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Kunstblatt.

tr 21

Kritische Untersuchung eines Gemäldes,
angeblich von einem unbekannten ausgezeichneten vene-
zianischen Meister, in der Galerie des königlichen
Museums zu Berlin, vorstellend: Joseph, Seba-
stian, Johannes der Täufer, Maria mit dem
Kinde, Katharina. Bezeichnet mit Nr. 201*.

Von M. Unger.

Um die Mitte des löten Jahrhunderts, als man in der
bildenden Kunst den willkürlichen abstrakten Gedanken auf Kosten
des selbstständigen Wertstes der Erscheinung erhoben, eilte die
Kunst in Italien schnell ihrem Verfalle zu, indem man fich
dadurch veranlaßt non ihren inner» Bedingungen immer mehr
und mehr entfernte. Nur inVenedig verniochteder große Tizian
diese Verderbnis fern zu halten, und diesem besonders ist es zu
verdanken, daß sich hier- die Kunst noch einer blühenden und
gesunden Werkthätigkeit zu erfreuen hatte, die zugleich an die
lange Lebensdauer dieser höchst bedeutenden Künstlerpersönlichkeit
geknüpft zu seyn. schien.

Das obige Werk, welches sich durch den bemerkbaren Ein-

1 Die Nr. 201, welche das von Herrn Unger besprochene Bild
führt, hat dasselbe erst in. neuerer Zeit erhalten. Früher hatte es
die Nr. I, 92, a. und wird.unter dieser letzteren Bezeichnung auch
noch in der im Jahr 1838 hcrausgegebenen „Beschreibung der Ge-
mäldegalerie des königl. Museums zn Berlin, von F. Kuglcr,"
S. 122 f., besprochen. Es dürfte nicht uiüntereffant sehn, die
Acußcrnngcn des Letzteren mit obiger Kritik zu vergleichen, weßhalb
wir die bezügliche .Stelle des Kugler scheu Werkes hiehersrtzen:

„Dagegen suachdcni nämlich von einem, dem Paolo Veronese
mit Bestimntthcit 'jiigeschriebenen Bilde die Rede war) dürfte an
dieser Stelle ein großes Allargemälde (I, Nr-. 92, a.) zu nennen
fcyn, 'welches unter de» im D,nsenm vorhandenen Gemälde» vene-
zianischer Schule e>nc vorzügliche Stelle cir,nimmt. .Kl stellt ans
her einen Seite eine Madonna mit dem.Kinde ans dcnr Throne dar,
vor ihr und zu ihr hincilend verschiedene Heilige und Engel, in einer
treffiichr» Harmonie der Farben Iliib in schöner, gleichmäßiger Tages-
htlle. Unter den. Heiligen ist zunächst die Gestalt des h. Sebastian
r». bemerken, welcher, der Madonna gegenüber, an einen Baum
gefesselt lehnt, ein Jüngling von zarter, fast weiblicher Schönheit,
auch das feine geistreiche Gesicht schon mit einem gewissen schmach-
tend sentimentalen Ausdrucke. Die malerische Behandlung dieser
Gestalt erinnert an Pordenone, obwohl sic den besoudcrn Vorzügen
desselben in Etwas Nachsicht. Die'Erscheinung der Madonna dage-
gen hat, ^abweichend von der die Gr'änzr fast überschreitenden Zart-
heit des Sebastian, etwas bedeutsam Ernstes und ZnrückgehaltcncS,
was auf gcwistc Wci>c en Glorgione, zugleich aber-auch an einige
der glücklichlten Leistnnge» des Paolo Veronese erinnert; der
Engel, der mit. gefalteten Hände» aus sic zneilt, ist (etwa mit Aus-
nahme der zärtererl Ocsichisbildung) ganz in der dein letzteren eigeu-
ihümlichcn Weile gemalt. Ueberhaupt ist die Farbcnstlmmnng des
ganzen Bildes, die klare Behandlung der . Schallen den schlichtkren
Leistlingen des Paolo anffallciid vcrivaiitzti und cs dürfte somit die
Aiiiiahiuei daß daS Bild.vo.ii dielen, Kn»stier während feiner Stiidicn-
zeit zu Venedig gemalt lest, als er für fremde Einflüsse stoch leichter
empfäuglich sey». als die iiachniallge mehr rnännlichc Energie feiner
Darstellungen sich »och nicht vollständig auSgcbildct. habe» mochte,
picht alles Grundes entbehre». Der Katalog macht keinen Meister
des Bildes .»amhaft.f D. ,31.

