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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 14.1903

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Leisching, Julius: Rudolf Marschall
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https://doi.org/10.11588/diglit.4359#0181

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WANDTEPPICH FÜR EIN SCHLAFZIMMER, ENTWURF VON ARCHITEKT M. A. NICOLAI, DRESDEN

RUDOLF MARSCHALL

RUDOLF Marschall gehört zu den so seltenen
Glückskindern der Kunst. Kaum dreissig-
jährig, hat er soeben den Titel eines Kammer-
medailleurs erlangt, den ausser ihm nur Tautenhayn
der ältere und Schärft besitzen. Er ist aus einer
Oraveurfamilie hervorgegangen und erwarb sich schon
als Schüler Tautenhayn's des älteren die goldene
Fügermedaille der Akademie. Mit fünfundzwanzig
Jahren durfte er im Auftrag der Stadt Wien die
Medaille auf den Kinderhuldigungszug anlässlich des
fünfzigjährigen Regierungsfestes Franz Josefs I. aus-
führen. Von anderen Arbeiten war an dieser Stelle
schon im Vorjahre die Rede. Merkwürdig mag nur
erscheinen, dass er sich bis in die höchsten Kreise
grosser Gunst erfreut, trotzdem er ein Realist von
herbster Ehrlichkeit ist. Seine Kaiserplakette desselben
Jubeljahres 1900, die nicht in den Handel kam,
sondern nur als Geschenk des Monarchen abgegeben
wurde, ist keineswegs idealisiert, wenn auch durch
grosse Auffassung und eine fast monumental zu
nennende Ruhe ausgezeichnet. Wie aber seine ein-
dringende Naturbeobachtung auch zur liebenswürdigen
Schilderung wird, zeigt die Papstmedaille und das
Doppelbildnis auf Erzherzog Rainer und seine Ge-
mahlin, die wir hier in der Abbildung bringen. Erstere
entstand gerade vor zwei Jahren, und Marschall war
der erste deutsche Bildhauer, der Leo XIII. nach der
Natur abkonterfeien durfte. Bestimmt eine Erinne-
rung an das heilige Jahr zu bilden, zeigt die Vorder-

seite der Medaille den ungemein gewissenhaft durch-
gearbeiteten Kopf mit der hohen Stirn, der mächtigen
Nase und dem starren grossen Auge, das in so
merkwürdigem Gegensatz zum ewigen Lächeln des
grossen Mundes steht. Der typische Ausdruck dieses
Kopfes konnte nicht fesselnder festgehalten werden.
Aber Marschall ist nicht bloss Realist — auf der
Rückseite der Papstmedaille weiss er auch durch
Stimmung zu wirken. Hinter einem im Vordergrund
aufragenden Fels mit Bäumen, der wohl symbolisch
aufzufassen ist, erblickt man aus einem Nebelmeer,
in dem die ewige Stadt versank — sollte auch dies
symbolisch auszulegen sein?! — einzig und allein
die Kuppel der Peterskirche aufragen: Recluvit
thesauros Ecclesiae« schrieb der Papst selbst darunter.
Die Abbildung giebt keinen deutlichen Begriff von
der Trefflichkeit der so ungemein schwierigen Flächen-
behandlung, die hier in der Zartheit der Luft und
der Beschränkung auf das Wesentliche erstaunlich
genannt werden muss.

In der Bewältigung von Schwierigkeiten jener
Arbeit vielleicht noch überlegen ist die hier eben-
falls wiedergegebene Medaille auf den allbeliebten
Erzherzog Rainer, welche die Kaiserliche Akademie
der Wissenschaften ihrem Protektor anlässlich seiner
goldenen Hochzeit am 21. Februar igo2 überreichte.
Der edelernste Kopf des Jubilars mit dem geraden
offenen Blick ist ebenso sicher getroffen wie die
gütig lächelnden Züge der Erzherzogin Marie. Ideali-
 
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