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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Einiges vom Stilisieren
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0018
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Zierleiste und Initial, zeichne* 'von Maler \. Brunner, Bad Aibling

EINIGES VOM STILISIEREN

jedes Wirklichkeitsmotiv verbannen. Nicht nur auf
plastische Wirkung, auf die kleinen Launen und Zu-
fälligkeiten des Umrisses, auf die hundert Nuancen
der Farbe müsse verzichtet werden, selbst die fernste
Erinnerung an die Naturform, die das Ornament
eingab, sei vom Übel. Damit bleibt also nur ein
rhythmisches Spiel absolut bedeutungsloser Linien als
erlaubt bestehen.

Andere Künstler sind weniger streng. Sie wissen
ihrem Ornament den Charakter als freie Entwürfe der
Laune zu wahren, ohne doch das Naturwesen zu ver-
leugnen, dem es seine Entstehung verdankt. Manchem
macht es Freude, uns zu verraten, woher ihm der
Einfall kam. Das ist vielleicht nicht ganz vorsichtig,
denn bei dem heutigen Schwanken aller stilistischen
Begriffe ist schnell das Missverständnis bei der Hand,
das glaubt, den Künstler beim Wort nehmen zu
dürfen. Ist das Wellenspiel eines Baches von ferne
in der Teppichbordüre erkennbar, so kommt vielleicht

EUTZUTAGE, wo uns Deutschen ein „neues" Kunstgewerbe gleichsam vom
Himmel herunterfallen soll, lauern von allen Seiten tausend Gefahren auf
seine unerfahrene Jugend, die den Generationen erspart bleiben, welche
sich schrittweise an der Hand erprobter Traditionen vorwärts wagen.

Aber von der Tradition will man nun einmal nichts wissen, sie hat
zu lange mit der Brille auf der Nase und dem Zopf im Nacken als
Tyrann jeder freien Entwicklung gewehrt, als dass nicht ein Misstrauen
gegen ihre Lehren begreiflich sein sollte, selbst wo sie im Rechte ist. So
schwankt denn die Unerfahrenheit zwischen den widersprechendsten
Sirenenstimmen hin und her, die bald von dieser, bald von der entgegen-
gesetzten Seite verlockend ertönen.

Ein besonderer Tummelplatz naivster Ratlosigkeit bildet das Gebiet
stilisierter Naturform, sei diese nun für Flächendekoration oder für plas-
tisches Ornament bestimmt. Oft tönen Stimmen vom Auslande zu uns
her. So will ein Fachkünstler wie Lemmen speciell für den Teppich
noch einer, der verlangt, man möge ihm nun auch
noch eine Brücke darüber bauen!

Dass die Pflanzenform sich am leichtesten den
Forderungen der Flächendekoration fügt, leuchtet ohne
weiteres ein, und wird auch durch die überwiegende
Rolle bestätigt, die das vegetabile Ornament in dem
Flachmuster aller Zeiten gespielt hat. Was die mo-
dernen Bestrebungen auf diesem Gebiet auszeichnet,
ist nur die grössere Nachgiebigkeit gegen die Fein-
heiten der Form, wie sie sich besonders in dem
Kontur ausdrückt. Auch die alten Kunsthandwerker
haben sich selbstverständlich nicht mit der Absicht
an die Arbeit gemacht, die Blüte, die vor ihnen lag,
zu stilisieren, ein Ornament daraus zu machen. Sie
ahmten so gut oder schlecht nach, als die Feinheit
des Auges und die Geschicklichkeit der Hand es er-
laubte, und nur die Technik mischte sich ganz von
selbst stilbildend ein. Der gesteigerte Realismus in
der hohen Kunst" muss sich ganz natürlich auch im
 
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