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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

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Seliger, Max: Die praktische Betätigung der Lehrer: der Zusammenhang der technischen und kunsttechnischen Schulen und die Einrichtung von Meister- bezw. Lehrwerkstätten an Kunstgewerbe- und Fachschulen, (Rede des Referenten Direktor Professor M. Seliger auf dem Delegiertentage des Verbandes deutscher Kunstgewerbevereine zu Braunschweig, 20. März 1904)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0218
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DIE PRAKTISCHE BETÄTIGUNG DER LEHRER

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tischen Richtungen und Rezepte aber nicht gediegener
geworden. Es ist teils nicht einmal die unserer Vorderen
wieder erreicht. Auch die moderne Form dürfte ohne
bessere Technik nicht Bestand behalten und ihre
Torheiten entspringen wesentlich aus Rücksichtslosig-
keiten gegen die Technik und aus ungenügendem tech-
nischem Ernst. Die Nichtachtung der Technik macht
die Ästhetik manieriert und krank. Dies sehen wir
sowohl bei den vorletzten als bei den letzten Formen.
Seit der Gewerbefreiheit darf in Deutschland jeder
ohne Befähigungsnachweis schöpferisch tätig sein.
Wird diese Schöpferkraft riesenhaft und schnell und
ungeheuer fruchtbar, wie beim Massenwerk der
Fabriktechniken, so wirkt sie in Verbindung mit ge-
ringer moralischer, unnachbarlicher, zudem qualitäts-
gleichgültiger oder -unfreundlicher Gesinnung geradezu
verheerend für das deutsche Land und sein Ansehen
in der Welt.

Wir kennen alle das beschämende aber treffende
Wort >billig und schlecht«. Es ist nach dreißig
Jahren technischer und kunsttechnischer Schulen nicht
besser geworden. Woran liegt dies?

Ich sage, es liegt wesentlich an den Arbeitssitten
und Zielen unserer praktischen Schulen der Künste,
Gewerbe und Industrien. Wir gewöhnen dort die
künftigen Arbeiter an ungesunde und teils unnatür-
liche Ärbeitsmanieren. Die sogenannte »Praxis« reißt
zudem noch das Bescheidene und Halbe, das die
Schule in ästhetischer Richtung aufbaut, wieder nieder.
Ich glaube, daß beide, Schule und Praxis an dem
wenig befriedigenden Resultat schuld sind und daran,
daß wir nur verhältnismäßig langsam vorwärts kommen.

Die Schulen gaben durchschnittlich bisher die .
halbe Lehre, halbe Ausbildung, die Vorbildung bis
zur Schöpfertätigkeit und sie pflegten diese letztere
durchschnittlich auch nur in Vor- oder Modelltech-
niken als »Tonmodell- oder Papierkunst«. Die End-
oder Ausführungstechniken wurden der Praxis über-
lassen.

Diese Arbeitsteilung bei der Erziehung hat für
jede Partei, beziehentlich für jeden Teil der Werk-
erschaffung bedenkliche Folgen.

Wie sieht nun die Arbeitssitte der Schule aus,
und wie sieht die der »Praxis« aus?

Das Ziel unserer Schulen ist doch wohl das,
der Praxis brauchbare Schöpferkräfte zu überreichen.
Dies Ziel ist auf dem jetzigen Wege unerreichbar.
Erreicht wird nur, daß wir der Praxis ästhetisch
mehr oder weniger kultivierte, leichtfertige Gehilfen
vorbereiten, die von der Endtechnik sich nachher,
wie bisher gewohnheitsgemäß fern halten, sie gering
schätzen und sich hoch über sie stellen.

Jeder gute Künstler und Arbeiter weiß aber, daß
mit dem Entwurf eines Werkes noch kaum die
Hälfte Arbeit gewonnen und das Resultat des Werkes
durchaus noch nicht sicher gestellt ist, er weiß, daß
geringere Gesinnung, geringere Liebe, geringere Kraft
geringerer Erfindungssinn in den oft vielfachen aus-
führungstechnischen Zuständen das Werk heben oder
es verderben können, er weiß, daß es überhaupt kein
unwichtiges Erschaffungsstadium am Werke gibt.

Schon deshalb ist für alle eine Erziehung von
gleichem Geiste unerläßlich. Pädagogische Gründe
gebieten sie.

Ich muß leider um Ihre Zeit nicht zu stark in
Anspruch zu nehmen, darauf verzichten, durch Be-
leuchtung von Beispielen die allgemeine Beleuchtung
interessanter und deutlicher zu machen.

Die Schüler haben auch, wie ich erwähnte,
zu viel Freiheit; sie selbst, nicht ihre Lehrer machen
wohl meistens ihren Bildungsgang. Dieser ist darum
voller Lücken, weil sie den weniger interessanten
Elementarübungen gern aus dem Wege gehen. Diese
Lücken in der Ausbildung zeigen sich später an
ihren Werken.

Die Schulen scheinen mir jetzt so zu sein, wie
eine gegenwärtig regierende, nicht immer selbstlos
und ideal gesinnte Praxis, die zum Teil nicht einmal
auf der Höhe einstiger Tradition angelangt ist, sie
will, nicht aber, wie sie im Interesse vortrefflicher
deutscher Arbeit und des Wertes dieser sein müßten.

Für einzelne, augenblicklich herrschende Gewerbe-
techniken aber modisch fruchtbare Gehilfen zurecht-
zustutzen, das scheint mir ein zu kleines und zu
kurzes Ziel unserer Schulen zu sein! Sie müssen
tiefer, zukunftssichernder wirken, uns vorbildliche
Sitten und Ziele zeigen, sie müssen, wenn sie lehren
sollen im echten Sinne Führer sein, das heißt durch-

OROSSH. MAJOLIKAMANUFAKTUR KARLSRUHE,
FLIESENBILD VON MALER WILLY SÜS
 
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