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Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt — 20.1839

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https://doi.org/10.11588/diglit.3207#0370
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358

Der Kundige blickt mit Interesse auf den Bau des grünen
Blattes, wie auf den der Tulpe, auf den Roß-, wie auf
den Goldkäfer.

Auch das architektonische Menschenwerk wird
uns mit diesen Vorbegriffen verständlicher. Ein Gefäß,
Leuchter, Vase, Lampe, eine Säule, ein Haus, Palast,
eine Kirche :c., jedes ist ein Aufbau, eine Ausbildung
und Jneinanderbildung; auf dem Breiten, Massigen steht
das Schmälere, Leichtere; auf dem Festen das Hohle; der
Zweck bestimmt die Hauptform, aber die starren Linien,
scharfen Ecken werden durch Bogen- und Wellenlinien
vermittelt. Das Ganze schließt sich ab; die Zierrath ver-
deckt nie die Zweckmäßigkeit des Aufbaues und seine
Hauptumrisse; sie tritt nur an den Uebergängen ein, um
die Theile, als relative Ganze, zu isoliren, dem Auge
schaubarcr, faßlicher zu machen, an den leeren Fläckcn,
um sie mit weiser Sparsamkeit und Rücksichtnahme auf
den Totaleiudruck zu beleben, an den Umrissen, um die
starren Linien zu brechen, an ihnen den gediegenen Reich-
thnm des Ganzen gleichsam in einem frohen Spiel des
Ueberflusscs ausstralen zu lassen. Der Schmuck dient
dazu, das schwere Ganze zu erleichtern und die Mühe
des Handwerks durch das heitere Schaffen der Kunst zu
verhüllen.

Die Arabesken scheinen in der Kunst das Will-
kürlichste, Gesetzloseste, Launenhafteste zu seyn, und gerade
an ihnen beurkundet sich der Geschmack des Meisters.
Man denke an die Logen von Raffael. Das Ganze er-
scheint phantastisch; daS Einzelne entwickelt sich sehr
besonnen. Die Arabesken sind eine technische Musik; Eins
fließt melodisch aus dem Andern; keine Linie oder Form
erstreckt sich monoton fort, aber auch keine harte Aus-
weichung beleidigt unser Auge. Sie erscheinen als eine
für das Auge firirte Bewegung, als ein nachgcbildcter
Schwung. Ein fortgesezter heiterer Wechsel bringt oft
das Unerwartete; aber es bewährt sich als ein geschmack-
voller Gedanke; wie wir in der Natur aus dem Bau der
uns neuen Pflanze die Blume nicht errathen, aber, wenn
sie sich nun entfaltet, sie als ein ganz konsequentes Ge-
bilde begrüßen. Mit Aufmerksamkeit hatte ich einst ein
Heft von schönen Schriftzügeu mit Verzierungen durch-
gesehen und in dem Geschmack der einzelnen Evolutionen
und ihrer Verbindung zum Ganzen den originellen Geist
des Kalligraphen bewundert. Mit so geschärftem Blicke
kam ich ins Theater, und nahm nun erst wahr, wie plump
und geistlos die Arabesken des Vorhangs ausgeführt
waren, die ich früher ohne Kritik angcsckmut hatte.

Die Natur hat wenig langweilige Formen; in den
Caktusarten i,r wohl viel Monotonie, und ein Fortschreiten
in reizlosen Identitäten; aber am Ende bringt sie ihren
Geschmack durch prachtvolle oder stark und wohlduftendc
Blumen wieder zu Ehren.

So hat auch die alte Kunst ihr Starres in den
egyptischen Statuen, durch deren Stellung man gerade
Linien ziehen kann, während die höhere griechische Skulptur
in den Attitüden ihrer Meisterwerke die Wellen- und
Schlangenlinie darstellt.

Die Bewegung ist eine mobile Plastik. Auch sie
soll Vogenlinien beschreiben, weil diesen unser Auge am
liebsten folgt, weil sie von der körperlichen Gewandtheit
Kunde geben, weil sie in Einheit doch Mannichfaltigkeit,
im Wechsel Faßlichkeit und somit ein fvrtgeseztcs Bild
darstellen, welches unser« Blick an seine successive Ent-
faltung fesselt, während die geradlinichte oder eckicht scharfe
Bewegung das Schauwidrige des Wurfes oder Blitzes theilt.

Der Flug der Vögel, das komische Spiel der Hans-
thiere, der Lauf des Gewildeö wird mit Behagen, der
Sprung der reißenden Thiere mit wonnigem Grausen
betrachtet. Der menschliche Tanz ist eine unerschöpfliche
Quelle von schönen Formen, eine Vergeistigung des
Körpers durch Belebung, durch mimische Sprache, eine
Aussiralung des GrundthemaS des Ganges in zahllosen
reizenden Variationen.

Der Grund unserer Augen- ja man darf sagen:
HerzenSlust beim Auftreten von Virtuosen der Orchestik,
die sich geivöhnlich durch fortwährenden lauten Beifall
Luft zu machen pflegt, beruht eben auf der Vergleichung
des ruhenden Körpers mit dem Vermögen unendlicher
Beweglichkeit, auf dem süßen Erstaunen über die Gewandt-
heit, mit welcher der Künstler durch seinen Körper in
immer wechselnden Bildern eine stumme Sprache spricht,
die sich in immer wechselnden Bildern durch alle Phasen
der Empfindung von Freud und Leid, der Laune, der
Liebe, der Hin- und Abneigung mit unbegreiflicher Fer-
tigkeit, mit Kraft und Anmuth hindurchwindet. Es ist
Darstellung des regsten Lebens in der engsten, aber durch-
gebildetsten Form, und gerade deßhalb die allgemein an-
sprechendste, hinreißendste Sprache. Kein Wort, kein
Ton, keine That vermag uns so im Augenblick zu fesseln,
an sich zu ziehen, wie die reizenden Attitüden und Gesten

oines Tanrkünstlers es


Haben wir bei unserer bisherigen Untersuchung schein-
bar fast zu viel Gewicht auf die Einsicht in die Zweck-
mäßigkeit der Naturformen und ihrer Bewegungen gelegt,
und so den Eindruck der Schönheit von einer Neflerion
abhängig gemacht, die Wenige anstelle», oder ihn in
Bezirken gesucht, wo gewöhnlich nicht von Schönheit die
Rede ist, so wollen wir uns sagen, daß die sinnige Be-
trachtung untergeordneter Kreaturen unfehlbar eine Zu-
bildung unseres Sinnes zur Wahrnehmung und Würdi-
gung der höher« Schönheit, die wir in der Sphäre der
Menschheit finden, sep. Man darf ohne Parodorie be-
haupten, daß, wer nicht daS anmuthige Spiel von ein
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