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2tz 92.

K n n st - D l <r D t.

Donnerstag, den 14. November 1839.

Was ist Schönheit?

(Fortsetzung.)

Mit dem Kantischen Begriffe: Schönheit sey,
»was ohne Interesse gefalle,« - konnte ich mich nie ver-
einigen. Gerade das höchste Interesse, das Interesse am
Leben, an den allseitigen Erscheinungen der Natur, an
der Offenbarung ihres innern Wesens in der äußern
Form, an dem Verhältniß ihres Habitus zu ihrer Lebens-
sphäre galt mir stets für das Hauptmoment der Empfäng-
lichkeit für schöne Eindrücke.

Noch mehr Zubildung mußte ich bei dem die
Schönheit nachschaffenden Künstler voraussetzen. Bei
Handzeichnungen von Raphael, Entwürfen zu seinen
Bildern findet man oft zehn Probezüge von Umrissen
eines Madonnenkopfs, bis er mit einem stärkern Striche
den gefundenen schönsten markirt. Karl Maratti gesteht
von sich, einen Raphaelschen Madvnnenkopf zweihundert-
mal nachgezeichnet zu haben, ohne jedoch die unbeschreib-
liche Anmut!, desselben ganz getroffen zu haben. Welche
feine Unterscheidung der Formen sezt dies bei Beiden
voraus? Die Kunst- und Formenfreunde schließen sich
an die Künstler an.

Am besten weiß freilich das Individuum, das nur
überhaupt Etwas auf sein Aeußeres hält, an sich die
gefälligen Züge und Formen zu schätzen, da es in fort-
währender Vergleichung mit Andern lebt, und, über das
Unschöne sich tröstend und beschwichtigend, sich desto mehr
des Uebrigen bewußt wird; weßhalb Goethe mit Recht
behauptet, kein Mensch könne ohne einiges Wohlgefallen
an seiner Gestalt in den Spiegel schauen.

Es gibt aber eigentliche Fvrmenkenner, wovon
sich die Einen besonders auf schöne Hände, die Andern
auf schöne Füße, die Dritten auf eine schöne Taille ver-
stehen. Und so hat das Angesicht, so haben die Augen,
O'wen, Zähne, Haare, der Hals, die Brust, so der
Wuchs, die Haltung, der Gang rc. ihre besoudern Kenner,

und nicht leicht wird Einer alle diese Bildungen als
Schönheitsfaktoren zusammen in gleichem Maße firiren,
vergleichend betrachten, mit Enthusiasmus ihre Norma-
lität und Idealität begrüßen.

Immerhin muß man aber Demjenigen, der hiebei
nicht von konventionellen Begriffen befangen ist, sondern
mit reinem Formensinn zu Werke geht, eine Unterschei-
dung der feiner» Züge, eine Wahrnehmung der leisem
Nuancen zugestehen. Natur und Kunst bleiben nun aber
in der Darstellung der Schönheit nicht bei dem Architek-
tonisch- und Plastisch-Schönen stehen. Sie neigen zum
Malerischen und gehen endlich so ganz in Dasselbe
über, daß sie selbst Unschönes beider Art als erlaubtes,
ja oft gebotenes Motiv in dieses aufnehmen.

Daß die antike Spmmetrik der Baukunst in Pal-
ladio, Scamozzi rc. zu einer pittoresken Wirkung
gesteigert worden, soll nur angedeutet werden. Ja!
gehört nicht das Helldunkel der byzantinischen, der alt-
deutschen Dome, die uns wie aus großen hohlen Augen
anblicken, die Fülle der lebenden Gestalten, der Reichthum
der gekräuselten Zier schon gewissermaßen der Malerei
an? In Oberitalien, wo beiderlei Arten von Bauwerken
oft dicht nebeneinander stehen, in Vizenza, Venedig ic.
wird sich diese Behauptung durch die Anschauung recht-
fertigen lassen. Ueberdies waren bekanntlich viele Gebäude
des sechszehnten Jahrhunderts an ihrer Außenseite noch
mit Fresken bemalt.

Bei der Plastik neigen reichere Gruppen, noch
mehr aber das Basrelief zum Malerischen hin. Daß
antike Tempel und Statuen wirklich übermalt worden,
wollen wir, wenn es sich vollends als unleugbar heraus-
stellt, trotz allem Respekt vor dem Geschmack der Griechen,
dennoch Uugeschmack einer überständigen Kunstepoche und
eine artistische Geilheit nennen, und uns ja nicht durch
antiquarische Pedanten bereden lassen, unsere keuschen
Kunstwerke aus carrarischem Marmor mit Ocker zu über-
tünchen. Gerade in ihrer reinen Farblosigkeit liegt die
Jsoliruug ihrer Idealität, ihr Ausschluß von der farbigen
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