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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 56.1920/​1921 (Oktober-März)

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Nr. 23
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Literatur / [Notizen] / Kunstmarkt
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448

Literatur

LITERATUR
TagebuA des Herrn von Chantetou
über die Reife des Cavaliere Ber-
nini naA FrankreiA. DeutfAe Be-
arbeitung von Hans Rofe. München,
bei F. Bru&mann, A.=G.
Das Tagebuch des Herrn von Chante-
iou über die Reife des Cavaliere Bernini
nach Frankreich iit in feiner Bedeutung
für die GefAiAte und KunitgeiAiAte da-
mit feftgeiegt, daß es MeniAen und MenfA-
{¡ches unmittelbar zu Gehör bringt, daß
es gleidifam ein Stü& hiitoriiAen Ablaufs
in feine menfAiiA^feeiifAe Gliederung aus-
einanderbreitet. An der Beobachtung der
Menichen wächit unfer Veritändnis für die
Staatsform, die GefeiiiAaftsform, die Kunit-
form empor. Chantetou feiber führt uns
ais MeniA des abiterbenden individuaiifti-
ichen Hochbarock in die GeiAiAte einer
geiitigen Kriiis ein. Doch iit nicht er die
Zentraigeftait des Buches. Aus ihrer ieben-
digen Mannigfaftigkeit wäAii uns zum
Typus, zu ragender hiitorifAer Einheit:
der Mann Lorenzo Bernini.
Die Aufzeichnungen fetzen mit der An-
kunit Bernini's in Frankreich ein, wohin
ihn König Ludwig XIV. bekanntermaßen
zur Befprechung des Louvre=Projekts und
zur Herfteiiung neuer Piane gebeten hatte.
Bernini erkiärt im Veriauf feines eriten
GefpräAs mit Ludwig, der König von
Frankreich müile großartiger bauen, ais es
bisher Päpfie, Kaifer und Füriten getan
haben. Ähniith geht der Künftfer bei feiner
zweiten Hauptaufgabe der Porträtierung
des Königs von dem Gedanken der He-
roiiterung aus. Die Idee von der Maje-
ität, fo wie ite in feinem Bewußtfein iebt,
wii! er im Werk objektivieren. Das ImL
tative darf niAt das Letzte bedeuten.
Während aber die dur A das ganze BuA
iiA ziehende Arbeit an der Königsbüite HA
ais ein durA niAts getrübter Aufitieg zu
ungeteiitem Erfoig dariteiit, geitaitet GA
das Louvreprojekt zu einem Abiauf dra-
matiiAer Vorgänge, gianzvoii naA außen,
naA innen — von Anfang an — tragiiA.
Das TagebuA, bisher vor aiiem Bauhiito-
rikern ais Queife für die GefAiAte des
Louvreprojektes vertraut, gibt bedeutfame
AufiAiüife über den inneren Konflikt,
der zwifAen dem Cavaiiere und der fran-

zöGGhen GefeiiiAaft beitand. Die Atrno^-
fphäre gegenfeitiger Animoiität führt auf
Seiten Bernini's zu ieideniAaftiiAen An^
griffen auf den franzöfüAen Wankeimut
und franzöftfAe IntrigenfuAt. Franzö-
fiiAerfeits entkeimt diefem Gefüh) der Be-
fremdung und Verietztheit eine waAfende
Reititenz. Das TagebuA gibt uns vor
aiiem auA Gewißheit darüber, daß der
Hauptgegner, Chartes Perrauit, iiA mit
feinen Waffen deshaib hervorwagen durfte,
weii er den Bernini gegenüber itets korrekt
auftretenden Premierminifter Coibert feiber
hinter iiA ais De&ung wußte.
Infoige der Spontanität der Chanteiou-
iAen AufzeiAnungen erieben wir die
Tragik des Louvreprojekts ais eine reine
SAi&faisangeiegenheit des aiten Bernini.
Mit wunderbarer FriiAe iit das Biid des
ßA dem Greifenaiter nähernden, immer
jugendiiA = feurigen, geiftvoiien Künitiers
feitgehaiten. Er zeigt i!A ais eine im
Grunde tief reiigiöfe Natur,-, feine täg-
iiAen KirAgänge ßnd ihm Notwendigkeit.
Er kann niAt anders ais die Dinge mit
dem prüfenden Künftferauge fehen, rea-
giert ìeideniAaftiiA und entiAeidet fofort
mit temperamentvoiier Kritik. In der Ge-
feiiiAait iiebt er reizvoiie Anekdoten aus
feinem Leben zu erzähien und gerät niAt
feiten in iange Zitate aus feinen eigenen
Komödien. Die Rede, weiAe er vor der
Akademie häit und in wefAer er demZeiA^
nen naA der Antike die Kraft zuiAreibt,
die Idee des SAönen im jungen Künitier
zu erwe&en, iit niAt die einzige Steife
des TagebuAes, an wetAer wefentiiAes
Materiat für feine KunitaniAauung ge-
geben wird.
Der Verfailer des TagebuAes feiber:
Paui Fréart, Sieur de Chantetou verzeiA-
net mit Liebe die rühmenden AusfprüAe
über feine eigene Perfon und feinen Kunit-
beGtz. Aber die TüAtigkeit und Tiefe
diefes Mannes wird im Laufe des BuAes
außer jeden Zweifei geGeiit. Seine kunit-
gekhiAtiiAen Kenntniife und fein künßie-
riiAes ürteii ragen über den DurAiAnitt
hinaus. Der außerordentiiAe Takt, mit
weiAem er das oft niAt ieiAte Amt des
berninifAen Ehrenkavatiers durAführt, er-
we&t Sympathie. In feiner Steigerung
erieben wir die Vertiefung des Verhäit-
 
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