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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 14.1903

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Kurzwelly, Albrecht: "Die Pflanze in ihrer dekorativen Verwertung": Ausstellung im Leipziger Kunstgewerbemuseum
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https://doi.org/10.11588/diglit.4359#0135
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OBERLICHT AUS DER SCHMIEDEWERKSTATT DER STADTISCHEN HANDWERKER-
UND KUNSTOEWERBESCHULE ZU ELBERFELD

DIE PFLANZE IN IHRER DEKORATIVEN VERWERTUNG

AUSSTELLUNG IM LEIPZIGER KUNSTGEWERBEMUSEUM

Von Dr. Albrecht Kukzweu.y

DIE gegenwärtigen Versuche, neue Ornament-
formen zu finden, einen neuen Stil zu bilden,
sind hervorgegangen aus dem plötzlich er-
wachenden Abscheu vor dem Zuviel, vor dem Sinn- und
Materialwidrigen der Verzierung und aus der Über-
sättigung an dem Formenschatz der Vergangenheit, von
dem wir Jahrzehnte lang gezehrt hatten. Die Diskussion
der Frage, wie man zu einer selbständigen, wahrhaft
eigenartigen, dem Wesen und den Bedürfnissen der
Zeit entsprechenden Formensprache gelangen könnte,
ergab alsbald die heftigsten Gegensätze und Wider-
sprüche. Nach dem Vorbild der Engländer, die
schon lange die eklektische Nachahmung des Ver-
gangenen überwunden und sich auf die Forderungen
ihrer Zeit und sich selbst besonnen hatten, hält heute
die Mehrzahl der Vorkämpfer der neuen ornamentalen
Richtung treu an pflanzlichen Motiven fest, unent-
wegt unmittelbar aus der Natur schöpfend, die dem
ungetrübten Blick ungeahnte neue Reize enthüllt. Die
kleinere Gegenpartei glaubt, um völlig von der über-
lieferten Formensprache loskommen zu können, die
Pflanze aus dem Formenapparat der Zierkunst ganz
und gar ausschalten und ihre Ziergebilde lediglich
aus der abstrakten Linie und ihrer Verschlingung und
Gegeneinanderstellung ableiten zu sollen.

An und für sich schon nicht unbedenklich, bei
radikaler Durchführung, ist dies Prinzip, seitdem es
aus dem engen Kreis der starken Individualitäten, die
es ins Leben gerufen, hinausgedrungen ist in den
weiteren Kreis der mittelmässigen Talente und selbst
bei den Alltagsroutiniers Anklang gefunden hat,
direkt eine Gefahr geworden, eine Gefahr, die den
Kredit der jungen Reformversuche ernstlich zu schä-
digen droht. Eine weitere Gefahr erwächst diesen Ver-

Kunstgewerbeblatt. N. F. XIV. H. 7.

suchen durch die gewissenlose und oberfächliche Aus-
schlachtung und Nachäffung, die sich die von Meister-
hand neu geschaffenen pflanzlichen Zierformen ge-
fallen lassen müssen. Was die Bahnbrecher auf dem
Felde der vegetabilen Ornamentik in erster Linie an-
gestrebt haben, ein ernsthaftes Studium der Einzel-
formen der Pflanze, der Art ihres Wachstums und
ihrer Bewegungen, — dieses ganz intensive Erfassen des
Baues der Pflanze sehen wir von denkfaulen Nach-
betern mehr denn je vernachlässigt. Innerhalb beider
Parteien aber macht sich die Masse der schwachen
Individuen bereits wieder aufs ärgste der Sünde der
Überdekoration schuldig, gegen die die Vorkämpfer
der neuen Richtung mit Recht und mit so vieler
Energie Front gemacht hatten.

So sind wir auf dem Wege zur Freiheit und
Selbständigkeit bereits in eine schlimme Sackgasse
geraten, aus der uns nur starker Wille und strenge
Selbstzucht wieder herausführen können. Das grosse
Publikum steht den verwirrenden Widersprüchen in
der neuen Formenwelt ratlos gegenüber, zwischen
blinder Begeisterung und entschiedener Abneigung
schwankend. Im Alltagsleben sieht es mehr von ihren
Schatten- als von ihren Lichtseiten; was Wunder,
dass es sich meist ablehnend verhält und gering-
schätzig von Laune und Mode redet, wo in der That
ein in seinen Ursachen und letzten Zielen gesundes,
beifallswertes und ernstes Streben vorliegt. Wie soll
der Laie über Wert oder Unwert dieses Strebens Klar-
heit gewinnen, wenn er beobachten muss, wie einer-
seits die Wortführer der Moderne gegen das Un-
logische, Unmotivierte in der ausser Kurs gesetzten
Formensprache zu Felde ziehen, und wie andererseits
ihre Mitgänger die Vergangenheit in Sinnwidrigkeiten

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