Donnerstag den 29. April 1847.

flnß der Tizianischen Richtung zugleich Nlit einer gediegenen
Durchführung, die in der selbstständigen Auffassung einer er-
' sprießlichen Realität ihre Gewährleistung findet, als der vene-
zianischen Schule angehörig zn erkennen gibt, enthält zugleich
damit die Merkmale, welche es als ein der erwähnten Periode
angehörigcs Produkt stempeln.

Mit Tintoretto, Paul Veronese und Bassano,
welche die Haüptrichtüngen in dieser Zeit repräsentiren, die sich
in Venedig mit größerer Selbstständigkeit ans der des Tizian
entwickelten, war indeß bei allein Trefflichen, was diese Meister
auch geliefert, die Kunst bereits in Vielmalcrei ansgeartet,
weßwegen sich in deir Werken dieser Meister auch iiie.hr Reflexion,
als eigentliche Empfindung zu erkennen gibt. Ist die Wirkung
in den Tizianischen Werken in einem steten nätürlichen Wachs-
thum begriffen, weil das Ursächliche derselben mit Geist und
Empfindung in der Eigenthümlichkeit des bedingenden Eiüzclncn
ermittelt ist, wodurch diese Wirkung als eine der Natur iden-
tische Folge erscheint; — so ist die Wirkung der Werke seiner
Nachfolger bei einer weitschichtigern Ausführung mehr beabsich-
tigt und berechnet. Sie zu erzielen sind unter diesen Umständen
gewisse Mittel erforderlich, welche man nicht unpässend mit dem
Namen Kunstgriffe benennen kann, deren sich der große Tizian
grundsätzlich nur sehr wenig bediente, um dem engen Zusam-
menhang der natürlichen Erscheinung durch eine Bequemlichkeit
nicht zu nah zn treten, Weiche die Veranlassung aller Manier
I ist, und die tut besten Falle statt der Wahrheit nur das Plau-
sible gibt.

Von allen drei Richtungen entfernt sich, besonders in Rücksicht
der Färbung, die des Pank Veronese am weitesten von der
des Tizian. Der iü dem fraglichen Bilde vorherrschende röth-
. lach graue Ton weist, zunächst ufib zwar um so entschiedenes
auf-.die 'Eigenthümlichkeit des Veronese hin, da von allen Schü-
lern und Nachfolgern Tizians, die. sich seines direkten Einflusses
von Hans ans zu erfreuen hatten, ihn keiner mit der Schule
des Veronese theilt, welcher die höhere Weihe der Kunst erst
später in Venedig empfing, als seine Prinzipien-iü der Färbung
sich bereits bei .ihm befestigt 'hatten. In den Werken der freiesten
Periode bringt Paul'Veronese die LebenSbedingungcn, insofern
sie sich in Form und Farbe kund geben, mit Routine zur Er-
scheinung. ' Hiernist','ist sowohl ein Lob, als auch ein gewisser
Tadel ausgesprochen. Wenn nämlich die Routine. ciucsthcils
ein großes Vertrantsepn mit der zn behandelnden Sache bedingt;
so ist andcrntheilg, sic mit ungewöhnlicher Leichtigkeit iiii Leben
treten zn lassen, nur durch die Handhabung eines gewissen Regel-
wescns zu erzielen. Diesem Regelweseii begegnet man in seinen
Werken in so verführerischer Art, daß inan cs sehr leicht über-
sieht, wie durch ein solches Verfahren vieles in der Natur der
Erscheinung unbeachtet gelassen ist, was zn dem unendlichen
iimmt Rcichthiiiii, wie ihn die Tizianischen Werke enthalten,
so wesentlich beitragt. Zugleich ist mit diesem Verfahren auch
noch der llnistand verknüpft, daß die Empfindung, welche, arti-
stisch geläutert, sich in dem reinen Naturprozeß kund gibt, den
die Erscheinung mii einer Individualität cingeht und worin
Register
M. Unger: Kritische Untersuchung eines Gemälde, angeblich von einem ausgezeichneten venezianischen Meister in der Galerie des königl. Museums zu Berlin, vorstellend: Joseph, Sebastian, Johannes der Täufer, Maria mit dem Kinde, Katharina. Bezeichnet mit Nr. 201.
 
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