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Runst, Diuge, heißt das, die wohl auch eiue Umfangs-
vermehrung bilden, aber keine, die kräftigt, soudern
eine, die schwächt. Das deutlich zu machen, muß ich
ein wenig ausholen und ein Beispiel ausführlich be-
sprechen. Mit Absicht wähl ich eine ganz unbedeutende
Aufgabe ^— wenn es hier ganz unbedeutende Auf-
gaben giebt. Nehmen wir an, wir hätten noch keine
künstlerisch guten Aschenbecher für Zigarrenasche in
der kvelt, und mir läg es ob, einen zu formen.
Biu ich ein echter Aünstler, so fällt mir's nicht ein,
an Dreifüße, Schalen, Urnen oder irgend welche vor-
handcne Gefäße zu denken, die audern Zwecken
dienten, als dem kleinen sehr modernen, den ich jetzt
im Uopfe habe. Zch mache mir vielmehr ein-
fach klar, was mein Gefäß soll, um dann aus
meiner Phantasie heraus die Form zu erschaffen, die
seinen Zweck in der besonderen Ausdrucksweise meines
Ukaterial und meiner Technik möglichst kennzeichnend
wiedergiebt. Das Ding soll Zigarrenasche zunächst
aufnehmen (es muß sich also leicht welche daran ab-
streichen lassen), sodann bewahren (es muß also dafür
gesorgt werden, daß sie schwer herausfallen kann,
daß mein Gefäß fest steht usw.); Asche und gar
Zigarrenstummel sind kein erfreulicher Anblick: das
Gefäß muß also verdeckt oder so tief sein, daß es
den Znhalt dem Auge verbirgt. Ls soll im vor-
liegenden Fall aus Gchmiedeeisen und getriebenem
Rupfer bestehen. So weiß ich, daß mein vollendetes
werkchen deutlich sagen muß: ich bin ein Ding niebt
etwa aus schwarzlackirtem und teilweis verkupfertem
Guß, sondern eben aus Schmiedeeisen und getriebenem
Rupfer. So gewinn ich ein stilgemäßes Gebilde, ein
Gerät, das sagt: das bin ich und das soll ich. Und
ich habe für die Befriedigung eines neuen Bedürf-
nisses den künstlerischen, den charakteristischen Ausdruck
gefunden. So wenig es sein mag, es ist was Neues.*
kväre das jDublikum ein Völkchen von Geschmack,
es würde an meinem Werklein Freude haben. Denn
daß sich dessen lvesen d. h. seine Bestimmung und sein
Material unmittelbar ausprägt durch seine Form, giebt
ihm den Anschein der Beseeltheit. Der Beseeltheit?
Gewiß. Lin Beseelen durch unsere Phantasie setzt
jeder künstlerische Genuß voraus. Gs braucht frei-
lich kein bewußtes zu sein. Auch das kunstgewerbliche
Stück beseelen wir unbewußt, und unsere Sprache
drückt das trefflich aus. Sprechen wir nicht auch
von einem «einladenden» Ätuhle, von einem «freund-
lichen» vorhang? kvir übertragen die Stimmung,
die sie in uns erwecken, auf sie, wie auf die Land-
schaft, die wir genießen — und wenn wir vom «er-
wecken» sprechen, beseelen wir ja schon wieder.
Nlinder oder mehr, je nach der Stärke der j)hantasie,
beseelen wir, zumeist ganz unbewußt, Alles, was wir
ästethisch d. h. nicht bloß init dem nüchternen ver-
stande, sondern auch mit der Lmpfindung, betrachten.
kvarum sonst erweckt es dem Feinfühligen Unlust,
eine aus Niessing nachgebildete «abgehauene» Lsand
als Briefbeschwerer zu sehen, oder auf Teppichen, in
die Schäferszenen gewirkt sind, den Schäfern und Schäser-
innen über die Backen zu laufen, oder — das krasseste
Beisxie! zu erwähnen — die Taschentücher mit den

* Unsere Leser erinnern sich au.s kieft ; der Abbildnngen
nach einigen Lntwürfen, die dem verfasser in Folge seines
Anfsatzes zugingen. Sch. d. „Ag."

