachdem
ihr Vermögen durchgebracht und mit Beschlag belegt,
ihre Ehre verwirkt und ihr Gatte erstochen ist. Junge,
arme, bleiche, sterbende Frau, treues Bild einer Con-
venienzehe, warum dich verkuppeln an den jungen, adeli-
gen Wüstling, dich, die wohlerzogene Tochter des glück-
lichen Mittelstandes!

(Der Beschluß folgt.)

Nachrichten vom September.

Kupserwerke.

Coblens. Von den malerischen Ansichten des Rheins
und der Lahn, welche hier bei Hölscher erscheinen, sind wie-
der sechs schöne Blätter in Folio: Boppard, Mainz, Coblenz,
Nassau, Rvchuscapclle, Bornhofen, in schwarzem und farbi-
gem Drucke erschienen, sammtlich nach Zeichnungen von
Bodmer gestochen von Salatho u. A. ,

ftipjtj. Bei Wigand sind die zwei ersten Hefte von
dem malerischen und romantischen Deutschland, Sectio» Schwa-
ben, von Gustav Schwab, erschienen. Sie enthalten: Can-
stadt, Marbach, Weinsberg, Wimpfen, Guttenberg, Heilbronn.

Weimar. Köpfe aus Gemälden vorzüglicher Meister nach
sorgfältig auf den Originalen durchgezcichnete» Umrissen, in
der Sammlung von Louise Seidler, zum Gebrauch sür Zci-
chenschulcn, lirpogr. von Schmeller. 2tc Licferg. Judustrie-
Comptoir. Enthalt: 6 Köpfe nach Masaccio, Perugtno,

Fra Bartolome o, Fra Angelico und Da Fiesole.

Beilage: eine Kupfertafel.

Verantwortlicher Redakteur: I)r. Schorn.
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