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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 20.1885

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Die ungarische Landesausstellung in Pest, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5807#0363
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Die ungarische Landesausstellung in Pest.

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nersche Sachen, an welchen man in Pest vieles Ge-
fallen findet, und dieses Gewoge und Gesumme dauert
nn den schönen und warmen Abenden, an denen es
i» Pcst nicht mangelt, bis fpät in die Nacht. Die
trockene Ausstellung hat sich in ein prächtiges Nachtfest
verwandelt.

Wir haben nicht die Absicht, die Ausstellung im
einzelnen zu besprechen. Wer einige Ausstellungen ge-
sehen — und wer hat deren nicht schon mehrere ge-
sehen? — weiß schon zum voraus, was er in einer
solchen engeren Ansstellung eines Landes zu sehen be-
kommen wird. Daß die Ausstellung in Pest in ihrem
landwirlschasllichcii Tcilc, rcich beschickt, das Vorzüglichlte
bietet, veistcht sich bei eincm Lande, das von dcr Land-
wirtschaft lebt, ivohl von sclbst. Was die Erzeugnisse

der Jndustrie betrifft, so diirfen zwar nicht alle ans-
geltelltcn Gegenstände mit einem absoluten Maß ge-
nieffen werdcn, man wird sich oft bloß mit der Kon-
Itatirung dcr Thalsachc bcgnügcu müffen, daß Ungarn
"nstandc ist, ciuch dicses odcr jenes Jndustrieprodukt
zu erzeugeu odcr daß cs in diesem oder sencm ^Aweige
der Jndustrie in dcr lctzten Zeit ansehnliche Fort-
schritte gemacht hat. Man muß die Auöstellung mit
eincni rückwärts gekehrteu Blick beurteilcn und wird
danu sinden, daß es Ungarn bereits gelungeu ist, den
Ubcrgang von der Agrar- zur Jndustriewirtschaft zu
bewerkstelligcii. daß cs kein reiner Agrikulturstaat mehr
>st, sondern bereits manche kräftige Ansätze zu einer
ualürlichen Entwickelung der Jndustrie besitzt. Bei der
bekannten Energie des Bolkes wird das Land, auf dem
eingeschkagencn Wcg rüstig fortschrcitcnd, auch an das
Ziel gelangen.

2n einigen Lwcigcn dcr Jndiistrie leistet Ungarn
hcute bctcits Vorzügliches, daS jeden Vergleich mit
den Produkten deS Auslandcs auszuhalteu imstande
ist. Wir nennen speziett nur die Porzellan- und
Glasindustric iind die Erzeugung von kandwirtschaft-
lichen Maschinen, wobei freilich die hauptsächlichsten
Eiseiibcstandteilc nvck' aus Engkand bezogen werden
müffe». Anch die Maschinenfabrikeii der köuigkichcn
ungarischen Staatsbahnen genügen dem Bedarf dcr
»ngarischcn Bahncn. Die Ausstekkung derselben zeigt
nns Lokomotiveii verschiedencr Art in vorzüglichcr Aus-
sühruug und bequeme, ja reich ausgestattete Personcn-
ivagen, dic noch dcn besvnderen Vorzug haben. daß
Exemplarc dcrselben auch wirklich auf den Bahncn
zirkulircn und die auSgestelltcn Wagen njcht bloß
Schaustücke sind, die man bewundern darf, iu welcheu
man aber iiiemalS zu reiseu Gelegcnheit hat Co
weit wir auch hcrumgekvmmen sind, bequemer als in
den Wagcn dcr 1. uud 2. Klasse der königlich unqari-
schen Staatsbahnen sährt man nirgends. „nd eine
reichere, komfortablere Ausstattung als die 'der Wagen j

1. Klaffe jcner Bahnen ist uns noch nicht vorgekvnimcn.
Wenn man etwas rügen darf, so ist es nur die Höhe
der Personentarife, dic bcinahe sv hoch sind wie die
cnglischen, und die Personentarife sollten sich doch stets
nach dem mittleren Wohlstand der Bevölkerung richten.
Österreich ist auf seincn Staatsbahnen mit dem guten
Beispiel einer direkten und indirekten, durch Retour-
billette, Abonncinentskarten u. dgl. zustande kommen-
dcn Herabsetzung der Pcrsonenfahrprcise vorangegangeu,

! Ungarn ist aber nicht nachgefolgt, trotzdem daß die
östcrreichischen Ergebniffe günstig warcn und fiir die
ergriffenen Maßregeln sprachen. Die Veranstalter der
Ausstellung wünschen natürlich, daß so viel Besucher
als nur möglich nach Pcst koiiimen: die Preise der
Fahrkarten nach der Hauptstadt sind nun ivohl herab-
gesetzt, aber man klagt allenthalben, daß die Herab-
setzung zu gering sei, daß man 1873 wohlfeiler nach Wien
gefahren sei aus den östlichen Teilen des Landes als jetzt
nach Pest, und daß dicBcnutzung derFahrkarten an allerlei
Bcdingungcn lästiger Art geknüpst sei. So ist es uns selbst
bckannt, daß man von Wien aus bloß einmal die Woche
mit solchen Ausstellungsfahrkarten zu wohlfeilerem
Prcise fahren kann, zweimal auf dem linkcn, zweimal
auf dem rechten Donauufer, und nur niit Personen- -
zügcn, daß einc Beniitzung dcr Schnellzüge selbst bei
ciner Aufzahlnng nicht gcstattet ist, und daß maii stcts
auf derselben Linie zuriickfahren muß, auf der man
gekommen. Das ist alles sehr kleinlich und kanu auf
den Besuch der Ausstellung voni Ausland her unmög-
lich fördernd wirken. Die Ausstellung braucht aber,
sollen die Kosten derselben gedeckt werden, zum min-
desten einen Besuch von 8000 Personcn und cine Ein-
nahme von 4000 Fl. täglich. Der Mvnat Mai hat
zwar einen Überschuß geliefert, der Juni blieb aber
den täglich veröffentlichten Ausweisen zufolge stark
zurück, so daß, wenn sich bci der ungarischcn Aus-
stellung auch das eine Wundcr bercits creignct hat,
daß sie nämlich am 1. Mai als dem Tag ihrer Er-
öffnung vollständig fertig gewesen, das zweite Wunder,
daß die Ausstellung auch ohne Defizit abschließen werde,
sich kauni creignen dürfte. Wir möchtcn iiicniand
nach Pest locken mit der Versicherung, er werde in der
Landesausst ellung etwa ganz besondere Dinge zu sehcn
bekommen, das Gcsamtbild derselben und die Scenerie
sind sicher aber sehr sehenswert. Sehenswert auch sür
jedeu Besucher die Hauptstadt, vielleicht sogar interessan-
tcr als die Ausstellnng sclbst, sv daß mancher Fremde
bereits gemeint hat, der Rahmen schade dem Bilde.
Jntereffant ist cs auch, die Fortschrilte des neuen
Staatswescns zu beobachten, und wie Ungarn mit allcn
Kräftcn bemüht ist, sesten Fuß zu saffen unter den
civilisirtcn Staaten des Abcndlandes. Abcr freilich
wird die großen Fvrtschritte, die es seit 1867 gemacht
 
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