Kunstblatt.
Utr 39
Die Kunstausstellung in Stuttgart im
Mai und Juni.
(Schluß.)
Die Bilder der Niederländer, eines Brackelacr :c.
werden alsobald vom Blick herausgefunden. Sie tragen den Ton
der nationellen Kunstpropaganda, eine klare, naturgemäße, be-
scheidene, künstlerisch unzerquält gebrochene Farbe, eine sanfte
Harmonie, ein anmuthiges Ensemble, Einheit des Beleuchtungs-
effekts re. an sich. Sie sind nicht sowohl satyrisch, burlesk, kar-
rikirt oder gesucht komisch, als vielmehr humoristisch, ironisch,
volksthümlich, gemüthlich, lustig. Sie vermeiden alle trostlosen,
jämmerlichen, Gefühl verletzenden Stoffe. Sie halten als sinnige
Scenen das Auge fest, ohne uns anzuschreien: „Sieh mich an
und enträthsele mich!" Man denkt nicht an Malerei, Pinsel und
Palette; man fühlt sich in ihr Leben hinein. Die Phantasie lost
sogleich das äußere Schauen ab.
Ucber die eingekommenen Landschaften kann auch eine
wiederholte, soweit die Zeit es gestattet sorgfältige Ueberschau
kaum Herr werden und eine Rangstellung ist um so schwerer,
als des eigentlich Mißlungenen nicht viel ausgestellt ist, das mehr
oder weniger Gelungene aber sich in unmerklichen Abstufungen
in einander verläuft. Der Raum gestattet uns nur einige An-
deutungen ins Allgemeine. Ein wicdererwachtes Studium der
Natur, des Festen und Flüssigen, des Begränzten und ins Un-
endliche Bewegten ist überall wahrnehmbar. Das Charakterlose
kommt nicht mehr durch. Während aber an den ältern, nament-
lich niederländischen Meistern das Charakteristische in dem Grade
geschätzt wird, als cs die Stimmung der Natur in Licht, Luft
und Duft, in den Formen der Wolken und Wellen und in den
Typen der Kreaturen treu und in jedem Pinselstriche fühlbar
wicdergibt, finden wir hier nicht eben Vieles, was an die be-
rühmtesten Altmeister nahe hinreichte, obwohl das Anstreben sich
nirgend ganz verläugnet. Bei den Gewandter» geht das Natur-
studium mit einer erkennbaren Manier und fordernden Technik
Hand in Hand. Der sorgsamere Fleiß der Ausführung fällt
leicht in einige Härte oder Gelecktheit. — Viele lassen den präg-
nanten Stoff, die Romantik der Natur für ihre Kunst einstehen;
die Gebirgwelt muß herhalten; Felsenklüfte, Wasserfälle, steile
Ufer, Brandungen, Höhlen, Gletscher, Alpen -c. sind ja malerisch
ohne Maler. Andere wählen gespannte Beleuchtungen, atmo-
sphärische Phänomene, Mondscheine, Gewitter, Stürme u. Eine
wiederholte Schau hat uns eine Anzahl sehr gelungener Land-
schaften herausfinden lassen, die auch Scenen des Flachlandes
mit trefflichem Naturgefühl und liebevoller Versenkung in Stim-
mung und Charakter desselben wiedergeben. Es sind aber nicht
eben solche Bilder, die das fortschweifende Auge des gewöhnlichen
Beschauers sesthalten. Leider gestattet der Raum keine Aufzäh-
lung, geschweige eine nähere Würdigung derselben. Man gönne
dem Kunstfreunde das Bischen Stolz, daß er Manches sieht und
schätzt, was Viele übersehen, und daß er wenigstens seine Um-
gebungen auf dessen Werth aufmerksam macht. Manche Land-
schaften sahen uns an wie ü In prima gemalte Skizzen; in andern
Donnerstag den 10. August 1848.
ist eine besondere Stimmung der Natur, ein frappanter Be-
! lenchtungseffekt mit mehr oder weniger Glück anfgefaßt, ohne
durch das ganze Bild auch in seinem Getheil durchgeführt zu
seyn. Wie kommt es nur, daß gerade noch unausgebildetc Ta-
lente so gern nach dem Aeußersten von Natureffektcn greifen,
während die größten Meister es als der Palette und Technik
unerreichbar vermieden haben. Doch so ist es ja in aller Kunst.
