Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

DOI Artikel:
Seliger, Max: Die praktische Betätigung der Lehrer: der Zusammenhang der technischen und kunsttechnischen Schulen und die Einrichtung von Meister- bezw. Lehrwerkstätten an Kunstgewerbe- und Fachschulen, (Rede des Referenten Direktor Professor M. Seliger auf dem Delegiertentage des Verbandes deutscher Kunstgewerbevereine zu Braunschweig, 20. März 1904)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0217

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
206

DIE PRAKTISCHE BETÄTIGUNG DER LEHRER

GROSSH. MAJOLIKAMANUFAKTUR KARLSRUHE,

WANDPLATTE NACH ENTWURF VON

DIREKTOR HANS THOMA

Kollegen ist noch sehr nahe der eines Deklassierten.
Einzelne Ausnahmen, und die Tatsache, daß die
Regierungen mit gutem Beispiel vorangehend, einzelne
Gewerbekünstler emporheben, sie mit dem Professor-
titel als gesellschaftsfähig abstempeln, kann diese all-
gemeine Wahrheit nicht ändern.

Die Kunst der vorhin geschilderten Gattungen
ist als »hohe freie« geachtet, übertrieben gehegt; die
seine als »niedere, unfreie« verachtet und so gut wie
nicht gepflegt. Dies hat für den Nachwuchs von
Arbeitern, für die Beliebtheit ihrer und seiner Fächer
und Techniken und zuletzt für den Absatz ihrer und
seiner Erzeugnisse bedeutungsvolle Folgen.

Die Schöpfertätigkeit des Kunstgewerblers ist
schwierig, weil sie von komplizierten Technik-
und Umgebungsschranken behindert ist. Dies be-
wirkte trotzdem nicht Höherschätzung, sondern eine
wirtschaftliche Tieferstellung und Abkehr begabter
Kräfte und höherer Stände von seinem Fach.
Teils auch infolge des abschreckenden Eindruckes,
den die übliche schlechte und geringe Kunst und
Arbeit im Gewerbe, der ebenso wenig wie der
hohen Kunst schwache oder talentlose Kräfte etwas
nützen können, hervorrief. Das Studium ist wegen
dieses nötigen Plus eher länger als bei der »freien
hohen« Kunst, die heute viel bequemer und un-

gehinderter schafft. Man ist gewöhnt dort mit
Hundertmarkscheinen den Preis zu zahlen, hier mit
einzelnen Markstücken und dann womöglich noch
sich zu besinnen und umzukehren.

Der Kunstgewerbler wird so erzogen, daß er
alles zu können glaubt.

Die Schule bildet nicht Kunstgewerbe/nac/ze/-, son-
dern wesentlich den Kunstgewerbezeichner für alles.

Man fordert auf der Kunstgewerbeschule durch-
schnittlich auch nicht streng eine handwerkliche oder
industrietechnische sorgfältige Vorbildung durch Prü-
fungen, sondern geht sofort auf rein ideelle ästhetische
Probleme aus und gibt dem Ziel des Schülers die
Freiheit. Dieser regiert.

Die Verbindung mit den lebensvollen Techniken,
Arbeits- und wirtschaftlichen Verhältnissen, ist in der
Schulzeit nicht vorhanden. Der Bildungsgang des
Kunstgewerblers auf der Kunstgewerbeschule bewirkt
infolge ihrer Unterrichtsmethoden die durchgehende
Überschätzung der ästhetischen Seite seines Faches
und eine Geringschätzung der technischen Seite der-
selben.

Ich mache diesen Vorwurf sämtlichen deutschen
Kunst- und Gewerbeschulen, Schulen, deren Gebiete
doch vornehmlich technisch-praktische Tätigkeit im
Gegensatz zu gelehrten, wissenschaftlichen Fächern
darstellen. Ich klage auch die deutsche Wissen-
schaftsschule an, daß sie die manuelle Geschick-
Volkes nicht schätzt oder
diese nicht fördert, sondern
Ich behaupte, daß wir so
ganze deutsche Volk so gut wie
ästhetisch und geistig superklug

an,

lichkeit des deutschen
nicht zu sehen scheint,
teils geradezu erstickt,
erziehen, daß das
technikblind, aber

geworden ist.

Wir sehen überall, daß für das »Wie« einer
Arbeit, für die Technik, kein Interesse im Volke ist,
daß lediglich die ästhetische Tat, deren Wert schwer
meßbar ist, gesucht, beachtet und geschätzt wird. Wir
sehen sogar, daß die Erzeuger körperhafter Arbeit
selber weniger Wert auf die technische Gesundheit
und Trefflichkeit legen, daß teils ihre Begriffe darüber
völlig unklar sind. Der Laie aber läßt sich alles
verkaufen, nimmt es ohne Besehen gutgläubig ab,
wenn es nur modische oder sortiert historische
Ästhetik zeigt.

Wir kennen alle den
den historischen Formen,
jetzt besteht die Meinung,
lediglich Mode sei. Daß

äußerlichen Wechsel mit

die Stilmoden. Auch

daß die moderne Form

diese Ansicht Wahrheit

wird, ist nicht ohne Wahrscheinlichkeit, wenn fortan
die Geringschätzung und Abtrennung der Technik, die
unbegrenzte Leichtigkeit und Leichtfertigkeit der ästhe-
tischen Arbeit und damit deren Unstetigkeit fördert.
Mehr Stetigkeit der Ästhetik kann nur durch tech-
nische Grenzen und Ziele erreicht, die Erregtheit der
Erfindung nur durch die Technik beruhigt werden,
weil die technische Vollendung meist mehr Zeit for-
dert als die Erzeugung der ästhetischen Formidee.
Die Technik ist naturgemäß dauerhafter und nicht
modisch.

Die Technik ist trotz des Wechsels der ästhe-
 
Annotationen