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Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt — 29.1848

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https://doi.org/10.11588/diglit.3220#0088
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82 QSS^-

bte übersichtliche, erst die Baukunst, dann die Bildnerei in einem
Flusse durch die ganze Periode (bis 1000 v. Chr.) fortführende
Anordnung des Werkes gehört vornehmlich Kinkel an. Er be-
schränkt sich auf die bildenden Künste bei den christlichen Völkern.
Ohne Zweifel zu Dank des Leserkreises, auf und für den er
wirken will. Nämlich nicht eine rein küustler- und kunstkenntniß-
mäßige Wirkung beabsichtigt er mit dem Werke, sondern der all-
gemein menschlichen, mittelbar der politisch und philosophischen
(dabei widerkirchlichen) Bildung der Zeitgenossen möchte er von
diesem Gebiete aus Vorschub leisten. „Bei uns," so bevorwortet
er (S. 2), „wo die ungeheure Kluft der Bildung zwischen höhern
und nicdern Ständen so tief schmerzlich sich eingeriffen hat, ist
die gemeinsame Kunstfreude noch ein tröstliches Einigungsmittel
aller Stufen. Aus diesein Grunde gehört aber auch die An-
schauung dessen, was Menschengeist und Menschenhand bis heute
in der Kunst geleistet haben, ebenso wesentlich wie politische
Geschichte zu den unerläßlichen Anforderungen der allgemein
menschlichen Bildung." Daher will Kinkel nicht einmal Hellas
und Nom zuerst begrüßen, sondern frisch hineingreifen in die
Schöpfungen, welche an uns selbst in unmittelbarer Nähe heran-
treten und unserem eignen Gefühle verwandt sind.

So zweckmäßig das im Ganzen, so nöthig es sogar für die
Bequemlichkeit unserer, ein „mühevolles Aufsuchen" gerne sich
versagenden, nur fortschreiten wollenden Zeitgenossen seyn mag,
so bleibt doch der Ucbelstand, daß die alten Anfänge wie die
modernen Ausgänge der christlichen Kunst ohne genauere Kenntniß
der griechischen und römischen Kunst nur oberflächlich erkannt
werden können. Und was die Schöpfungen betrifft, welche an
uns selbst in unmittelbare Nähe herantreten; so sind der Kunst-
werke und Denkmale von» ersten Jahrtausend in unserem Deutsch-
land ja so wenige, daß im Grunde von jenem Gesichtspunkte
aus, wie die ganz vorchristliche Kunst, so auch die ganz urchrist-
liche bis auf Karl den Großen wenigstens, mithin beinahe dieser
ganze erste Band Wegfällen konnte. Hiermit will nur das gesagt
sehn, daß die Abgrenzung unseres Werkes rückwärts eine will-
kührliche, der Anfang ein nur äußerlich begründeter ist. Freilich
ist diese Darstellung der christlichen Kunstanfänge, abgelöst von
dem römischen Nachzuge, viel gefälliger und eindrucksvoller, als
wenn Schnaase sie im Hauptstück vom „Verfall der römischen
Kunst" mitschleppt, und es zieht den Leser mehr an, eine Kunst
frisch ins Leben springen, als langsam sich aus dem Ei heraus-
schälen zu sehen. Doch hätte zum Vortheil der Gründlichkeit der
Mangel in Schnaase's Darstellung init dem Vorzug derjenigen
Kinkels sich wohl vereinigen und allerdings eine kurze, bündige,
durch etliche Steinzcichnungen unterstützte llebersicht über die
wesentlichsten griechischen und römischen Kunstformen und Leistungen
voranstellen lassen. Denn daß die Kreise, auf welche Kinkel
rechnet, über hellenische und römische Kunst, aus der in unsere
Tage noch so viel Ungehöriges hercingeschleppt wird, anderwärts
hinreichend unterrichtet wären, lassen eben diese zeit- und raum-
losen Verschleppungen in öffentliches und häusliches Leben nur
zu sehr bezweifeln.

Was Kinkel nur in der Kürze über heidnische und christliche
Kunst (S. 6 u. ff.) cinleitet, ist zwar sehr verständlich geschrie-
ben, aber vielfach eben so schief als untief. Ein gewisser Mittel-
schlag der neuesten Bildung, jener von Gervinus so genannte
unttlcre Strich der Bildung ist die Richtungsknie nnsers Verfas-
sers, der zwar die „Modephilosophie" nichä anzuerkennen Philosoph,
Dichter und Mensch genug ist, aber doch „Freiheit an die Stelle
der Religion, Philosophie an die der Theologie, weltliche Kunst
überall an die der kirchlichen" zu stellen sich mitberufen fühlt
(S. 22). Wir fürchten, von solchem Standpunkte ans werde sich
nicht einmal die Vergangenheit, geschweige die Gegenwart und
Zukunft der christlichen Kunst mit Gerechtigkeit würdigen lassen.