Thier stücke sind zahlreich vorhanden, von Pferden wenig
Ausgezeichnetes, einiges flach und roh gemalt. Ein Schlacht-
geniälde und einen Pferdemarkt nehmen wir lobend aus.
Von Viehstücken dürfen wir das Erfreuliche sagen, daß
nichts Verfehltes ausgestellt ist, daß hinwieder nicht Weniges
I in guter Zeichnung und malerischer Behandlung eine sorgfältige
Naturbeobachtung und das Studium der besten Vorbilder zeigt;
so die Bilder von Volz in München, Richard in Karlsruhe,
de Ta eye in Antwerpen ic.
Von Architektur stücken ist manches Gute, einiges Treff-
liche vorhanden, z. B. von Sm i ts im Haag, Vermeer sch in
München, Gärtner daselbst -e. Blumenstücke, Ocl- und
Aquarellgemälde, meist fleißig und glänzend behandelt,
sprachen uns doch zu hellbunt an. Die tiefbetonte Weise der
Alten gefällt uns besser. Ein Porzellaingemälde von
Morgenroth ist bei weitem gelungener als das Glasgcmälde
von de Roy in München. Zwei Zeichnungen von H. Peter-
sen: St. Katharina und Karl IX. sind meisterlich. ■— Die von
| A. v. Bay er in Baden erst jetzt eingekommenen drei Bilder
haben uns über den neuesten Stand seiner früher anerkannten
Leistungen stutzig gemacht. Die „Aussicht im Klostergarten" ist
, wohlgedacht und gut komponirt, aber unnatürlich und übertrie-
j bcn im Kolorit. Der „Fiedler" ist in Farbe, Reflcren und
j herumtanzcndcn Lichtleiu wirklich das Allerverzwicktcste, Gesuch-
teste, was uns je vorgckommen; „Johanna von Frankreich als
Ordensstifterin" nicht minder. Man sucht vergebens einen Stand-
punkt, auf dem man sich mit diesem wunderlichen Tableau einiger-
maßen versöhnen könnte. Es sind alle möglichen architektonischen
! Zierrathen und Schnörkel -c., Geräthschaften, Drapperien, Bei-
werke jeder ersinnlichen Art, heiliges Gerümpel re zusammen
gedrängt, in- und hintereinander geschoben worden, um die Kunst
oder Künstelei der Widerscheine, Beleuchtungseffekte, Lichtblicke
und Schlagschatten, Verkürzungen -e. anzubringen. Die Färbung
des Ganzen ist nicht nur unnatürlich, sondern rein unmöglich.
Das höchst unerquickliche Gemälde ist bloß zu 2500 fl. angesetzt.
Wie kann sich ein sonst beliebter Meister so sehr in Stoff und
Form vergreifen?
Neu aufgestellt ist das lebensgroße Bild Ihrer kaiserl. Hoheit
der Frau Kronprinzessin Olga von de Kcyser aus Antwerpen.
Ueber die Auffassung des Charakters des Originals und die
Naturtreue der Nachbildung gestatten uns die Umstände kein ver-
gleichendes Urtheil. Die Behandlung, die Durchführung der
schwierigsten Aufgabe, die sich der berühmte Künstler gestellt,
offenbart seine große Virtuosität. Er hat alle Behelfe, wodurch
die Malerei wirksame und täuschende Effekte hervorbringt und
das Auge besticht, bei der Hauptgestalt verschmäht und in Rück-
Utr 39
Die Kunstausstellung in Stuttgart im
Mai und Juni.
