LAMPE, ÖL- UND ESSIGGESTELL VON MOGENS BALLIN,
JARDINIERE VON SIEGFRIED WAGNER, KOPENHAGEN
GOTTFRIED SEMPER UND DIE MODERNE
RICHTUNG
ES kann kaum ein Zweifel sein, daß, blickt man
einmal später von einem Abstand, der weit
genug ist, um ein annähernd objektives Urteil
zu gestatten, auf das vergangene Jahrhundert zurück,
man kein Gebiet der Kunst finden wird, das sich so
wenig schöpferisch, so wenig selbständig, so wenig
geschmackvoll erweisen wird, wie das der dekorativen
Künste. Auf allen anderen Gebieten der bildenden
Kunst hat es, mag dies Jahrhundert sich auch hier noch
so spröde gezeigt haben, doch immerhin einige, wenn
auch einsame Größen gegeben, die zwar zu ihren
Leb- oder Blütezeiten nicht als solche erkannt, später
dafür aber um so sichtbarer emporgehoben worden
sind und jene Öde vergessen helfen, die sich sonst
im allgemeinen auch auf diesen Gebieten feststellen
läßt. Auf dekorativem Gebiete nichts dergleichen.
Es ist, als habe die kunstschöpferische Kraft dieses
künstlerisch so merkwürdig schwach begabten Zeit-
alters nicht mehr ausgereicht, um auch dieses einst
so überreich angebaute, damals aber obendrein noch
durch den Makel der Minderwertigkeit, der Neben-
sächlichkeit gebrandmarkte Gebiet mit neuem Leben
zu erfüllen. So ist denn nicht wunderbar, daß auch
die Bewegung, die man die moderne nennt, deren
Bestreben es ist, wieder eine gesunde, auf natürlichen
Grundlagen ruhende Kunst zu schaffen, sich auch auf
diesem Gebiet als die letzte eingestellt, dann aber,
Kunstgewerbeblatt. N. F. XV. H. 7.
als sie sich hier eingestellt hat, mit einer Schnelligkeit
und einer allgemeinen Anteilnahme entwickelt hat,
wie auf keinem der anderen Gebiete. Es ist eben
schwer genug gewesen, hier, wo man am längsten
in Abhängigkeit von alten Traditionen gelebt hatte,
den Weg zur Freiheit zurückzufinden; doch, als er
einmal gefunden war, da drängte auch das längst
empfundene Bedürfnis derselben, sie aufs kräftigste
auszunützen. Gab es doch hier jetzt mehr nachzu-
holen als anderswo, und hatte doch auch hier die
schöpferische Kraft am längsten sich ausgeruht zu
neuen Taten.
Trotz alledem aber kann sich das vergangene
Jahrhundert rühmen, mag ihm die eigentlich schöpfe-
rische Kraft auf diesem Gebiet noch so sehr versagt
gewesen sein, daß ihm die Erkenntnis dieser traurigen
Lage nicht ganz gefehlt hat, und daß es wenigstens
einen Mann besessen hat, der einen großen Teil seiner
Lebenskraft daran gewandt hat, diese aufzudecken
und ihr ein Ende zu bereiten. Was Gottfried Semper,
dessen hundertster Geburtstag soeben an vielen
Stellen festlich begangen ist, mit seinem klassischen
Werk »Der Stil« geleistet hat, ist allgemein bekannt.
Es ist nicht nur eins der geistvollsten Werke, die die
deutsche Literatur besitzt, es kann auch eins der ein-
flußreichsten genannt werden. Denn dieses Buch ist
es eben gewesen, das zuerst der Menschheit wieder
«9
JARDINIERE VON SIEGFRIED WAGNER, KOPENHAGEN
GOTTFRIED SEMPER UND DIE MODERNE
RICHTUNG
ES kann kaum ein Zweifel sein, daß, blickt man
einmal später von einem Abstand, der weit
genug ist, um ein annähernd objektives Urteil
zu gestatten, auf das vergangene Jahrhundert zurück,
man kein Gebiet der Kunst finden wird, das sich so
wenig schöpferisch, so wenig selbständig, so wenig
geschmackvoll erweisen wird, wie das der dekorativen
Künste. Auf allen anderen Gebieten der bildenden
Kunst hat es, mag dies Jahrhundert sich auch hier noch
so spröde gezeigt haben, doch immerhin einige, wenn
auch einsame Größen gegeben, die zwar zu ihren
Leb- oder Blütezeiten nicht als solche erkannt, später
dafür aber um so sichtbarer emporgehoben worden
sind und jene Öde vergessen helfen, die sich sonst
im allgemeinen auch auf diesen Gebieten feststellen
läßt. Auf dekorativem Gebiete nichts dergleichen.
Es ist, als habe die kunstschöpferische Kraft dieses
künstlerisch so merkwürdig schwach begabten Zeit-
alters nicht mehr ausgereicht, um auch dieses einst
so überreich angebaute, damals aber obendrein noch
durch den Makel der Minderwertigkeit, der Neben-
sächlichkeit gebrandmarkte Gebiet mit neuem Leben
zu erfüllen. So ist denn nicht wunderbar, daß auch
die Bewegung, die man die moderne nennt, deren
Bestreben es ist, wieder eine gesunde, auf natürlichen
Grundlagen ruhende Kunst zu schaffen, sich auch auf
diesem Gebiet als die letzte eingestellt, dann aber,
Kunstgewerbeblatt. N. F. XV. H. 7.
als sie sich hier eingestellt hat, mit einer Schnelligkeit
und einer allgemeinen Anteilnahme entwickelt hat,
wie auf keinem der anderen Gebiete. Es ist eben
schwer genug gewesen, hier, wo man am längsten
in Abhängigkeit von alten Traditionen gelebt hatte,
den Weg zur Freiheit zurückzufinden; doch, als er
einmal gefunden war, da drängte auch das längst
empfundene Bedürfnis derselben, sie aufs kräftigste
auszunützen. Gab es doch hier jetzt mehr nachzu-
holen als anderswo, und hatte doch auch hier die
schöpferische Kraft am längsten sich ausgeruht zu
neuen Taten.
Trotz alledem aber kann sich das vergangene
Jahrhundert rühmen, mag ihm die eigentlich schöpfe-
rische Kraft auf diesem Gebiet noch so sehr versagt
gewesen sein, daß ihm die Erkenntnis dieser traurigen
Lage nicht ganz gefehlt hat, und daß es wenigstens
einen Mann besessen hat, der einen großen Teil seiner
Lebenskraft daran gewandt hat, diese aufzudecken
und ihr ein Ende zu bereiten. Was Gottfried Semper,
dessen hundertster Geburtstag soeben an vielen
Stellen festlich begangen ist, mit seinem klassischen
Werk »Der Stil« geleistet hat, ist allgemein bekannt.
Es ist nicht nur eins der geistvollsten Werke, die die
deutsche Literatur besitzt, es kann auch eins der ein-
flußreichsten genannt werden. Denn dieses Buch ist
es eben gewesen, das zuerst der Menschheit wieder
«9