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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 16.1881

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Pecht, Friedrich: Die Reichenauer Wandgemälde
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https://doi.org/10.11588/diglit.5793#0124
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Die Reichenauer Wandgemälde.

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Reihe von vier großen Hauptbildern von je etwa 12
Fuß Länge und 8 Fuß Höhe, welche die Wandfläche
zwischen der oberen Fensterreihe und den Arkaden des
Mittelschiffes ausfüllen. Die Zwickelfelder zwischen
diesen enthalten dann Brustbilder von Heiligen, die
Zwischenräume der oberen Fensterreihe die überlebens-
großen Gestalten von je sechs Aposteln. Letztere waren
nnr er>t teillveise aufgedeckt, als ich die Kirche besuchte,
und was sich davon zeigte, war sehr schlecht erhalten.
Dagegen sind die vier Hauptbilder bis auf eines in
ihrer Komposition noch ganz wohl zu beurteilen, und
einzelnc besscr konservirte Partien geben auch über das
Maß des Kunstvermögens nnd den Stil der Ausfüh-
rung zicmlich hinrcichendcn Aufschluß, der durch die
am besten konservirt gebliebenen Zwickelbilder noch
vervollständigt wird. Diese sind von den Hauptscenen
durch einen kvlossalen Mäander abgeschlossen, über dem
ein breites rotes Band auf den Jnhalt der Bilder
bczügliche Vibelstellen in lateinischen Majuskeln cnt-
hält, wie sie der Karolingischen Periode entsprechen.

Auf die Erweckung des Lazarus folgt die des
Jünglings zu Naim, an die sich jene von Jairi Töchter-
lein anschließt. Das vierte Hauptbild, sehr zerstvrt,
scheint die Heilung des Aussätzigen darzustellen, der
dem Oberpricster vor der Tempelpforte zwei Turtel-
tauben als Opfer überreicht. Von diesen Bildern ist
das erstgenannte im ganzen am besten erhalten und
besonders die Gestalt des Christus von entschiedener
Großartigkeit. Aber auch alles andere zeigt eine
Klarheit der Komposition und in vielen Fällen eine
Kraft des Ausdruckes, die mit dem Ungeschick der
späteren Arbeiten auS der gotischen Zeit gar sehr kon-
trastirt und überall noch die Traditionen der klassischen
Kunst mit voller Deutlichkeit lebendig zeigt, beson-
ders in den oft noch ganz antiken Gewandmotiven;
aber auch darin, daß die Komposition überall rhyth-
niisch durchgebildet und in den Massen wohl abgewogen
ist. Wenn die Köpfe weit besser gezeichnet sind als
Hände und Füße, Verkürzungen überhaupt nicht ge-
lingen, so zeigt das, wie vieles andere, die Verwandt-
schaft mit den älteren Mosaiken der Markuskirche und
von Ravenna. Jst sie unverkennbar> so vielleicht noch
mehr die mit den Wechselburger und anderen früh-
romanischen Skulpturen. Besonders auffallend tritt
der byzantinische Einfluß in der scharfen streifigen Ge-
wandbehandlung und der Mvdellirung der Köpfe durch
ziemlich gleichwertige Halbtöne hervor, wie sie sich an
dcn untercn Heiligen noch leicht erkennen läßt. Un-
mittclbare Naturnachahmung ist nirgends sichtbar, es
ist eine ganz idealisirende, wenn auch keineswegs sche-
matische Kunst, wie die byzantinische z. B., die heute
noch in Nußland geübt wird. Wir ständen also nach
alledem vor den ältesten und überdies sehr ausgedehnten

Wandmalereien, die wir in Deutschland überhaupt noch
besitzen, nnd deren Bedeutung durch ihren künstle-
rischen Wert doppelt erhöht wird. Leider sind zwei
große Restaurationen über die Bilder ergangen, eine
im 15. Äahrhundert, wo man den unteren Heiligen
Spruchbänder in der damaligen deutschen Schrift auf-
malte und auch sonst ziemlich rücksichtslos mit ihnen um-
ging. Eine zweite erfuhren sie im achtzehnten Jahr-
hundert, wo wahrscheinlich derselbe Zopfmaler, welcher
1708 das jüngste Gericht oder die Auferstchung dcr
Seligen im Orgelchor malte, seine süßen Farben auch
den alten Bildern teilweise aufnötigte, offenbar um sic
in größere Übereinstimmung mit seinem jetzt verblichenen
Meisterwerke zu bringen. Man sieht demgemäß an
vielen Stellen zwei Farbenschichten übereinander. Die
alte echte, überall hell und sehr gelblich in den
Fleischlwnen, scheint keineswegs Fresco sondern eher
eine Art Temperamalerei zu sein, wenigstens hnbe
ich nirgends jenes Einritzen der Umrisse in den nassen
Kalk bemerken können, welches man doch an dem von
Adler publicirten jüngsten Gericht an der Außenseite
der nördlichen Apsis noch ganz deutlich wahrnimmt.
Seine Figuren zeigen überhaupt einen wesentlich ver-
schiedenen, weniger Einwirkung der Antike und mehr
unmittelbare Naturnachahmung verratenden Stil. Es
rührt also jedenfalls von einem späteren Künstler her.

Seit ich dieKirche besuchte, ist, wie mirHerrPfarrer
Feederle mitteilte, auch noch die ganze Nordseite der
Kirche ausgedeckt worden und hat als Hauptbilder er-
geben: I. Die Austreibung der Dämonen in der Gcgend
der Gergesener. Hier reiten kleine rote Teufelchen dic
Schweine in den Abgrund. II. Heilung des Wasser-
süchtigen, wo die auch sonst überall sehr mächtig auf-
gefaßte Christusfigur besonders imponirend erscheinen
soll. III. Christus im Schiff, den Winden und Wellen
gebietend. Zwei Dämonen blasen Sturm. IV. Hei-
lung des Blindgeborenen, wie das gegenüberliegende
Bild, durch den ehemaligen Lettner sehr zerstört.

Kann es nun gar keine Frage sein, daß diese
Malereien in ihrer verhältnismäßigen Meisterschaft wie
ihrer Größe und artistischen Bedeutung weit über das
Architektonische der ärmlichen Kirche hinausgehen, so
beweisen sie nur um so klarer die ja auch sonst genug
bezeugte Existenz einer großen Malerschule in dem be-
nachbarten Kloster Reichenau, dessen Filiale die Kirche
in Oberzell war. Es wäre nun vor allem ihr Ver-
hältnis zu dem gleichzeitigen berühmten Codex Egberti
in Trier festzustellen, der, ebenfalls aus der Reichenauer
Malerschule hervorgegangen und von den beiden Mön-
chen Gerolt und Heribert nebst vier Gehilfen gemalt
ist. Vielleicht könnte sich ergeben, daß diese auch dic
Ilrheber unserer Bilder gewesen sind.

So ungenügend auch die Resultate meiner auf
 
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