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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 2.1891

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Riegl, Alois: Spätantike Stickereien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5004#0146

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SPÄTANTIKE STICKEREIEN.

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korrespondirenden Einrollungen der oberen und
unteren Ranke stets nach entgegengesetzten Seiten
erfolgen, d. h. der eingerollte Angatz in der oberen
Ranke nach oben umschlägt, sobald er an der un-
teren Ranke nach unten einbiegt. Die in die gäh-
nenden Zwickel zwischen Einrollang und Ranke ein-
gesetzten kreisrunden Füllmotive sind dazu bestimmt,
ein uraltes ästhetisches Postulat (Altägypten, Mykenä,
Neuseeland) zu befriedigen.

Die Betrachtung dieser Wellenranke lässt sich
innerhalb gewisser, allerdings ziemlich weit gezogener
Grenzen selbst zur Zeitbestimmung verwerten. Die
Wellenranke ist ihrem Ursprünge nach ein spezifisch
abendländisches Motiv. Die altorientalischen Künste
kennen sie nicht; erst die mykenische Kunst hat
sie, sowie die Ranke überhaupt, zur Verwendung
gebracht. In der frühgriechischen Kunst hat sie
sich ein stets wachsendes Gebrauchsgebiet erobert;
im Gefolge der hellenistischen Kunst ist sie dann hin-
übergewandert in den Orient, wo sie bis zum heu-
tigen Tage eines der all ergebräuchlichsten Bordüren-
muster geblieben ist. Die Form, in der sie uns an
der Akhmimer Stickerei entgegentritt, zeigt schon
bedeutende Annäherung an den späteren sarazenischen
Typus. Die Abzweigungen sind bereits klobig ge-
staltet, wodurch sie sich als Vorläufer des mauresken
Rankeuornaments offenbaren; der zu Grunde liegende
vegetabilische Charakter hat sich bedeutend ver-
wischt und in demselben Maße einer abstrakten
geometrischen Stilisirung Raum gegeben.

Aus Sakkarah stammt eine Stickerei, von wel-
cher sich ein Bruchteil auf unserer Farbentafel ab-
gebildet findet. Das Ganze ist ein blaues, locker
gewebtes Wolltuch, mit zwei eingewebten roten
Bordürestreifen. Das ganze Tuch samt der Bordüre
ist durch eingewebte schmale gelbe Streifen in Qua-
drate zerlegt; soweit die Bordüre reicht, erscheint
jedes Quadrat durch eine gestickte Figur ausge-
füllt. Sämtliche Figuren, deren jede wiederholt
wiederkehrt, vereinigt (bis auf eine einzige rein
geometrische) der Ausschnitt, den unsere Farben-
tafel wiedergiebt. Die Erhaltung der Stickerei ist
zwar nicht in allen Einzelheiten eine so vortreffliche,
wie sie in der Abbildung entgegentritt; aber was in
dem Originalausschnitt ausgemodert oder wegge-
rissen ist, das ließ sich von den übrigen besser er-
haltenen Wiederholungen dieser Figuren ergänzen,
so dass an der Authenticität der Wiedergabe kein
Zweifel übrig bleibt.

Der Stich ist in diesem Falle ein Stielstich, in
derben Wollfäden (die weißen Partien in Baumwoll-

fäden) ausgeführt. Die Regelmäßigkeit der Stiche,
die hierdurch erzielte geometrische Stilisirung der
Figuren stellt diese Stickerei auf eine Stufe mit
den Arbeiten nach gezählten Fäden. Aber schon
unsere Farbentafel deutet durch den pastosen Auf-
trag der Stiche an, dass dieselben in derbem, vor-
springendem Relief gehalten sind. Es trägt hiezu
neben der natürlichen Stärke des Fademnaterials
auch der Umstand wesentlich bei, dass die Stiche,
offenbar beabsichtigtermaßen, eng nebeneinander
gesetzt sind. Es tritt uns also auch in diesem Falle
dieselbe Absicht entgegen, die wir an der gestickten
Doppelborte aus Akhmim fesstellen konnten: nicht
um die Anbringung einer Flachverzierung handelte
es sich bei dem Sticker, sondern um ein textiles
Relief.

Von den ornamentalen Details dieser Stickerei
lässt sich in Anbetracht ihrer geometrischen Stili-
sirung nur weniges sagen. In dem oberen Streifen
der Bordüre sieht man links drei zusammenhängende
Figuren, wovon die mittlere wohl als Mensch, die
beiden seitlichen als Höckertiere anzusehen sein
werden. Man darf somit die Gruppe etwa interpre-
tiren als einen „Mann aus Morgenland, führt zwei
Kamel' am Halfterband''. Daneben steht ein Kreuz,
das sich links im unteren Streifen wiederholt, und
anscheinlich bloß als dekorative Ausfüllung des
Quadrats aufzufassen ist, während das zweite, grie-
chische Kreuz im unteren Streifen wohl eher als
christliches Symbol gedeutet werden dürfte. Von
den zwei übrigen Figuren glaubt man in der einen
eine Thor- vielleicht Kirchenfassade zu erkennen,
in der anderen sicher ein Lebewesen, und zwar mit
Rücksicht auf den langen Hals und den verbreiter-
ten Schweif am ehesten einen Vogel. Der Gesamt-
eindruck dieser geometrisch stilisirten Figuren er-
innert unmittelbar an die Musterung der heutigen
Nomadenteppiche vom Kaukasus, insbesondere der
Sumak-Teppiche, denen sie auch in Bezug auf das
technische Aussehen auffallend ähnlich sind.

Das dritte Exemplar (Fig. 2), gleichfalls zu Sak-
karah ausgegraben, besteht aus einem ungefähr
39 cm langen und 20 cm breiten Stück sehr locker
gewebten blaugefärbten Leinens, das der Länge nach
dreifach zu 8 cm zusammengefaltet und rückwärts
vernäht ist; vermutlich hat es zu einer Binde, viel-
leicht zu einer Kopfbinde gehört. Soweit die be-
stickte. Verzierung (36 cm) reicht, ist das Stück zum
größten Teile wohl erhalten. Die Stickerei ist dar-
auf ausgeführt in Silberlahn, in einer Technik
die heute noch im Orient weitverbreitet ist. Um

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