Der Standpunkt, den Einer in Religion und Kirche ein-
nimmt, ist auch für die Kunst und ihre Geschichte nicht gleich-
gültig und es darf davon wohl auch im Kunstblatts ein Wort
gesprochen werden!

Unserm Verf. ist zwar (S. 7)Mhristus selbst — in Bezug
auf Geburt, Auftreten, Tod — nicht Sage, aber „die Sage hat
viele Ranken um sein Leben gewunden." Die alten Propheten
haben „in freudigem Glauben an den Sieg des Guten (nicht:
„getrieben vom heiligen Geiste") das künftige Heil der Welt vor-
ausverkündigt." Den Stifter des Christenthums hat „der Geist
des Glaubens und der That in den Tod gerissen." Das Christen-
thum „faßt den Menschensohn in idealer Verklärung auf und
entrückt ihn so allem Bedürfniß und Genuß des Irdischen." Die
christliche Kunst „feiert ihren Triumph, wenn sie den Menschen
darstellt, wie er die Schranken der Sinnlichkeit durchbricht und
in den reinen Aether der Idee (!) emporsteigt." Diese falschen
und halbwahren Sätze bekunden hinreichend, daß Kinkel dem
wirklichen Christus und seinem Geiste und also der christlichen
Kunst weit nicht ins Herz geblickt hat. Es kann daher nicht
auffallen, wenn er die Entwickelung der christlichen Kirche und
christlichen Kunst mißversteht, von der mittelalterlichen Kirche
behauptet, sie habe Welt und Kunst gehaßt oder verachtet (S. 10),
und von der protestantischen (S. 22), sie habe die Kunst ganz
von ihr ausgeschlossen. Was so die Einleitung verspricht, das
wird der vierte Band gründlich beweisen: „daß die romantische
Schule eine „Narrheit" (S. 24) gewesen und daß besonders in
der Malerei nur das jüngste Streben gesund sey, das in Natur
und Volksleben seine Stärke hat, in den jüngern Erscheinungen
aber den Ruf der Zeit nach historischer Kunst zu begreifen an-
fängt" (S. 24). Der Münchener und Düsseldorfer Kunst ist
damit zum Voraus das Horoskop gestellt. Es wird aber gegen-
über der Dialektik des modernen Zeit- und abstrakten Fortschritt-
geistes an der Zukunft liegen, die große Frage zu beantworten:
was aus einem Volke und aus einer Kunst werden würde, welche
statt von der Religion nur von der „Freiheit" zehren müßte.

Wir möchten wünschen, die zwei ersten Bogen des Buches
wären ungeschrieben geblieben, denn sie sind voll Schiefheiten
und Unrichtigkeiten. Wie vermag der Verf. doch S. 9 zu meinen,
daß durch Uebertragung jüdischer Sitte die Nacktheit im (christ-
lichen) Leben ausgeschlossen worden sey! Wenn etwas, so ging
das für die Heiden aus dem Wesen des Christenthums hervor,
in welchem der Geist und die Innerlichkeit den Leib — nicht
unterdrücken — aber beherrschen sollte, ihm also nicht die nackte
Aeußerlichkeit lassen konnte. Im unbekleideten Körper ist der
Geist nicht freier, sondern in Wahrheit gebundener als im beklei-
deten und durch die natur- und kunstgemäße Kleidung ist dem
Leibe sein Werth und seine Schönheit nicht genommen, sondern
in freier, weil geistiger Weise zurückgegeben. — Wenn cö (S. 14)
heißt, „unzählige Dogmen habe das Christenthum aus dem alten
Testamente und der heidnischen Philosophie entlehnt;" und (S.27):
„es habe sich im Anfang der christlichen Kirche noch stark die
Nachwirkung des Judenthume! kundgegeben, welches das Göttliche
im plastischen Bilde zu fassen überhaupt verbot" — so ist das
nicht richtig. Ganz falsch aber ist (S. 28) Tertullian und der
Montanismns in ihrem finster-ascetischcn Kunsthaffe mit „der
Kirche" selbst vereinerleit. Nicht einmal bei allen Kirchenlehrern,
geschweige in der Kirche selbst war Haß und Feindschaft gegen
die Kunst. Eine unbegreifliche Behauptung ist es vollends
(S. 29 bis 31), daß der in der Kirche sich entwickelnde Kunst-
trieb derjenige der phantastischen, weder der Materie noch dem
Geiste die rechte Stelle findenden Gnostiker gewesen sey, welche
mit ihrem „Kultus des Genius" zwar aus der Kirche ausgestoßen
werden konnten, deren Geist sich aber nicht habe ansschließen
lassen!
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