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Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt — 22.1841

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https://doi.org/10.11588/diglit.3203#0350
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328

Das Wesen der allgemeinen Begeisterung der Völker,
den Himmel durch Kühnheit, Beharrlichkeit und im
Dienste edler Schönheit auf Erden zu erringen, spricht
sich ganz besonders in den Bauwerken und in allen Ein-
zelnheiten aus, in denen jeder Künstler selbst fast den
einzelnen Steinen ein neues Leben einzuhauchen und
alle gemeinschaftlich sie zu nie geahnter Schöpfung cmpor-
zuthürmen wußten.

Die Einführung des Bogens in die schöne Archi-
tektur durch die Römer nennt der Verfasser mit Recht
einen entscheidenden Wendepunkt in der Entwickelung
der Architektur, die des Rundbogens und des Spitz-
bogens als den charakteristischen Mittelpunkt für die
frühere und spätere Architektur des Mittelalters. Wenn
nun auch Strebepfeiler, Säulenformen, Gewölbfügungen
und andere Theilc der Bauwerke häufig einen sicherer«
Entscheidungsgrund für die Zeit der Entstehung eines
Gebäudes abgeben möchten, als der spitze oder runde
Schluß der Bogen, so berechtige dieses doch noch nicht
den Namen für den ganzen Styl. Insbesondere habe
ja zu jeder Zeit der Spitzbogen als einzelnes, zufällig
hcrvorgcrufenes Glied, ja selbst in einer gewissen Reihe-
folge angewendet werden können, ohne den sonstigen
Charakter des Gebäudes zu ändern. Die Geschichte des
Spitzbogens und des Spitzbogeustyls könne man zwar
bei näherer Untersuchung nicht trennen, aber eben so
wenig dürfte beides verwechselt oder gar identificirt
werden.

Gewiß ist es ein großes Verdienst des Verfassers,
die Geschichte des Spitzbogens vor dem 13ten Jahrhun-
derte, ja vom ersten Auftreten desselben zum erstcnmale
durch die umfassendsten Studien und Vergleichungen
verfolgt und, im Allgemeinen, überzeugend dargestellt
zu haben.

Er weiset durch unzweifelhafte Docnmcnte und Bei-
lagen — Bauwerke, Inschriften und Jahreszahlen —
nach, daß nicht, wie man bis jetzt, namentlich in Frank-
reich, behauptete, die Kathedralen zu Coutance, Mvrtain
und S«-ez - ans dem Ilten Jahrhundert — die ältesten
Denkmale mir Spitzbogen seyen, sondern daß diese sich
in Sicilien vorfänden und hier durchgängig schon seit
1072, nämlich seit der Einnahme von Palermo durch
die Normannen, dort Spitzbogen nicht etwa als einzelne
Erscheinung, sondern bereits allgemeiner als völlig aus-
gebildeter Styl, auch im Verlaufe des folgenden und
später» Jahrhunderts stets angeweudet, vorfände.

Der Verfasser geht noch weiter und sucht gleichfalls
durch Beweise mannigfacher Art darzutdun, daß die
Spitzbogenform nicht durch die Normannen erfunden,
sondern von diesen bereits vorgefunden, nur von den
Sarazenen ausgenommen und weiter ausgcbilder scy. Er
glaubt sogar mit Ucberzengung, daß die Araber diese

Vogenform schon vor Eroberung Siciliens, mithin be-
reits im 9ten Jahrhundert, gekannt und bei ihren Bau-
werken in Afrika angewendet, während die Normannen
in Frankreich und England, ja selbst in Unteritalien
noch bis gegen 1200 sich allein des Rundbogenstyls bei
ihren Bauwerken bedient hätten. Der Verfasser vermei-
det aber zu entscheiden, ob der Spitzbogen von den Ara-
bern erfunden oder ob er mit andern architektonischen
Formen von Byzanz entlehnt wurde.

Das Vorkommen des Spitzbogens im 9tcn Jahr-
hundert ist indeß nicht vollgültig nachgewiesen. Selbst
der gelehrte Uebersetzer des Knight'scheu Werkes glaubt
in dem Menolngium graccum (cikirt Capitel 55), in
welchem nach Knight's Meinung unter den architektoni-
schen Bildervcrzierungen Spitzbogen Vorkommen sollen,
nur Rundvogen entdecken zu können. Denn bei den
abwechselnd vorkommenden Giebelformen sey wohl die
Spitze vorhanden, aber der Bogen fehle. Vielleicht
dürften in und um Koustantinopel anzustellende genauere
Untersuchungen noch andere Resultate und Beweise er-
geben, dieses müsse jedoch abgewartet werden. Herr
Ur. Lepssus nimmt vielmehr an, daß der Spitzbogen
eine, von den vielen bei den Arabern gebräuchlich gewe-
senen Vogenformen scy, ohne bei jenen einen andern
Werth als den der Abwechslung zu haben; während er
später erst durch eine gewisse Einheit und Ausbildung
zu wahrer Kraft und Bedeutung gelangt sey. Im Norden
Europas hat Knight keine Beispiele für die Aufnahme
des Spitzbogens vor 1200 gefunden und glaubt daher,
daß derselbe erst durch die Kreuzzüge nach dem Norden
verpflanzt sey. Deutschland hat er nicht bereist.

Sehr richtig bemerkt Dr. Lepsius ferner, daß die
Bauwerke des 13ten, 14ten, 15ten und der folgenden
Jahrhunderte für das aufmerksame Auge leicht ausein-
andertreten, indem Säulen, Gewölbe, Schwung der
Bogenschenkel, Fensterfüllungen, Gliederungen an Thüren
und Fenstern, Zierrathen, ja jeder Theil ftir sich seine
eigene Geschichte habe, und darum über das Jahrhun-
dert seiner Entstehung nicht in Ungewißheit lasse. Wo-
gegen cs nicht nur schwer, sondern in vielen Fallen un-
möglich scy, die einzelnen Bauformen des >2ren, Ilten,
lOten und gar der früher» Jahrhunderte aus den Mo-
numenten allein zu erkennen; indem nicht nur dieselben
Capitelle, Friese und Verzierungen, ja sogar dieselbe
Anordnung nachweislich im 8ien und 9ic» und wiederum
int 13ken Jahrhundert vorkamen.

Herr Dr. Lepsius knüpft höchst interessante Unter-
suchungen über die Dome und Kirchen zu Naumburg,
Memleben, Merseburg, Freiburg a. d. U., zu Basel
und Bamberg und über die Sebalduskirche in Nürnberg
an, und führt manche Beweise auf, daß iusveiondere
da, wo Zweck oder Nothwendigkeit cö erforderten, neben
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