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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 14.1903

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Kurzwelly, Albrecht: "Die Pflanze in ihrer dekorativen Verwertung": Ausstellung im Leipziger Kunstgewerbemuseum
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https://doi.org/10.11588/diglit.4359#0136

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126

»DIE PFLANZE IN IHRER DEKORATIVEN VERWERTUNG«

ENTWURF ZU EINEM KACHELFRIES MIT ROTEM UND GRÜNEM DEKOR
VON RUDOLF VON HEIDER IN SCHONOAU

vielfach noch übertrumpfen. Wie soll er zu den
Propheten des neuen Stiles Vertrauen fassen, wenn er
sieht, wie sie nicht selten aller Bedingungen des
Materials spotten, wie sie ihren mit so grosser Em-
phase verkündeten Prinzipien in ihren Schöpfungen
direkt ins Gesicht schlagen, beispielsweise metallartiges,
beschlagähnliches Zierwerk als Kopfleiste über die
Buchseite setzen, wie sie die hochgepriesene abstrakte
Linie in der tollsten Weise verrenken und den Pflanzen-
stengel zu Bewegungen und Knickungen zwingen, die
ihm in der Natur Dinge der Unmöglichkeit sind.

Wer die Stilentwickelung gründlich kennt, wird
diesem verwirrenden Gemisch verheissungsvoller und
unerquicklicher Erscheinungen gegenüber unwillkür-
lich immer wieder auf die Natur als den Quell aller
Gesundung verweisen, in einer gesteigerten Sorgfalt
und Nachhaltigkeit des Pflanzenstudiums das Heil
für die Zukunft erblicken.

Der Blume ist schon in der Natur die Funktion
des Schmückens zugewiesen, auf der besonnten Wiesen-
fläche so gut, wie auf dem beschatteten Waldboden
und im Garten, der seine eigentlichste Zier durch sie
erhält. Sie ist der von Natur gegebene Schmuck für
alle ephemeren Dekorationszwecke. So wird sie auch
allezeit das natürlichste und bedeutungsvollste Motiv
im Ornament bleiben, am Bauwerk wie an allen Teilen
des Zimmerorganismus, mögen die Zeiten und die
konstruktiven Bedürfnisse kommen wie sie wollen.
Mit ihrem unerschöpflichen Reichtum an Arten und
Varianten bietet die Pflanze der künstlerischen Ver-
zierung eine unerschöpfliche Fülle von Motiven, die
selbst nach jahrtausendelanger Ausbeutung nur zu
einem kleinen Teil vom Künstler ausgenutzt ist, eine
Fülle von Möglichkeiten, mit der sich die Fülle von
Möglichkeiten, die die Kombination abstrakter Linien
ergiebt, in keiner Weise messen kann. Im Verein mit
dem Motivenschatz, den die animalische Welt dem
dekorativen Schmuck entgegenbringt, wird die vegc-
fabile Formenwelt die abstrakte, die rein lineare immer
von neuem aus dem Felde schlagen, schon deshalb, weil
dieser eine weit geringere Kraft und Deutlichkeit der
symbolischen Sprache innewohnt als ihr, aber auch
insofern, als die abstrakte Formensprache nur zu leicht
zur Monotonie und zur Manier führt.

Gewiss kann auch eine übertriebene und oberfläch-
liche Anwendung der Pflanze zur Manier führen und
die Stilentwickelung lahm legen. Und gewiss gilt es,
einem solchen Überwuchern gegenüber auf die Not-
wendigkeit einer klaren Flächengliederung, einer deut-
lichen und vernunftvollen Betonung der konstruktiven
Teile und einer wahrhaft sinngemässen Verwendung
der Zierglieder hinzuweisen. Aber ebenso gewiss
ist ein gründliches Studium der natürlichen Pflanze
jener Übertreibung gegenüber der sicherste Weg zur
Gesundung.

Aus solchen Erwägungen, insonderheit aber aus
der Beobachtung der gerügten Schäden ist die um-
fangreiche Ausstellung hervorgewachsen, die seit An-
fang Februar den grösseren Teil der Räume des
Leipziger Kunstgewerbemuseums füllt. Wie die Ver-
hältnisse gegenwärtig liegen, entspricht sie einem von
vielen Seiten stark empfundenem Bedürfnis.

Ihrer ganzen Art und Anlage nach ordnet sie sich
als etwas völlig Neues in die Reihe der kunstgewerb-
lichen Fachausstellungen ein. In der gleichen Rich-
tung wird sich noch manche wahrhaft fruchtbare
Ausstellungsidee für die Kunstgewerbemuseen finden
lassen. Die Verwirklichung eines derartigen Aus-
stellungsprojektes bietet freilich mannigfache Schwierig-
keiten, die sich beim besten Willen bei einem ersten
Versuche nicht völlig überwinden lassen. Das Zu-
sammenbringen des wahrhaft Wertvollen und Wich-
tigen, wie das Fernhalten des Mittelmässigen, die
richtige Auswahl unter den Eingängen und die Grup-
pierung und Aufmachung des Materials erfordern
einen weit grösseren Energieaufwand, ein bei weitem
intensiveres Durcharbeiten des Stoffes, als etwa die
Vereinigung bestimmter Gruppen von ausgeführten
Arbeiten. Unter solchen Umständen müssen sich die
Unternehmer schon glücklich schätzen, wenn es ihnen
gelingt, etwas zu schaffen, was den Erwartungen und
Ansprüchen der Sachkenner einigermassen entspricht.

Die Leipziger Ausstellung sollte zunächst dazu
dienen, die Augen zu öffnen und den Blick zu
schärfen für ein wahrhaft gesundes Studium und
Stilisieren der Pflanze, vornehmlich dem Publikum dann
aber auch der noch aufnahmefähigen künstlerischen
Jugend und endlich ihren Beratern und Erziehern.


 
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