(Schluß.)
Die Bilder der Niederländer, eines Brackelacr :c.
werden alsobald vom Blick herausgefunden. Sie tragen den Ton
der nationellen Kunstpropaganda, eine klare, naturgemäße, be-
scheidene, künstlerisch unzerquält gebrochene Farbe, eine sanfte
Harmonie, ein anmuthiges Ensemble, Einheit des Beleuchtungs-
effekts re. an sich. Sie sind nicht sowohl satyrisch, burlesk, kar-
rikirt oder gesucht komisch, als vielmehr humoristisch, ironisch,
volksthümlich, gemüthlich, lustig. Sie vermeiden alle trostlosen,
jämmerlichen, Gefühl verletzenden Stoffe. Sie halten als sinnige
Scenen das Auge fest, ohne uns anzuschreien: „Sieh mich an
und enträthsele mich!" Man denkt nicht an Malerei, Pinsel und
Palette; man fühlt sich in ihr Leben hinein. Die Phantasie lost
sogleich das äußere Schauen ab.
Ucber die eingekommenen Landschaften kann auch eine
wiederholte, soweit die Zeit es gestattet sorgfältige Ueberschau
kaum Herr werden und eine Rangstellung ist um so schwerer,
als des eigentlich Mißlungenen nicht viel ausgestellt ist, das mehr
oder weniger Gelungene aber sich in unmerklichen Abstufungen
in einander verläuft. Der Raum gestattet uns nur einige An-
deutungen ins Allgemeine. Ein wicdererwachtes Studium der
Natur, des Festen und Flüssigen, des Begränzten und ins Un-
endliche Bewegten ist überall wahrnehmbar. Das Charakterlose
kommt nicht mehr durch. Während aber an den ältern, nament-
lich niederländischen Meistern das Charakteristische in dem Grade
geschätzt wird, als cs die Stimmung der Natur in Licht, Luft
und Duft, in den Formen der Wolken und Wellen und in den
Typen der Kreaturen treu und in jedem Pinselstriche fühlbar
wicdergibt, finden wir hier nicht eben Vieles, was an die be-
rühmtesten Altmeister nahe hinreichte, obwohl das Anstreben sich
nirgend ganz verläugnet. Bei den Gewandter» geht das Natur-
studium mit einer erkennbaren Manier und fordernden Technik
Hand in Hand. Der sorgsamere Fleiß der Ausführung fällt
leicht in einige Härte oder Gelecktheit. — Viele lassen den präg-
nanten Stoff, die Romantik der Natur für ihre Kunst einstehen;
die Gebirgwelt muß herhalten; Felsenklüfte, Wasserfälle, steile
Ufer, Brandungen, Höhlen, Gletscher, Alpen -c. sind ja malerisch
ohne Maler. Andere wählen gespannte Beleuchtungen, atmo-
sphärische Phänomene, Mondscheine, Gewitter, Stürme u. Eine
wiederholte Schau hat uns eine Anzahl sehr gelungener Land-
schaften herausfinden lassen, die auch Scenen des Flachlandes
mit trefflichem Naturgefühl und liebevoller Versenkung in Stim-
mung und Charakter desselben wiedergeben. Es sind aber nicht
eben solche Bilder, die das fortschweifende Auge des gewöhnlichen
Beschauers sesthalten. Leider gestattet der Raum keine Aufzäh-
lung, geschweige eine nähere Würdigung derselben. Man gönne
dem Kunstfreunde das Bischen Stolz, daß er Manches sieht und
schätzt, was Viele übersehen, und daß er wenigstens seine Um-
gebungen auf dessen Werth aufmerksam macht. Manche Land-
schaften sahen uns an wie ü In prima gemalte Skizzen; in andern
Donnerstag den 10. August 1848.
ist eine besondere Stimmung der Natur, ein frappanter Be-
! lenchtungseffekt mit mehr oder weniger Glück anfgefaßt, ohne
durch das ganze Bild auch in seinem Getheil durchgeführt zu
seyn. Wie kommt es nur, daß gerade noch unausgebildetc Ta-
lente so gern nach dem Aeußersten von Natureffektcn greifen,
während die größten Meister es als der Palette und Technik
unerreichbar vermieden haben. Doch so ist es ja in aller Kunst.
