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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 54.1918/​1919

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Nr. 6
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Hübner, Friedrich Markus: Bei James Ensor in Ostende
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0117
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107

BEI JAMES ENSOR IN OSTENDE
VON FRIEDRICH MARKUS HUEBNER
DEN Ruhm der belgifchen Künkler, foweit er über die heimatliche Grenze
gedrungen iE, hat je nachdem das franzöfifche, das englifche oder das
deutfche Publikum hervorgebracht, und es ilt intereflant genug, darauf hinzu-
weifen, wie fich felblt auf dem Gebiete der Kunft diefes kleine Land leitens
der drei übermächtigen, es einfchließenden Großftaaten eine Aufteilung in
Intereffen- oder Liebhaberfphären hat gefallen laffen mülfen. Bis in die
jünglte Zeit kann man an dem Erfolge, welchen belgifche Ausheilungen in
Paris und London oder in Stockholm und Madrid finden, von Fall zu Fall
feftltellen, in welchem der ausgehenden belgifchen Künltler das betreffende
Auslandspublikum Gefühls^ und Gefchmacksverwandtfchaften mit fich felber
entdeckt, welchem es den Vorzug gibt und welchen es ablehnt und für
welchen es auf diefe Weife einen Ruhm innerhalb der Kennerkreife und eine
Häufle auf dem Bildermarkte erwirkt. An diefem Wettbewerbe der belgifchen
Künltler um die Anerkennung durch eines der Großvölker hat kennzeich-
nenderweife nie derjenige teilgenommen, der innerhalb Belgiens der be-
deutendfte Maler ilt, wie umgekehrt weder die englifche, die franzöfifche noch
die deutfche Kritik um ihn fich wefentlich gekümmert hat,- fein Name und
fein Werk find in den drei Ländern nur einer fo kleinen Anzahl von Leuten
vertraut, daß man ruhig fagen kann, er ilt, wie in Belgien fo außerhalb des
Landes ein unbekannter: es ilt James Enfor.
Diefer überragende Künltler fleht heute Ende der fünfzig,- er trägt diefes
Alter voller Anhand und mit der Würde eines heimlichen Fünften. Viele
Enttäufchungen, ein Leben der Abgefchiedenheit und der Entfagung, unab-
läffiges, noch heute vom Morgen bis zum Abend durchgeführtes Schaffen,
ein Leben kurzum unter der Zucht einer Sendung hat ihm als Menfchen eine
fanfte Liebenswürdigkeit, eine fcheue Sehnfucht nach Anfchluß und Herzlichkeit
gegeben, während die tieferen Gründe feiner Seele, menfchlich unterdrückt,
als geniale Eruptionen feuerfpeiend rot, blau und grün die Wände feines
Ateliers bedecken und Unheimliches bloßlegen.
Enfor lebt in OEende, und fchon vor Jahresfrifl, da die Engländer mit
der Befchießung Oftendes begannen, trachtete ich ihn zu bewegen, feine Bilder
in fichere Aufbewahrung nach Brüffel zu geben. Er weigerte fich und hat
fich auch jetzt, wo der Oftender »Deich«, in dellen unmittelbarer Nähe Enfor
fein Haus hat, böfe zugerichtet iE, nicht entfchließen können, aus einer Um-
gebung fich mit feinen Bildern fortzubegeben, die ihm feit 40 Jahren fo un-
entbehrlich geworden iE, wie einer Pflanze ihr Wurzelboden: »Je teste ä
Ostende«, wiederholt er mit einer kindhafl-trotzigen Entfchiedenheit, die wohl
 
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