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Donnerstag, den 23. November 1837.
Die englische Nationalgallcrie.
Englische Schule.
(Beschlusi.)
Ein großes Gemälde von West, 9 Fuß hoch und u
breit, zeigt sich uns auf demselben Gange, wo Hogarth's
Portrat hängt. Christus heilt Kranke im Tempel: ein
hagerer, blasser Mann wird auf einer Tragbahre herbei-
gebracht. Blinde und Lahme und Gebrechliche harren
auf der gegeni'iberstehendcn Seite des Machtwortes des
Erlösers. Der Herr steht in der Mitte des Vordergrundes,
eine imposante Gestalt, doch zu ernst, die Körperfvrmen
zu groß. Jünger und Volk stehen um ihn, viele aus-
drucksvolle Gestalte» in bunte Stoffe gekleidet, vielleicht
nur zu bunt. Unter den Kranken spricht ein bleiches,
schönes Weib, die eine Blinde in die heilbringende Nahe
des Heilandes führt, besonders au, ein tiefes, klares Bild.
Bei dem Gemälde kommt man unwillkührlich aus die
frühere, in Bezug des Meisters gefällte Ansicht, daß er
David nachgeahmt, zurück; wüßte man den Namen des
englischen Künstlers nicht, möchte man in Versuchung
gerathen, das Werk dem genannten französischen beizu-
messen. Es ist ein Geschenk des britrifchen Instituts. —
Von demselben Maler betrachten wir noch eine sehr ge-
lungene Arbeit, das Abendmahl. Christus sizt nach orien-
talischer Weise mit unterschlagenen Füßen aus einer La-
sel, vor ibm steht nur der Kelch und Brod. Um ihn
stehen in verschiedenen Gruppen, näher und ferner, die
zwölf Jünger, die nur theilweise ans die symbolische
Handlung achten, mehrere sind im Hintergründe im
Zwiegespräch begriffen. Das Gemälde mißt 6 Fuß in der
Höbe, ö in der Breite, und ist ein Geschenk Georg's IV.
— Ein anderer berühmter Name der englischen Schule
i>r der von Wilkie, ausgezeichnet im Genrebild, wahr
und lebendig. Zwei seiner Schöpfungen zieren die Gal-
lerie: em ländliches Fest und der blinde Spielmann.
Jenes hatFuß Höhe und Fuß Breite. Vor einem
Bauernhause treibt sich ein fröhliches Völkchen umher,
trinkend, singend, an Tischen sitzend und aus dem Boden
gelagert. Treffliche Zeichnung und lebendiges Colvrit,
Wahrheit in den Physiognomien, in den Trachten des
Volkes und in dem Gepräge des ländlichen Lebens. Ein
Betrunkener hat die Tafel verlassen und dehnt sich im
Grase, Kinder nähern sich und spotten seiner. Nach einer
etwas unvollkommenen Musik mühen sich Andere zu tan-
zen,.recht unbeholfene, aber fröhliche Springer. Aelterc
Männer und Frauen freuen sich der Lust des jungen
Völkchens, die Männer rauchen aus irdenen Pfeifen und
sprechen den Bierkrügen wacker zu, die Weiber schäkern
und klatschen. Das Bild erinnert lebhaft an niederlän-
dische Werke; Wilkie mag sich die niederländische Schule
bei seinen Genregemälden zum Vorbilde genommen haben.
Dasselbe gilt von seinem andern Stücke, dem blinden
Spielmann, welchen Beaumont der Sammlung vermacht
hat. Das öfter in Copien vorhandene Original ist auf
Holz gemalt, zwei Fuß hoch und drittehalb breit. Ich
möchte es noch gelungener nennen als das erstere, man
sollte den blinden Geiger, die ihn führende Frau, die
Zuhorchenden, das Ensemble dieses ansprechenden, leben-
digen Bildes sehen! Der beleibte Hausvater steht mit
einem jungen Sproß am wärmenden Kamine, andere
Familienglieder, vielleicht auch Nachbarn, welche der Ton
der Geige gelockt, sitzen in der Nähe. Kinder spielen im
Gemache und tanzen, ein älterer Knabe äfft auf einem
Blasebalg und mit einem Stöckchen die Stellung und
das Spiel des alten Blinden nach. Wie treu ist die
Haltung, das ausdrucksvolle, dcS cdeln Sinnes beraubte
Antlitz des armen Geigers gegeben, wie sorgsam führt
und wahrt ihn die liebende Gefährtin und der begleitende
Hund! Wilkie und Hogarth sind in Eenregemälden, in
wahrer Auffassung und Wiedergebuug des reellen Lebens
die größten Künstler der englischen Schule. — Wilson
hat zwei Landschaften geliefert, in der einen ist die Fabel
der Niobe vorgestcllt, in der andern die Ansicht von
Mäcenas Villa in Tivoli. Beide sind von Veaumvnr
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Donnerstag, den 23. November 1837.