Thier stücke sind zahlreich vorhanden, von Pferden wenig
Ausgezeichnetes, einiges flach und roh gemalt. Ein Schlacht-
geniälde und einen Pferdemarkt nehmen wir lobend aus.
Von Viehstücken dürfen wir das Erfreuliche sagen, daß
nichts Verfehltes ausgestellt ist, daß hinwieder nicht Weniges
I in guter Zeichnung und malerischer Behandlung eine sorgfältige
Naturbeobachtung und das Studium der besten Vorbilder zeigt;
so die Bilder von Volz in München, Richard in Karlsruhe,
de Ta eye in Antwerpen ic.
Von Architektur stücken ist manches Gute, einiges Treff-
liche vorhanden, z. B. von Sm i ts im Haag, Vermeer sch in
München, Gärtner daselbst -e. Blumenstücke, Ocl- und
Aquarellgemälde, meist fleißig und glänzend behandelt,
sprachen uns doch zu hellbunt an. Die tiefbetonte Weise der
Alten gefällt uns besser. Ein Porzellaingemälde von
Morgenroth ist bei weitem gelungener als das Glasgcmälde
von de Roy in München. Zwei Zeichnungen von H. Peter-
sen: St. Katharina und Karl IX. sind meisterlich. ■— Die von
| A. v. Bay er in Baden erst jetzt eingekommenen drei Bilder
haben uns über den neuesten Stand seiner früher anerkannten
Leistungen stutzig gemacht. Die „Aussicht im Klostergarten" ist
, wohlgedacht und gut komponirt, aber unnatürlich und übertrie-
j bcn im Kolorit. Der „Fiedler" ist in Farbe, Reflcren und
j herumtanzcndcn Lichtleiu wirklich das Allerverzwicktcste, Gesuch-
teste, was uns je vorgckommen; „Johanna von Frankreich als
Ordensstifterin" nicht minder. Man sucht vergebens einen Stand-
punkt, auf dem man sich mit diesem wunderlichen Tableau einiger-
maßen versöhnen könnte. Es sind alle möglichen architektonischen
! Zierrathen und Schnörkel -c., Geräthschaften, Drapperien, Bei-
werke jeder ersinnlichen Art, heiliges Gerümpel re zusammen
gedrängt, in- und hintereinander geschoben worden, um die Kunst
oder Künstelei der Widerscheine, Beleuchtungseffekte, Lichtblicke
und Schlagschatten, Verkürzungen -e. anzubringen. Die Färbung
des Ganzen ist nicht nur unnatürlich, sondern rein unmöglich.
Das höchst unerquickliche Gemälde ist bloß zu 2500 fl. angesetzt.
Wie kann sich ein sonst beliebter Meister so sehr in Stoff und
Form vergreifen?
Neu aufgestellt ist das lebensgroße Bild Ihrer kaiserl. Hoheit
der Frau Kronprinzessin Olga von de Kcyser aus Antwerpen.
Ueber die Auffassung des Charakters des Originals und die
Naturtreue der Nachbildung gestatten uns die Umstände kein ver-
gleichendes Urtheil. Die Behandlung, die Durchführung der
schwierigsten Aufgabe, die sich der berühmte Künstler gestellt,
offenbart seine große Virtuosität. Er hat alle Behelfe, wodurch
die Malerei wirksame und täuschende Effekte hervorbringt und
das Auge besticht, bei der Hauptgestalt verschmäht und in Rück-