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Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt — 20.1839

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https://doi.org/10.11588/diglit.3207#0378
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366

Wirklichkeit, ihr göttliches Ablehnen aller menschlichen
Porträtjrung'. Die Plastik soll sich von der Malerei, als
eine Verführerin, fern halten. Aber diese kann von
jener- lernen, sich in würdevoller Einfachheit bewegend
Die Skulptur sinkt durch die Malerei; die Malerei sinkt
durch die falsch verstandene Natur.

Je mehr sich unser Blick einem Gebilde nähert,
desto mehr tritt die Forderung des Malerischen ein. Wir
wollen an die menschliche Hand denken, an ein Organ,
das als Beispiel die andern, die körperlich und ästhetisch
unter und über ihr stehen, den Fuß, das Haupt :c. be-
leuchten mag. Wir finden die Hand einer Statue schön;
betrachten wir aber eine lebende schöne Hand, so erscheint
an ihr nicht nur ein unendlich größeres Getheil von Formen
und Zügen, sondern auch ein lebendiger Teint, ein Spiel
von warmen Farbentönen, von dem Glanz der Haut, der
durchscheinenden Knochen, der Nägel bis zu dem Blau
der Adern, das den Schönheitskenner bezaubert.

Eine neue Welt der Schönheit hat sich uns somit
eröffnet, das Reich der Farbe und aller Kreatur, die
da athmet im rosigen Licht.

Im engen Kreise hält sich die Skulptur bei Nach-
bildung des Menschen - Antlitzes; aber welche Unend-
lichkeit schöner Formen tritt uns im warmen Leben ent-
gegen? Welcher Reichthum der Kombinationen spricht
uns reizend an? Im Angesicht ist malerisch betrachtet
eine Summe anziehender Gegensätze niedergclegt, wie wir
sie nirgend in der lebenden Welt mehr antreffen. Das
weichgelvckte Haar überzieht die Schädelwölbnng mit einer
Mannichfaltigkeit von Wellenlinien; unter seinem Dunkel
tritt die helle Stirne hervor; ihre sinnige Form schließt
sich mit den zarten Bogen der Brauen, unter denen aus
einem mystischen Helldunkel und klaren Halbschatten die
Augen hervorleuchten. Sie sind von konzentrischen, ovalen
Formen umgeben, in denen sich das innere Leben in zarten
Farbentönen und leisen Bewegungen, einer Sprache,
die unendlicher Kombinationen des Ausdrucks fähig ist,
offenbart.

Das Mcnschenauge mit seiner Umgebung ist für sich
allein einer Fülle von Schönheiten fähig, die derjenigen
des Gesammtorganismus gleichkommt. Das Auge kann
das ganze Antlitz als bedeutsam, ausdrucksvoll zu Ehren
bringen oder als kalt und unbedeutend entehren.

Die Nase bildet als senkrecht und vortretend gegen
die wagrcchten Linien der übrigen Organe, als Einzelnes
gegen die gepaarten Formen einen nochwendigen Gegensatz,
und gibt dem Profil durch äußerste Berührung des Ge-
sichtsbogens seine rechte Ausladung. Sie ist der feinsten
Ausbildung, der schönsten Linien und Formen fähig.

Der wagrechte Mund steht an plastisch-physivgnomi-
scher Geltung dem Auge am nächsten. Wie sehr kann die
Natur und die Bildung in des Mundes Wechselgestaltung

die animalische Bestimmung, das physische Geschäft hinter
das sprachliche Vermögen zurückdrängen? Welche Abwechs-
lung der aus- und eiubiegenden Flächen, der aus- und
abgeschwungenen Linien? Wie verschönert sich ein Gesicht,
das im Sprechen mit dem Mund anmuthig zusammen-
genommene, rasch bewegliche Formen bildet? Wie viel
verliert ein Mensch, dessen Organ sich unbehülflich, phleg-
matisch erweist, der, wie man sagt, den Mund sprechend
im ganzen Gesicht herumwirft? Bei recht vielen soge-
nannten Schönheiten geht die Schönheit unter der
Nase aus.

Nach der Einsenkung unter der Unterlippe tritt das
Kinn mit seiner rundlichen Form hervor. Es umhüllt
den Kiefer, der das schwerste mechanische Geschäft des
Hauptes hat, mit weichen Formen und ist der reizendsten
Ausbildung fähig, die irgend ein runder Theil des Körpers
annchmen kann.

Von der Stirne über die Schläfe und die Wangen
bis zum Kinn lassen sich eine Unzahl von Linien gezogen
denken, unter denen unser Blick wohl diejenigen heraus-
findet, welche neben der Bezeichnung tüchtig ausgeprägter
Formen doch die leisesten Uebergänge, den freiesten Schwung
haben. Wir bewundern aber billig den Künstler, der,
was wir vorkvmmenden Falls und vergleichend instinkt-
mäßig wahrnehmen, aus seiner Einbildungskraft pro-
duktiv darstellen kan».

Das Ohr ist ein kleines Wunder von Bildungen und
eben so weit vom thierischen entfernt, als Auge, Nase
und Mund. Es gibt Ohrenkenner und Verehrer, die
durch schön gebaute und situirte Organe dieser Art be-
geistert werden können. Weil sie so oft versteckt sind,
und die Meisten überhaupt auch das andere Geschlecht
nur von Auge zu Auge zu betrachten pflegen, so wieder-
fährt schönen Ohren viel zu wenig Genugthuung.

Es ist wohl zu bemerken, wie im Antlitz ein Theil
den andern ins Licht sezt oder beschattet, so daß schon
durch das Helldunkel die Hauptformen sich scheiden und
jede faßlich hervortritt; wie andererseits das Kolorit dieses
Mannichfaltige zur Einheit versammelt, wie nirgend sonst
am menschlichen Körper, ja wie an keiner andern leben-
den Kreatur. Das Inkarnat, eine geheimnißvolle
Kombination aller Farben, durchläuft im Augesicht alle
Abstufungen des Fleischtvns. Mit dem Dunkel der Haare,
der Augbrauen, der Augensterne, mit dem Halbschatten
der Augenhöhlen, der Nase, der Unterlippe kontrastirt
das Weiß der Augen, der Zähne, das Diofa der Wangen,
der Purpur der Lippen, die Lichter der vertretenden
Erhebungen.

Es ist so viel der faßlichen Darlegung der Organe,
ihrer lebendigen Darstellung und deutlichen Pronnnzialion
gegeben, daß schon da, wo auch nur einige Hauptmomente
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