Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

DOI article:
Neues aus Belgien
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0110
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
»95

Neues aus Belgien

196

Neuen Universität einen interessanten Vortrag über die
venetianische Kunst des 15. Jahrhunderts. Reinach erinnerte
an die germanischen Ursprünge der venetianischen Malerei,
wie sie in den Werken von Antonio und Bartolomeo Viva-
rini, von Murano und Jacopo dei Barbari zum Ausdruck
kommen. Er hob die Bedeutung des dritten Vivarini, ge-
nannt Alvisio, hervor und kritisierte sehr richtig die etwas
rudimentäre Kunst des Crivelli und die pittoreske Art des
Vittore Carpaccio. Reinach wies nach, wie die mit einem
starken persönlichen »Ich« ausgestatteten Venetianer sich
die Manier der paduanischen Schule und ihres Führers
Mantegna zu eigen zu machen verstanden. Er sprach von
den beiden Bellini und vielen anderen, deren Werke er in
Form von Lichtbildern an den zahlreichen Hörern vorüber-
ziehen ließ. Reinach sagte nicht viel Neues, aber das Alte
in einer sehr eleganten, fesselnden Form.

Ein neues Museum besitzt nunmehr Brüssel, und
zwar das der internationalen Dokumentierung. Als im Mai
v.J. daselbst der Weltkongreß der internationalen Ver-
bände tagte, war ihm eine dokumentarische Ausstellung
angegliedert worden. Nach Beendigung sollte diese
vorübergehende Ausstellung zum Stamm eines internatio-
nalen Auskunftsmuseums werden. Dieser Plan hat nun-
mehr feste Form angenommen, dieses dokumentarische
Museum besteht jetzt und ist in dem oberen Stockwerk des
Neubaues der geschichtlichen und Altertumsmuseen im
Cinquantenairpark untergebracht. Die Leitung wurde dem
Bureau der internationalen Verbände übertragen. Der
Charakter des in verschiedene Abteilungen sich scheiden-
den Museums ist sowohl enzyklopädischer wie korporativer
Natur, denn es wurde ihm das internationale administrative
Museum angefügt, begründet von dem ständigem Ausschusse
der Kongresse für administrative Wissenschaften, dem Spa-
nien am 16. Oktober noch in sehr feierlicher Weise die
wichtige Dokumentensammlung überwies, die das ganze
Stockwerk des spanischen Pavillons in der Ausstellung ein-
nahm. Man hofft, daß die anderen Staaten diesem Bei-
spiele folgen werden. Der Oeneralrat des Belgischen
Touring-Clubs wird die internationale Touristenliga auf-
fordern, im neuen Museum der Dokumentierung eine eigene
Sektion zu bilden. Der Buchhändlerklub und das Buch-
museum werden im gleichen Sinne Schritte tun. Inzwischen
haben, auch Holland und Italien zugesagt, daß die in ihren
Pavillons auf der Weltausstellung vorhanden gewesenen
Dokumentensammlungen dem neuen Museum überwiesen
würden. Die Gesandten Brasiliens und Uruguays in
Brüssel haben ihm ihr persönliches Patronat zugesichert.
Die französische Handelskammer in Brüssel wird sich zu
seinen Gunsten bei den französischen Ausstellern ver-
wenden. Im übrigen sind die Kommissäre aller auf
der Ausstellung vertreten gewesenen Länder um Über-
lassung ihrer dokumentarischen Ausstellungsgegenstände
für das Museum angegangen worden. Die Absicht geht
nämlich dahin, das Museum in zwei grundlegende Sektionen
zu scheiden: in eine geographische, woselbst jedes Volk
in seiner Gesamtheit studiert werden kann; ferner in eine
vergleichende Abteilung, woselbst die verschiedenen Zweige
der wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Tätig-
keit der Menschheit in ihren universellen Äußerungen nach-
zuschlagen sind. Hoffentlich trägt auch Deutschland
zum neuen Dokumentenmuseum sein Scherflein bei.

Der belgische Kriegsminister hat ein militärisches Museum
in Brüssel in das Leben gerufen, dessen Grundbestandteile
der militärischen Abteilung der Weltausstellung und der der
Ausstellung der »Meister des 17. Jahrhunderts« entnommen
werden sollen. Der verdienstvolle Schöpfer der letzteren,
General Graf 't Serclaes, soll im Verein mit dem General-
direktor der Artillerie, Oberst Michel, auch das neue mili-

tärische Museum organisieren. Letzteres wird provisorisch
in der alten Abtei de Ia Cambre untergebracht werden.