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Bildnissen des Landesvaters zu benutzen, die früher
gar häufig auf Zahrmärkten auftauchten und dem
Bauersmann ganz besonders «patriotisch» erschienen?
Auch mein kleiner Aschenbecher wird gleich den andern
wirklich schönen Gegenständen unseres Lseims ge-
wissermaßen zum bescheidenen Rameraden. Nlir däucht,
er versichert mir in seiner stummen Sprache: «Zch
putze Dir die Zigarre fein säuberlich und hebe die
häßliche Asche gut auf — denn bin ich nicht trefflich
dazu geeignet? Du siehst mir's ja an jedem Glied
meines Rörpers an, daß ich gerade der Rerl bin, den
Du dazu brauchst!» lver solche Tmpfindungen nicht
in sich nachbilden kann, hat den f e i n st e n Neiz guter
Grzeugnisse auch des Runsthandwerks nie kennen ge-
lernt, ist vielleicht gar nicht einmal über die Lust an
Farb und Linie hinausgekommen, oder der Gegen-
stand erinnert ihn nur an etwas Lsübsches oder
ihm kvertes, oder er erfreut sich nur an seinen
Teilen, ohne ihn als Ganzes betrachten zu können.
Die meisten unter uns Runstbeflissenen kennen aber
jenes Tmpfinden sehr wohl, ob wir als Nkaler eine
Fläche durch Farbe «beleben», ob wir als Gold-
schmiede einem Gefäß «Lharakter» geben, ob wir das
Schmiedeeisen durch Bemalung «aufheitern» oder sonst
etwas Runsthandwerkliches thnn — wir kennen jenes
Lmpfinden Alle, wenn uns auch vielleicht nie bewußt
geworden ist, daß es auf einem unwillkürlichen Be-
seelen beruht.

So geht's aber nicht dem großen j)ublikum, dessen
phantasie durch Zahrhunderte verkünnnert ist. Ts
wird unsern Aschenbecher begucken, wie andere auch,
wird ihn, ist er in seiner Forni und Färbung gefällig,
auch kaufen, wird aber nicht im Stande sein, in jenes
inncrliche Verhältnis zu ihm zu treten, ihn zu «be-
leben» — und er wird ihm bald langweilig werden.
Aus der so erzeugten Langeweile ersteht nun das
Unheil. kvas Anderes! tvas Neues! schreit der
Gelangweilte. Und der Verkäufer will Absatz und
der Fabrikant will Aufträge und der Zeichner will
verdienst haben, jeder möglichst viel. Also neue
Aschenbecher her! Aber der alte war doch eine
Lösung seiner Aufgabe. Vielleicht wär ein zweiter
Typus denkbar, vielleicht noch ein dritter und vierter,
der ebenso eine Lösung wäre. Ivenn das der Fall,
und wenn es jene Typen zu schaffen glückte —
nun, so wäre die chache auf eine kveile hinausge-
schoben, bis die Geschichte wieder von vorn begönne
nnd endete, wie vorher. Also: bewahrt den T^xus,
aber schmückt das Gefäß anders, gebt den einzelnen
Teilen andre Gestalt, nehmt andren Nohstoff, andre
Technik, andre Farben und modelt danach die Forni.
Unerschöpflich ist die Utäglichkeit zu immer neuen
Formen, ohne daß man den Sinn gegen Unsinn ein-
zutanschen braucht.

Aber die verehrlichen Räufer haben ja eben den
Sinn, haben ja das innere Leben gar nicht verstanden
— weil die Sache n e u war, hat sie flüchtig gefallen,
nun sie älter geworden, wird sie langweilig.

So koinmen denn s i e angezogen, die Lieblinge der
verrücktheit, geboren von der Geschmacklosigkeit soge-
nannter oder dem Galgenhumor wirklicher Rünstler
und aufgesäugt zumeist mit dem Zlngstschweiß wegen
des lieben Broterwerbs. Umgekehrte Zylinderhüte
Zockeymützen, Stiefel nnd andere gute Dinge im Ab^

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