Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 4.1893

DOI article:
Böck, Rudolf: Die Jahresausstellung im Wiener Künstlerhause, [1]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5367#0192
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
371

Die Jahresausstellung im Wiener Künstlerhause.

372

Wie jedes gewaltige Streben auch die Wider- \
willigen mit sich fortreißt, so sehen wir es auch in
der modernen Kunst! Der nüchtern und kühl reflek-
tirende Klassizist und der alles verzuckernde Roman-
tiker müssen zu eigenem Nutzen und Frommen mit
der Natur ein Kompromiss schließen, wenn sie als
Künstler bestehen wollen; thun sie es nicht, so
zeigen sie eine überlebte Grimasse, von der sich jeder
achselzuckend mit der bedauernden Frage abwendet:
„Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?"
Auch dafür mangelt es nicht an Belegen in unserem
Künstlerhause. Wenn eine Zeit, so hat es unsere be-
wiesen, dass man die Kunst nicht nach der Elle
messen darf, so gewaltige Anstrengungen oft selbst
auf dem Gebiete der nicht monumentalen Malerei ge-
macht wurden, den Leinwandfabrikanten durch große
Lieferungen auf die Beine zu helfen; im Ganzen und
Großen ist ein Zurückgehen der Absicht zu verzeich-
nen, die Natur in einfachen, anspruchslosen, ich
möchte sagen bürgerlichen Vorgängen, die wir gerne
unter dem Namen Genre zusammenfassen, in lebens-
großen Figuren festzuhalten, und wenn dies doch der
Fall ist, so geschieht es gegenwärtig auf viel in-
timere Weise als früher, wie heuer Heinrich
Knirr und Walter Firle in München beweisen.
Das Genrebild im weitesten Sinne des Wortes, vom
anheimelnden Kinderstück oder der dürftigen Markt-
scene bis hinauf zum aufregenden sozialistischen Ten-
denzbilde, das schon die Wurzel der Historie bildet,
gewinnt wieder mehr Boden und scheint den ihm
gebührenden Raum, nämlich unsere Zimmer, wieder
zurückzuerobern. Das Vermächtnis Rembrandt's,
das mit wenigen Ausnahmen, zu denen unsere ältere
Wiener Schule der dreißiger bis in die sechziger
Jahre gehört, fast überall vergessen war, gießt wieder |
seinen Segen aus. Die Flucht aus einer nahegelege-
nen Vergangenheit, aus der gesuchten „Unglücks-
malerei" der Theaterphrase, der wir übrigens ihr
großes, wenn auch zum Teil unbeabsichtigtes Ver-
dienst nicht absprechen wollen, in eine entferntere
Vergangenheit, die in ihrem Streben dem jetzigen
Sturm und Drang ähnelt, war von größtem Vorteil.
Die intime Landschaft in Vereinigung mit dem Tier-
stück, das eben so innige und eingehende Bild des
Lebens in seinen tausendfältigen verschiedenen gesell-
schaftlichen Äußerungen, der gewaltige Beitrag, den
die moderne Kunst zur Biographie unserer Zeit im
Porträt liefert, wie dies zum Teil in viel objektiverer
AVeise als überhaupt je geschieht, diese ganze Summe
von Leistungen der Malerei wie auch der Plastik
steht im Zeichen der inbrünstigsten Hingebung an

i die ewig junge Natur: selbst der Idealist verschmäht
es, seine Gedanken auf Kosten der Wahrheit zu
bringen und auch darin gleicht unsere Zeit den
besten Epochen der Antike und der Renaissance,
wir brauchen da nur an unsere Deutschen Klinger,
Stuck und Thoma zu erinnern; dass neben anderen
Halbblinden auch hier und da ein Kritiker der jetzt
noch neuen Erscheinung zeternd und scheltend nach-
humpelt, das darf doch niemand wundern; das Gros
des gebildeten Publikums sieht jetzt schon durch die
moderne Kunst sein eigenes Gemütsleben in der
einzig für unsere Zeit passenden Weise ausgedrückt
und die berühmte Affaire zwischen Mops und Mond
hat immer nur dem ersteren gescbadet. — Sonder-
barerweise merkt man unserer neuen Kunst, der
die Zukunft gehört, fast in nichts mehr den Umweg
an, den sie machen musste, um in rüstigem Weiter-
schreiten zur Wahrheit zu gelangen: wir meinen
die zöpfische Schulung der jüngsten unter den
Kunstjüngern an unseren Akademieeu mit der An-
tike ; es ist die Geschichte von einem, dem's zu Herzen

ging, dass ihm der Zopf so hinten hing.......es

ist noch keinem eingefallen, endlich einmal den Zopf
ganz abzuschneiden.

Diese und hundert andere flüssige Reflexionen,
die von allen Seiten heranfluten, werden in -jedem
Besucher der Ausstellung rege, die, wir müssen es
der Jury zu besonderer Ehre nochmals nachsagen,
zu den bestarrangirten gehört. Nach dem Grund-
satz: das Bessere ist der Feind des Guten, hat wohl
viel des letzteren nicht aufgenommen werden können.
Das vorhandene Minderwertige, das nicht groß an
Zahl ist, dient als nicht unerwünschte Folie und
giebt, wohl sehr unfreiwillig von Seiten seiner
Autoren, die beredte Lehre, wie man es nicht
machen soll.

Wie immer nimmt die Malerei die dominirende
Stellung ein. Ihr reiht sich mit ungefähr hundert
Werken die Plastik und quantitativ sehr bescheiden
die Architektur an.

So wie sich uns die Plastik zuerst beim Betreten
des Ausstellungsraumes präsentirt, so wollen wir ihr
auch den Vortritt in der Besprechung zu Teil werden
lassen. Darin hält sie heuer vollkommen Schritt
mit der Malerei, dass sie als monumentale und de-
korative Kunst, wie sie durch Benk, 0. König, Vogl,
hiirnbauer, Brenner und liathausky vertreten ist, kein
Übergewicht über die vortrefflichen, zum guten Teil in
Bronze ausgeführten Porträtbüsten, einige vorzüg-
liche realistische Gruppen und Einzelfiguren zu er-
ringen vermag. Vor allen verdienen die realistische
 
Annotationen