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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0025
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Vermischtes — Forschungen

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möglich. Die Stellung des Kunstwerkes in seiner Ent-
wickelung ist aber — trotz seiner Fortexistenz — nicht
unmittelbar für uns erfaßbar; die Möglichkeit dazu bietet
uns die Quellenkunde und die Kritik der Quellen. Eine
weitere Hauptaufgabe der Kunstgeschichte besteht in der
Erkenntnis des Zusammenhanges der durch die Kritik klar-
gestellten Tatsachen. Diesen Teil der wissenschaftlichen
Arbeit (die sich in die Interpretation, Kombination und
Reproduktion gliedert), nennt T. mit Übernahme eines von
Bernheim1) geprägten Terminus die »Auffassung«. Dazu
kommt endlich die Darstellung, die der gewonnenen Er-
kenntnis Ausdruck verleiht. Diese vier (tatsächlich nie
ganz trennbaren) Tätigkeiten des Forschers, das Erfassen
der Quellen, deren Kritik, die Auffassung der Tatsachen
und deren Darstellung werden in den vier Kapiteln der
Methodologie ausführlich behandelt.

Die beiden ersten Kapitel, die die Quellenkunde und
die Kritik betreffen und 166 Seiten des Werkes umfassen,
sind von geradezu unschätzbarem Werte für die Forschung.
In meisterhafter Weise ist das ungeheure in Frage kommende
Material bewältigt (bieten doch diese Kapitel in ihrer er-
staunlichen Erudition nebenher einen Ersatz für die unserer
Wissenschaft bis heute fehlenden systematischen Biblio-
graphie!). In diesen Kapiteln ist uns ein wissenschaftliches
Rüstzeug in die Hand gegeben, wie es andere, ältere
Schwesterwissenschaften, wie die Geschichte, die Archäo-
logie, die Philologie schon lange besitzen. Und nicht nur
der Anfänger kann hier lernen, was ihm nottut und was
er an den meisten Lehrkanzeln vergeblich suchen wird,
sondern auch viele reife Forscher werden gut tun, diese
Kapitel mit Aufmerksamkeit zu studieren. Gerade diese
Kapitel beweisen die (häufig angezweifelte) Notwendigkeit
eines solchen Handbuchs der kunstgeschichtlichen Methode.
Der Kunsthistoriker ist kein gottbegnadetes Geschöpf, das
mit einer fertigen Methode im Kopfe auf die Welt kommt;
wie jeder andere Wissenschaftler muß er sein Handwerks-
zeug kennen und handhaben lernen! Der vornehme Stolz
der meisten unserer Fachgenossen, die ohne eine feste
und sichere Methode auskommen zu können glauben, wird
an diesen Kapiteln des Tietzeschen Buches zuschanden.
Wer bisher exakt wissenschaftlich kunsthistorisch arbeiten
wollte, mußte sich an eine der bereits ausgebildeten
Schwesterdisziplinen anlehnen; der eine machte bei der
Geschichte, der andere bei der Philologie usw. eine An-
leihe. Die Kunstgeschichte hat aber ihre eigenen Ziele
und Zwecke, die sich mit denen jener benachbarten Wissen-
schaften keineswegs decken. Uns aus dieser schmerzlichen
Abhängigkeit befreit zu haben, uns die Richtlinien unserer
eigene n Methode vorgezeichnet zu haben ist ein Verdienst,
das Tietze nicht hoch genug anzurechnen ist. Vor diesem
Verdienste verblassen alle kleinlichen Bedenken, alles Besser-
wissen im einzelnen Detail. Ein erster Versuch kann nicht
nach allen Richtungen hin vollkommen befriedigen, das
wäre ein übermenschliches Verlangen. Freuen wir uns,
daß jemand den Mut gefunden hat, die ungeheure Arbeit
und Verantwortung, die ein solcher Versuch mit sich bringt,
auf sich zu nehmen und arbeiten wir alle daran, das Werk
immer mehr auszugestalten! Dann werden auch wir in
unserer Wissenschaft einen geregelten und ersprießlichen
Betrieb bekommen, der nicht durch jeden frechen Schwätzer
verhöhnt und gesprengt werden kann. Dann werden wir
uns auch die Achtung der Kollegen unserer Nachbargebiete
erwerben, denen dann die — heute leider nur zu oft be-

1) Lehrbuch der historischen Methode, Leipzig 1913.

rechtigte — Möglichkeit genommen werden wird, die Kunst-
geschichte als einen angenehmen Zeitvertreib müßiger
Knaben und beschäftigungsloser Mädchen mitleidig zu be-
dauern oder hochmütig zu verachten. Möchte Tietzes Buch
ein Zeichen dafür sein, daß die Kunstgeschichte ihre Puber-
tätsjahre hinter sich hat! Oskar Pollak.