Die englische Nationalgallcrie.
Englische Schule.
(Beschlusi.)
Ein großes Gemälde von West, 9 Fuß hoch und u
breit, zeigt sich uns auf demselben Gange, wo Hogarth's
Portrat hängt. Christus heilt Kranke im Tempel: ein
hagerer, blasser Mann wird auf einer Tragbahre herbei-
gebracht. Blinde und Lahme und Gebrechliche harren
auf der gegeni'iberstehendcn Seite des Machtwortes des
Erlösers. Der Herr steht in der Mitte des Vordergrundes,
eine imposante Gestalt, doch zu ernst, die Körperfvrmen
zu groß. Jünger und Volk stehen um ihn, viele aus-
drucksvolle Gestalte» in bunte Stoffe gekleidet, vielleicht
nur zu bunt. Unter den Kranken spricht ein bleiches,
schönes Weib, die eine Blinde in die heilbringende Nahe
des Heilandes führt, besonders au, ein tiefes, klares Bild.
Bei dem Gemälde kommt man unwillkührlich aus die
frühere, in Bezug des Meisters gefällte Ansicht, daß er
David nachgeahmt, zurück; wüßte man den Namen des
englischen Künstlers nicht, möchte man in Versuchung
gerathen, das Werk dem genannten französischen beizu-
messen. Es ist ein Geschenk des britrifchen Instituts. —
Von demselben Maler betrachten wir noch eine sehr ge-
lungene Arbeit, das Abendmahl. Christus sizt nach orien-
talischer Weise mit unterschlagenen Füßen aus einer La-
sel, vor ibm steht nur der Kelch und Brod. Um ihn
stehen in verschiedenen Gruppen, näher und ferner, die
zwölf Jünger, die nur theilweise ans die symbolische
Handlung achten, mehrere sind im Hintergründe im
Zwiegespräch begriffen. Das Gemälde mißt 6 Fuß in der
Höbe, ö in der Breite, und ist ein Geschenk Georg's IV.
— Ein anderer berühmter Name der englischen Schule
i>r der von Wilkie, ausgezeichnet im Genrebild, wahr
und lebendig. Zwei seiner Schöpfungen zieren die Gal-
lerie: em ländliches Fest und der blinde Spielmann.
Jenes hatFuß Höhe und Fuß Breite. Vor einem
Bauernhause treibt sich ein fröhliches Völkchen umher,
trinkend, singend, an Tischen sitzend und aus dem Boden
gelagert. Treffliche Zeichnung und lebendiges Colvrit,
Wahrheit in den Physiognomien, in den Trachten des
Volkes und in dem Gepräge des ländlichen Lebens. Ein
Betrunkener hat die Tafel verlassen und dehnt sich im
Grase, Kinder nähern sich und spotten seiner. Nach einer
etwas unvollkommenen Musik mühen sich Andere zu tan-
zen,.recht unbeholfene, aber fröhliche Springer. Aelterc
Männer und Frauen freuen sich der Lust des jungen
Völkchens, die Männer rauchen aus irdenen Pfeifen und
sprechen den Bierkrügen wacker zu, die Weiber schäkern
und klatschen. Das Bild erinnert lebhaft an niederlän-
dische Werke; Wilkie mag sich die niederländische Schule
bei seinen Genregemälden zum Vorbilde genommen haben.
Dasselbe gilt von seinem andern Stücke, dem blinden
Spielmann, welchen Beaumont der Sammlung vermacht
hat. Das öfter in Copien vorhandene Original ist auf
Holz gemalt, zwei Fuß hoch und drittehalb breit. Ich
möchte es noch gelungener nennen als das erstere, man
sollte den blinden Geiger, die ihn führende Frau, die
Zuhorchenden, das Ensemble dieses ansprechenden, leben-
digen Bildes sehen! Der beleibte Hausvater steht mit
einem jungen Sproß am wärmenden Kamine, andere
Familienglieder, vielleicht auch Nachbarn, welche der Ton
der Geige gelockt, sitzen in der Nähe. Kinder spielen im
Gemache und tanzen, ein älterer Knabe äfft auf einem
Blasebalg und mit einem Stöckchen die Stellung und
das Spiel des alten Blinden nach. Wie treu ist die
Haltung, das ausdrucksvolle, dcS cdeln Sinnes beraubte
Antlitz des armen Geigers gegeben, wie sorgsam führt
und wahrt ihn die liebende Gefährtin und der begleitende
Hund! Wilkie und Hogarth sind in Eenregemälden, in
wahrer Auffassung und Wiedergebuug des reellen Lebens
die größten Künstler der englischen Schule. — Wilson
hat zwei Landschaften geliefert, in der einen ist die Fabel
der Niobe vorgestcllt, in der andern die Ansicht von
Mäcenas Villa in Tivoli. Beide sind von Veaumvnr