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Das Kunstgewerbe: illustrierte Halbmonatsschau — 1.1890-1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.20651#0093
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AllthmonlllWM. MtkW- M HMilklBlM

ZI»U Merbllck Mil zur Nesclräst8M!rmitielu.irg zmililu'n

Künstlern, alsÄrMeklen. UusterzeWnern. Nodeüeuren, Zildgauern nsw.. Kunstßandwerkern, Dekoraleuren,
«Kroß- und Klein-Kändlern. Faörikanlen. Äau-Unternehmcrn. Palent-Knwälten, Änstalten sür 8ermel-
sältigung, LesDäslen sür -Zin- nnd Äusfugr und Kuftraggeßern des Kunstgeweröes überhaupt.

Hkrausgkökv: IkrdmaM Kvenamus. ^

Lrstes

Februar-Dett t8St.

DreLs: i kDark vLerteljäbrlLcl).

Dett S.

Lrster Aabrgang.

Das „Oouveaute"-Wnvvesen.

In seinem im zweiten Lsefte dieser Zeitschrift ab-
gedruckten Briefe über den Aufschwung des modernen
Runstgewerbes erwähnt Reuleaux einen Aufsatz
„Nouveautss!", den ich vor ungefähr drei Iahren
im „Runstwart" gebracht habe. Lrkundigungen von
Freunden des „Runstgewerbes" mögen es rechtfertigen,
daß ich jenen Aufsatz hier abdrucke. vorläufig ganz
ohne Glossen. Lin kleines Nachwort behalt ich mir
aber für ein ander Mal vor — es wird sich besonders
mit der geschäftlichen Aeite der Lrage zu befassen
haben. —

„Bitte, noch solch einen Bronzeleuchter, wie ich
ihn vor zwei Zahren hier kaufte! «Bedaure, die
führen wir nicht mehr!» Schade! Also dann das
Tintenfaß — Sie wissen? «Das mit drei Füßen?
Aann leider nicht dienen.» Aber das war wirklich
ein schönes chtück. Na, also zum drilten Ntal jene
vase, die mal nicht wie ein Arug aussah. «Thut
mir leid, kann auch damit nicht aufwarten.» Auch
nicht? Nun bitt ich Sie: weshalb behalten Sie die
wenigen wirklich tadellosen Sachen nicht im Lager?
— Der Aunsthallenbesitzer nimmt eine höflich-über-
legene Atteue an. «Ganz recht, hm, jawohl. . .
aber Sie haben auch solch einen aparten Geschmack
. . . Das sind alles keine Neuheiten mehr: wir
führen nur Nouveautss!»

Richtig, ich vergaß — wir führen nur Nouveautss.
Und ist's uns einmal geglückt, für einen Gegenstand
eine bezeichnende Form zu sinden, daß er dasteht, als
hätt' er so werden müssen — so bilden wir nicht
das Linzelne aus und bewahren das Ganze, sondern
wir stürzen Alles wieder um oder wenigstens je
mehr, je besser und je eher, je lieber. was das
Auge des Aenners nach hundert Zahren entzücken
würde, wie heute, es gelangt bereits übers Iahr zu
den «zurückgesetzten Sachen», über drei Iahren liegt's
beim alten Lisen und dort schlummert's, bis es viel-
leicht nach fünfzig Zahren — aber jetzt beim Anti-

quar — wieder zu Ansehen kommt. Denn wir führen
nur Nouveautss. Und die Nachfrage des publikums
nach Neuheiten bringt einige der bösesten Schäden
für unscr Aunstgewerbe mit sich.

was? will ich mich denn der Lntwicklung
in den weg stellen? will ich das Neue aus der
Aunst verbannen?

Ach nein: weil wir gern Neues hätten, ärgern
wir uns über die «Neuheiten». Zu Neuem führt
mit Sicherheit der gerade weg der Lutwicklung.
was sich nicht entwickelt, stirbt ab oder ist schon tot.
Die Aunst aber lebt, der das Blut der Gegenwart
durch alle Adern strömt, das Derbrauchte wegschwem-
mend, das Lrgänzende bringend. Die Aunst lebt
und entwickelt sich, die aufnimmt, was die Zeit ihr
bietet, ihre Lntdeckungen und Lrfindungen benutzt.
wer wird was Ungesundes drin sehen, daß wir nicht
mehr blos <Hl brennen, sondern auch petroleum, Gas
und elektrisches Licht, und danach streben, diesen
Neuerungen zum künstlerischen Ausdruck zu verhelfen;
wer bei mehr als oberflächlichem Nachdenken etwas
verderbliches etwa darin, daß der Lisenbau seine
Geltung neben Holz- und Steinbau beansprucht, so
verunglückt oder nüchtern die werke der Übergangs-
zeit auch häufig sein mägen? All das liegt auf dem
wege der Lntwickelung. An ksalbheiten ist ja kein
wtangel und die häufigste ist die, daß sich das Neue
noch ausdrückt, wie das Alte. Die Petroleumlampen
in Form von Ällampen, die elektrischen Leuchten in
Form von Petroleumlampen usw. erinnern mich
immer an die Sprache eines Zungen, der «mutiert».
Thut nichts, der entwickelt sich doch: er ist im wuchs.
Zust wie unsre Aunsthandwerker.

Das stäte Verlangen nach «Neuheit» eines Nkodells,
als der ersten vorbedingung für den Ankauf eines
Gegenstandes, ist aber für solche Lntwicklung ein
schlimmer Feind. Statt wachstum bringt es Ge-
schwüre und wucherungen auf dem Grganismus der



— Sl —
 
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