FORSCHUNGEN
Einige interessante Notizen über Guercino und
Caravaggio publiziert Giulio Cantalamessa im Juliheft des
Bolletino d'Arte. Es handelt sich um drei Werke des Erst-
genannten, die sich im Palazzo Patrici zu Rom befinden
und die bisher gänzlich unbekannt waren. Am schönsten
von ihnen scheint ein »hl. Hieronymus« zu sein, der den
Stil der Jugendwerke des Meisters verrät. Weniger be-
deutend sind die beiden anderen Werke, ein »hl. Franz«
und eine »Mater dolorosa«. Bei der letzteren ist zudem
die Zuschreibung nicht ganz sicher. — Für die Rekonstruk-
tion des Gesamtwerks Caravaggios ist eine Kopie nach
seinem »Wunder des hl. Isidor« von Interesse. Das Ori-
ginal dieser Arbeit befand sich bis zum Beginn des IQ. Jahr-
hunderts in S. Filippo zu Ascoli Piceno und ist seitdem
verschollen, wenn nicht überhaupt verloren. So muß denn
die Kopie, die Cantalamessa im Palazzo communale in
Ascoli fand und die er abbildet, an die Stelle des Originals
treten. _/.

Zu Wilhelm Tischbeins Konradinbild. Während
seines zweiten römischen Aufenthalts (1783—1787) malte
Wilhelm Tischbein bekanntlich ein Historienbild, das die
Verkündung des Todesurteils an Konradin von Schwaben
und Friedrich von Österreich darstellt. Ende 1784 war das
Bild vollendet und ging an den Herzog von Gotha, in
dessen Galerie es sich noch heute befindet. Von dem
Bilde waren zwei eigenhändige Kopien bekannt; die eine,
kleine, bekam der russische Staatsrat v. Wiesen, der gern
das Original gehabt hätte. Die andere führt H. Meyer
(Winckelmann und sein Jahrhundert, S. 336) als Beispiel
dafür an, wie die Aquarellmalerei auch für die Darstellung
historischer Gegenstände verwendet wurde. Es war »eine
große kolorierte Zeichnung«, in der »die Schatten meist
noch mit schwarzer Kreide, teils angelegt, teils überarbeitet
waren.« Wo sich diese Aquarell-Kopie befand, gibt Meyer
nicht an. (Vgl. Landsberger, Wilhelm Tischbein. 1908. S. 62.)

Nun berichtet der Dichter Zacharias Werne r während
seines Aufenthalts in Neapel (1810), er habe dort bei dem
Konsul Heigelin »einen Schach spielenden Konradin« ge-
sehen (z. Werners Biogr. Hrsg. von Prof. Dr. Schütz.
Grimma 1841. II. S. 64). Den Maler des Bildes nennt er
nicht, es ist eben kaum ein Zweifel, daß sich diese Er-
wähnung auf die Tischbeinsche Komposition bezieht. Das
ist auch schon aus äußeren Gründen nicht unwahrschein-
lich; der Maler war bekanntlich 1787 bis 1799 in Neapel.
An sich wäre die Möglichkeit vorhanden, daß es sich um
eine dritte, bisher unbekannte Kopie oder gar nur um eine
Studie zu dem vollendeten Bilde handelt. Es kann aber
endlich sehr wohl das von Meyer erwähnte Aquarell sein;
denn dieser selbst war 1789 in Neapel und bittet von
dort aus Goethe, die für ihn und Tischbein bestimmten
Briefe an die Adresse des dänischen Konsuls Heigelin
senden zu wollen. (Harnack, Zur Nachgesch. der Italien.
Reise. 1890. S. 14.) Bei ihm kann er das Aquarell sehr
wohl gesehen haben, das er dann in seinem Entwurf einer
Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts erwähnt.

K. Simon.

Inhalt: Josef Eberz. Von Hans Hildebrandt. — Oefährdete Kunstwerke. — Max Loßnitzer f; Hugo Reisinger f; Hermann Schäfer t; Adolf
Echtler t; Gefallene Architekten. — Personalien. — Eine »Kunstambulanz« für Belgien; Ein holländischer Architekt für die deutschen
»Hunnen«. — Böckliu-Ausstellung in der Nationalgalerie in Berlin. — Wiedereröffnung der kgl. Kunstsammlungen in Dresden; Maßnahmen
im Metropolitan Museum in New York. — Literatur. — Notizen über Ouercino und Caravaggio; Zu Wilhelm Tischbeins Konradinbild.

Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E.A.Seemann in Leipzig, Hospitalstraße IIa
Druck von Ernst Hedrich Nachf., o. m. b. h., Leipzig
 
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