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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 7.1872

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Meyer, Bruno: Die Konkurrenz-Entwürfe zum Berliner Goethe-Denkmal, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4814#0211
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413

Konkurrenz-Entwürfe zum Berliner Goethe-Dcnknial. III.

414

Architektnr haben?) Auf den rcchts und links ausgesparten
Flächen dcs Unterbaucs haben die vortrefflichen sitzenden
Statuen des Aeschylos und des Homer Platz gefunden.
Auf der Spitze des Monumentes ist Goethe stehend darge-
stellt, ziemlich im Alter der Rauch'schen Büste und nach
dieser mit Geist gearbeitet. Jn der abwärts gestreckten
Nechten hält er den Stift, die Linke mit einem Buche, in
dem der Zeigefinger liegt, rnht auf der Brust. Die Klei-
dung ist leicht geöffnet; ein etwas unklar entwickelter, aber
in den Massen wirksamer Mantel fällt über die Gcstalt.
Auch dieser Goethe gehört zu den besten Leistungen der
Konkurrenz, und — abgesehen davon, daß ich aus den
früher erörterten Gründen eben lieber den jungen Goethe
hättc, — wüßte ich nichts ernsthaft an der Statue aus-
zusetzen, als jene hinter dem freien Arm steif und parallel
herabfallenden Mantelfalten, die ich auch schon an andercn
Porträtgestalten des Künstlers bemerkt habe. An Fertig-
keit und Monumentalität des Gesammteindruckes und an
selbstvcrständlicher, wirklich innerer Größe überragte der
Entwurf weitanS alles Uebrige, und konnte überhaupt
nur einer ungefähr in Verglcich treten. — Und trotz allcdem
ist der Entwurf in Berlin schmuckloS und voüständig
durchgefallen: aus keiner anderen Ursache als um den
Jnhalt des erwähnten Reliefs. Daß die vier Statucn
vergegenwärtigcn sollen, wie Goethe auf dem Alterthum
fußt und aus ihm cmporwächst, hätte man sich sagen lasscn
und hingenommen, obgleich dadurch die Quellen des
Gocthe'schen Geistesdochnichterschöpftsind. Mauhättenach
ciner gleichwerthigenVcrtretung auch desnational-deutschen
Elementes verlangt. Dies nun licß Pilz auf jenem Relief
durch cinen Auszug der deutschen Kulturgeschichte seit
Winckelmann, Lessing und Klopfftock (sio!), dargestellt
in Gruppen der auf allen Gebieten hervorragendsten
Männer, repräsentireu. Auch darauf wäre man wohl
noch eingegangen, eingedenk des Friedrichsdeukmales; aber
der Künstler führte die Kulturgeschichte herab bis auf
Kaiser Wilhelm, Bismark und Moltke, und das sprengte
ihn in die Luft. Die Letzteren in Gemeinschaft eines Fluß-
gottes als — etwas aus der Tonart fallenden — Lücken-
büßcrs befanden sich vorn am Denkmal; sie waren das
Erste, was — gerade in Gesichtshöhe — in dem engen
Raume in's Auge fiel, und damit war Stimmung und
Urtheil entschieden und unwiderruflich; — für das Pu-
blikum, das „große", entschuldbar, für keinen anderen.
Wer auf besonnenes und maßgebendes Urtheil Anspruch
macht, mußte die vorliegende bedeutsame künstlcrische That
trotz des augenscheinlichen Lapsus, der es auch nur füruns
hier, für die gegenwärtig Lebenden ist, erkennen. Denn
thöricht wäre es, die Zdee überhaupt als blödsinnig hin-
zustellen: der Künstler hat sich nur die Situation uicht
vergegenwärtigt und die berliner kritische Nüchternheit,
die leicht in beißenden Spott überschlägt, nicht genügend
gekannt und in Anrechnung gebracht. Für Pilz, draußen

außerhalb des „Neiches", sind dic Begründer des neucn
deutschen Reiches historische Persönlichkeiten und Wescn,
mit denen er nur in der Vorstellung Gemeinschaft hat,
so gut wie Goethe. Für uns sind sie lebendige Menschen,
die wir kennen, die wir alle Tage auf der Straße sehen.
Was selbst der kritische Berliner sich von Kaulbach in Be-
zug auf die Vergangcnheit aufbinden ließ, daß durch Jahr-
hunderte von einander getrennt gewesene Leute sich im
Bilde mit einander unterhalten, das ist für ihn selbst bci
viel weniger direkter Geiueinschaft uuerträglich, sobald die
unmittelbare, noch lebendige Gegenwart neben eine —
obgleich noch gar uicht so sehr entferute — Vergangcnheit
tritt. — Es ist im höchsten Grade bcdauerlich, daß Pilz
mit seinem außerordentlich schöncn originellcundgeistvollen
Goethe-Denkmalsentwurfe dieser kritischen Neigung, die
nicht Kritik genug hat, um an sich selbst Kritik zu üben,
zum Opfer gefallen ist, wo nnd gerade weil er im guten
Glauben handelte. — Es sei noch erwähnt, das der Ent-
wurf von Pilz der gefeilteste, also auch in dieser Beziehung
der fertigste von allen war.

Fritz Schaper in Berlin. Ein sehr vorzüglicher,
gleichfalls sehr fleißig ausgeführter Entwurf. Eiu scchs-
eckiges Postament trägt auf drei Seiten (auch vorn) wasser-
speicnde Maöken. Gcgen die drei andercn Seiten siud
Gruppen gestellt. Drei brcite Stufen begleitcn parallel
den Grundriß des Sockels. Unter den Gruppen stchen
die Eigenschaftswörter (alsJnschrift jedenfalls uumöglich!)
„dramatisch", „lyrisch", „wisienschaftlich". Vorn links:
eine schöne, ernste sitzende weibliche Gestalt hält die Hände
mit Nolle und Stift im Schoße übcreiuandergelegt; zu
ihrer Rechten ein geflügelter uackter Genius ; er hält in
der Linken auf ihrer Schulter eincn Lorbeerkranz, die
Rechte ist auf eine umgestürzte Fackel gestützt. Vorn rcchts:
eine leicht bekleidete, jugcndlich reizeude weibliche Gestalt
hält sitzend in der Liukcn eine Lyra und umfaßt mit dem
rechten Arm einen nackten Amor; beide sehen einander
verliebt an; Amor hält in der Rechten eineu Pfcil, die
Linkc, eine Rose haltend, ruht auf ihrem Schoße. Hinten:
eine königliche sitzendc Frauengestalt mit einem Strahlcn-
diadem, die Beine über cinander geschlagen (was mir
nicht geziemcud scheint), zeigt mit der Linken auf cin Buch
„Natur", das sie in der Rechten hält; zur Seite liegen
Bücher, darauf sitzt eine Eule, daneben liegt dcr Herkules-
torso vom Belvedere; ein nackter geflügelter Knabe koiunit
auf sie zu, eine krumme Fackel (?) in beiden Händen hal-
tend. Diese Gruppen sind charakteristisch und anmuthig.
Die nackten Knabengestalten zumal sind von einer be-
zaubernden Lieblichkeit und Grazie. Dic Beweguugen
sind von einemfeinenMaß und einem elastischemSchwuiige,
wie man sie selten sieht. Am Sockel befinden sich noch
zwei Neliefs, die als Diplasiasmus überhängen : cine auf-
schwebende, ihr Gewaud vom Körper entfernende Frauen-
gestalt mit Stern, und eine nacktc stehende Frau mit
 
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