Das Museum von Dundee erwarb ein größeres Bild
des belgischen Landschafters Maurice Blieck und ein Werk
des Engländers Hornel.

Eine Salome-Plakette hatte die »Gesellschaft der Me-
daillenfreunde«, die ihren Sitz in Brüssel und im Haag
hat, dem Oodefroid Devreese bestellt. Der hervor-
ragende Bildner nahm die Tänzerin Czerny der
Oper zur Monnaie zum Vorbilde, die den »Tanz der
sieben Schleier« während der Straußschen Salome-Auf-
führungen an dieser Bühne mit einer wunderbaren Grazie
ausgeführt hatte. Dieses neue Werk Devreeses ist von einer
entzückenden Anmut und Feinheit.

Die Schlacht von Gemappes wird nun auch ihr Oe-
denkmonument erhalten. Es soll im September nächsten
Jahres enthüllt werden. Es wird aus einer hohen Pyramide
in belgischem Blaustein bestehen, die der gallische Hahn
krönt. Die Ausführung wurde dem vorzüglichen Brüsseler
Tierdarsteller, Bildhauer Gaspard anvertraut. Das Denkmal
wird in einem zwei Hektare bedeckenden Park Aufstellung
finden und die Stelle bezeichnen, an der Dumouriez den
Sieg davontrug.

Eine Marmorbüste der verstorbenen berühmten Pia-
nistin Klotilde Kleeberg, das Werk ihres Gatten, des be-
kannten Bildhauers Ch. Samuel in Brüssel, wurde von
diesem dem dortigen Cercle Artistique et litteraire über-
wiesen.

In Charleroi findet 1911 eine provinziale Industrie-
Ausstellung statt, der auch eine nationale Kunstabteilung
angegliedert sein wird. Jules Destree, der beredte Ab-
geordnete und bedeutende Kunstästhetiker schlägt vor,
bei dieser Gelegenheit eine spezifisch wallonische rück-
blickende Sektion zu formen, für welche das Material
nicht fehlen dürfte. Die südlichen Provinzen Belgiens
haben in der Tat stets ihre eigene große Kunst gehabt,
der es bisher nur an einer übersichtlichen Nebenein-
anderstellung gefehlt hat, um sie, die wallonische Kunst,
zur Geltung zu bringen. Navez, zum Beispiel, stammte
aus Charleroi, was vielleicht nicht viele wissen, denn man
zählt ihn unter die Brüsseler; es wäre also angebracht,
eine Reihe seiner Porträts in Charleroi auszustellen. Das
15. Jahrhundert gebar an Künstlern und Kunsthandwerkern
in Tournai einen Van der Weyden; in Valenciennes einen
Marmion; in Maubeuge einen Gossart; in Douai einen
Bellegambe; in Möns einen Prevost; in Dinant einen Pati-
nier, in Bouvignes einen de Bles. Auch gab es im Mittel-
alter den herrlichen Bildhauer Du Broeucq. Jules Destree
fordert die Sammler auf, ihm bei dem Zustandekommen
dieser wallonischen Kunstabteilung der Ausstellung von
Charleroi 191t behilflich zu sein.

Ein bemalter ägyptischer Sarg von höchster Selten-
heit, aus der mittleren Pharaonenzeit stammend, wurde
vom Brüsseler Baron Empain dem dortigen Altertumsmu-
seum zum Geschenk gemacht. Der Sarg entstammt den
Ausgrabungen in Beni-Hassan, die Professor Garstang aus
Liverpool dort unternommen hatte. Der Sarg ist innen und
außen mit sehr gut erhaltenen Malereien bedeckt. Der
Deckel enthält im Innern eine Abschrift des Kapitels XII
aus dem Buche der Toten. Die inneren Friese stellen
Kopien der Gegenstände dar, welche das sogenannte Toten-
mobiliar bilden. Baron Empain hatte schon früher dem
Brüsseler Museum zwei bemalte Särge derselben Epoche,
von Assiut stammend, geschenkweise überwiesen. Das
Museum besitzt außerdem noch einen Sarg aus Antinoe.

Eugene Laermans wurde von der Brüsseler Vorstadt
Molenbeek, deren angestammtes Kind der Künstler ist,
wo er seine Typen und Motive gefunden hat und wo er
 
Annotationen