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. 90.

Krrnst-Vlatt.

Donnerstag, den 7. November 1839.

Was ist Schönheit?

(Fortsetzung von Nr. 9 7 v. I.)

Von dem früher in diesen Blättern erschienenen Ver-
suche sagt sich der Verfasser, daß der bloße gesunde Men-
schenverstand Manches nicht eben werde deutlich gefunden
haben. Faßliche Klarheit, ein Haupterfordcrniß des
Schönen, ist auch in der Untersuchung über sie ein
Triumph, der aber nicht immer zu erringen ist. Ohne
mit Sancho Pausa auszurufen: »Gott versteht mich!"
— glaubt er doch, daß nur Kunstenthusiasten und Denk-
lustige seine Reflexionen der rechten Theilnahme und
Erwägung würdigen werden. Mit dem bloßen Verstand
ist's in unserer vielseitigen Welt nicht gethan. Es gehört
zu allem Besonder» eine Zubildung, entschiedene thärige
Richtung und ein Sinn der Neigung und Vorliebe. So

zum Durchschauen, wie zum Schauen.-

Wie aber die Zigeuner und gewisse andere absonder-
liche Menschen ihr Roth- und Kauderwelsch gegenseitig
verstehen, so verstehen einander auch die philosophischen
Grübler. Und so will ich denn getrost, jedoch mit eifrigem
Bestreben nach möglichster Klarheit die angefangeue Un-
tersuchung fortsetzen und zu Ende zu bringen suchen. —
Bei einem kurzen Rückblick auf das früher Behan-
delte finde ich dieFormenbildung derNatur etwas
zu kurz angedeutet. - Die schaffende Kraft drei,et das
Leben des Keims aus; es scheint eine unendliche Ver-
ästelung, Verzweigung desselben entstehen zu wollen; aber
die organischen Theile finden sich, binden sich gegenseitig;
die Gefäße verengen sich; geläuterte Säfte gestalten fei-
nere Gebilde; und so streckt sich, verdünnert sich die
Länge, plättet sich die Fläche ab, rundet sich das Eckichte,
und läuft endlich in sanften, geschwungenen Linien zu
einer Skizze aus oder erweitert sich zu einer Krone,
Kelch, Glocke.

Dies erinnert zunächst an dieP fl a nz e n, an Blätter,
Blumen, Blüthen, aus welchen dann in einem höher»

Eutwickelungsprozeß die vollen, rundlichen, mannigfaltig
gestalteten, meist schön gefärbten Früchte entstehen. Aber
derselbe Entfaltungsgang wiederholt sich auch im eigentlich
belebten, im empfindenden Reiche. Fliegen,
Käfer, Schmetterlinge rc. sind gleichsam willkürlich sich
bewegende, ortverändernde Blumen oder Früchte, und
unser Auge nimmt mit Befriedigung dieses Aus - und
Einbilden, diese Erpansion und Konzentration und deren
Abschluß an jedem einzelnen Organ wahr. Wir wollen
nur an das Diminuendo bei dem Körper, den Flügeln,
Fühlhörnern, Füßen, Rüsseln und Stacheln rc. erinnern.

Diese unendlich vielgestaltigen Formen unterstützen
sich durch wechselseitige Handbietung, und durch die Ge-
sammtwirkung. der spezifischen Funktionen stellt sich das
Leben des Geschöpfs nach innen und außen dar.

Wir schauen in diesen Bildungsprozeß der Natur,
der uns in den wohlgefällig geschlossenen, begrenzten Ge-
stalten faßlich, begreiflich erscheint, hinein, und wenn wir
die Kreatur mit ihren allseitig regsamen Organen sich so
1 frei, so zweckmäßig gehoben, des Lebens froh werden
i sehen, so rufen wir aus: Wie schön!

Wir ahnen, wir schauen im Seyn das Werden, das
Gewordenseyn; und eben das regeLeben, die Zweckmäßig-
j seit der Mittel zum Erfolge, das freie Spiel der Kreatur
i innerhalb ihrer Neigungen und Bedürfnisse. Die Gewandt-
heit, mit welcher sie nach Zeit, Ort, Gelegenheit das
Gesuchte erspäht, das Hindernde beseitigt, das Widrige
ablehnt, das ihr Gemäße sich aneignet, das ist's, was
wir in seinem Gesammteindruck als Schönheit begrüßen.

Freilich erscheint dies als eine fast zu große Erwei-
terung des Begriffs, welche über die gewöhnlichen Grenzen
der sinnlichen Empfindung und des Gefühls in den Kreis
der denkenden Vernunft hinüber zu schweifen wagt. Aber
meiner Ansicht nach ist der bloße sinnliche Eindruck keiner
Schönheit fähig, und jede Empfindung, die tiefer geht,
schon ein verhülltes Denken. Der gemeine Sinn heißt
nur das Prägnante schon; zur Form muß noch die
Farbe kommen, wo möglich ein Gegensatz hoher Farben.
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