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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Hevesi, Ludwig: Die Wiener Secession und ihr "Ver Sacrum"
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0160
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DIE WIENER SECESSION UND IHR „VER SACRUM«

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der durch die geistige Atmosphäre zog. Bald hatte
die Zeitschrift einen grossen Abnehmerkreis, der bis
ins ferne Ausland reichte. Es ist nicht ohne Interesse,
dass sie z. B. in Skandinavien so eingeschlagen hat,
wo man keine alte Kunst besitzt, also desto offenere
Augen für neue Kunst haben muss. Wenn man heute
den ersten Jahrgang (Verlag von Gerlach & Schenk)
durchblättert, staunt man über das Geleistete. Die
strenge Fachkritik in Paris und London hat es un-
umwunden anerkannt, dass hier etwas Neues und
Gutes gemacht ist. „Ver Sacrum" ist mit keiner der
irgendwo bestehenden illustrierten Kunstzeitschriften
zu vergleichen. Was ihm von vornherein einen
anderen Charakter giebt, ist sein persönliches Gepräge.
In dem kleinen Kreise von Künstlern und Schrift-
stellern, die da mitzeichnen und mitschreiben, hat sich
ein einheitlicher Geist ausgebildet, so dass »Ver
Sacrum" wie aus einem Guss geworden erscheint. Es
ist als eine moralische Person für sich zu betrachten,
die ihre individuellen Züge hat und alles ihr Fremde
abweist. Und diese ideale Person ist auch eine idea-
listische. Sie hat „Ver Sacrum" als eine Ehrensache be-
trieben und ihre Nächte geopfert, um dem Zweck zu
dienen, ohne auf „irdischen" Lohn zu rechnen. Es
sind alles in allem nur wenige Hände und Köpfe,
die der junge Bund für eine solche Aufgabe zu ver-
wenden hat, aber das Gebotene macht den Eindruck,
als wäre ein grosser Stab von Kräften am Werke ge-
wesen. Man betrachte etwa das umfangreiche Doppel-
heft, in dem die erste Ausstellung der Secession be-
handelt ist, mit ihren 80—90 Bildern; dem sieht man
den kleinen Privatverein nicht an. Dabei ist noch
ein besonderer Zug hervorzuheben: die Bescheiden-
heit. Man sollte meinen, dass in dem Organ einer
Vereinigung ihre eigenen Mitglieder besonders gut
wegkämen. Das Gegenteil ist der Fall. Für sich
selber macht die Vereinigung bildender Künstler
Österreichs keine Reklame. In „Ver Sacrum" ist es

ängstlich vermieden, irgend ein Mitglied für seine
Leistungen zu beloben; sie werden vielmehr, selbst in
den Besprechungen der eigenen Ausstellungen, beinahe
systematisch totgeschwiegen. Mögen ihre Arbeiten für sie
reden, in der Weise, wie es etwa die Klimt-Nummer
zeigt. Nur Altmeister Rudolf von Alt hat im ersten
Hefte seine gebührende Huldigung empfangen; bei der
klassischen Schlichtheit, die ihn auszeichnet, ist sie
mehr gemütlich als feierlich ausgefallen. Und ein
Heft war Hans Schwaiger gewidmet, dem weltfremden,
in seinen Vorkarpaten vergrabenen Künstler; aber
das geschah so sehr in absentia, dass es für den so
Gewürdigten gar keine persönlichen Folgen haben
konnte. Ausländern gegenüber ist „Ver Sacrum" frei-
gebiger; das schöne Khnopff-Heft beweist es. Aller-
dings ist es mehr als Kollegialität, was Fernand Khnopff
und andere grosse Moderne mit unserer Secession und
„Ver Sacrum" verknüpft. Es ist Freundschaft und
thatkräftiges, mitthuendes Wohlwollen, ja sogar schon
eine gegenseitige Dankbarkeit, die ihre hochsoliden
Grundlagen hat. Das alles sind sprechende Kenn-
zeichen, dass hier wirklich etwas Lebendiges und
Lebensfähiges geleistet worden. Die Secession ist
heute massgebend auf dem Gebiete der Wiener Kunst,
und „Ver Sacrum" ist eine der Stimmen Wiens ge-
worden, ein Weckruf zum Leben, der weit über die
Grenzen Österreichs hinausschallt. Mit dem zweiten
Jahrgange tritt „Ver Sacrum" in den Verlag von E.
A. Seemann in Leipzig über. Die Redaktion (für
welche Dr. Franz Zweybrück zeichnet) bleibt die bis-
herige und hat ihren Sitz in Wien. In dieser un-
mittelbaren Verbindung mit der deutschen Geistes-
strömung liegt die Gewähr einer bedeutsamen Weiter-
entwicklung der Zeitschrift. „Ver Sacrum" wird nun ein
wichtiges Organ der modernen Kunstinteressen werden,
eine wirksame Waffe zu Schutz und Trutz, an diesem
Wendepunkte der allgemeinen geistigen Entwicklung,
wo endlich „das Saatkorn einer neuen Welt" aufgehen will.

Druckverzieruiig von Koloman Moser, Wien. (Aus Ver Sacrum, Bd. II, H. 4.'
Kunstgewerbeblatt. N. F. X. H. 8.

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