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Lrstes

Septcmber-Ibett t8St.

Prets: t /D

Lini

für unser Äunstgewerbe, denen wir unsererseits wied^r
wünschen, sie möchten nicht nur „fromme" bleiben,
werden im neuesten Heft der Hamburger „Beiträge
zu einer Volkskunst" ausgesprochen:

„Unser heutiges Runstgewerbe, das seine Lorme»
ausschließlich dem Studium vergangener Zeiten ent-
nimmt, das selbst Naturgebilde nicht an der Auelle,
in der Natur selbst studirt, sondern sie so nachbildet,
wie sie andere, vergangene Zeiten gebildet — oder
verbildet — haben, stebt dadurch in einein seltsamen,
unnatürlichen Gegensatze zu der gegenwärtig im ver-
hältnis zu unserer Zeit und zu vcrgangenen Zeiten
am weitesten vorgeschrittenen Kunst, zur Nialerei.

Während wir bei der wanderung durch die dieser
Kunst gewidmeten Säle unserer Kunstausstellungen
gewissermaßen selbst das Aufatmen mitfühlen, welches
durch ihre werke hindurchgeht, während wir hier
namentlich eine energische Selbständigkeit, wärmste,
herzlichste Liebe zum Lebcn der Natur in allen ihren
Lormen bemerken, eine Liebe, die uns die Augen für
Schönheiten öffnet, wo wir sie nie geahnt, Schönheiten,
so einfach, so bescheiden und doch so ergreifender,
so herzlicher Natur, während frisches freies Licht und
Leben uns hier umfluten, ist iin Kunstgewerbe noch
bitterwenig «Lreilicht» zu bemerken, wir schauen noch
immer durch gefärbte Gläser in die Natur hinaus!

Glücklich ist man in den Akademicn großenteils
zu der praxis gekommen, den zukünftigcn Künstler
zunächst in das Studium der Natur einzuweihen, ihm
cin offenes Auge sür ihre Schönheiten und Liebe sür
das in ihr herrschende Leben zu geben —- der an-
gehende Runsthandwerker, sei er nun Lehrling in der
j?raxis oder auf der Schule, bckommt noch immer
keine Andeutung davon, daß die Natur die Grund-
lage aller Rnnst, auch seiner, der Zierkun>t ist.

Und man sollte doch aus den ersten Blick mcinen,
das sei so leicht! Man sollte doch denken, daß unseren
Runsthandwerkern die Lormen der sie umgebenden
Natur leichter verständlich uud auch lieber wären,
als künstliche Lormen einer ihnen vällig frcmden,
vergangenen Geisteswclt! Leben sie i» jener doch

Dett 23.
Lrster flabrgang.

erteljäkrlick.
nscke

von frühester Kindheit an, ist ihnen schon in der
Schule doch so leicht Zuteresse und Liebe zu ihr einzu-
flößen, während sie dicse, erst später mühsam erlernen
müssen!

N)ie gesagt, man sollte das meinen, aber leider
ist dem nicht so, und der Schwierigkeiten, die dabei
zu überwinden sind, sind nicht wenige.

Zn der Schule sind es die Zeichenstunde uud die
Naturgeschichtsstunde, die, untereinauder in engem
Zusammenhang stehend, dazu beitragen könnten, dem
Schüler Lust uud Liebe zur Natur einzuflößeu, aber
leider wird dieser Zusammenhaug selten betont, uud
in beiden wird wohl noch jetzt in den meisten Lällen
viel zu akademisch vorgegangen. Alan sollte im
Zeichenunterricht die prächtig-lebensvollen «Zdeeu über
Zeichenunterricht» von Or. Georg ^irth noch viel
mehr kenuen und berücksichtigen und ebenso im Natur-
geschichtsunterricht ein weniger großes Gewicht auf
kalte, theoretische Systematik, als vielmehr aus Lr-
weckung lebendiger Lmpfänglichkcit für die Schönheit
der Natur legen.

Zn der Praxis, als Lehrling, erfährt der junge
Mann ebenfalls sast nichts von der wichtigkeit der
Natur für seiuen Beruf, zunächst muß er ja die
technischen Lertigkeiten sich aneignen, und hat er das,
nun so hat er sich dabei die bisher in der werkstatl
nach so und so vielen vorlagewerken gepflegte «alte»
Grnamentweise zugleich mit angeeignet — darüber,
daß Naturstudium nötig und ersxrießlich, wird ihm
keine Belehrung zuteil.

Lr hat ausgelernt, besucht vielleicht eine höhere
Lchule, oder studirt auf cigene Laust. Za, die Zdeeu,
die professor Meurer in seiner Schrift: «Das Studium
der Naturformen an kunstgewerblichen Schule»» nieder-
gelegt hat, siud leider noch nicht durchgeführt, und
im eigenen, selbständigen Studium wird er gleichfalls,
veranlaßt durch den nachhaltenden Linfluß der durch-
gemachten Lehrzeit, eiu allzugroßes Gewicht auf das
Studium alter Lrzengnisse des Runstgewerbes legen.
Dies soll nun ja garnicht getadelt werden, im Gegen-

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