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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

DOI Artikel:
Plehn, Anna L.: Neue Gruppe Berlin
DOI Artikel:
Widmer, Karl: Zum Wesen der modernen Kunst: Streiflichter
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0039

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ZUM WESEN DER MODERNEN KUNST

solen beobachten. Hier mag man Schaudt seine
Entlehnungen nachweisen. Die Türen der oberen
Schrankfächer, als der den Augen am meisten zu-
gängliche Teil des gesamten Mobiliars, trägt den
reichsten Zierat. Das schlängelnde Blattornament
verdeckt die Pilaster, die nicht die obere Fläche
tragen sollen (denn das tun die Schrankwände), sondern
die nur spielend schmücken. Neben diesen stilisierten
Naturformen stehen die mehr realistischen Schnitzereien
auf den Mittelpunkten der Türen. Jagdtiere, die, an
dieser Stelle gebräuchlich, so fest zusammengedrängt
sind, daß sie zu Medaillons werden. Ihre Reihung
macht sie völlig zum Ornament.

Die Stickereien im Herrenzimmer sind von Mar-

garete Heibig ausgeführt, die im Speisezimmer von
Frau Böhland. Die Portiere ist in Aufnäharbeit mit
Hilfe der Maschine ausgeführt, der Läufer dagegen
eine Kombination von Maschinen- und Handarbeit.
Die Ornamente bilden hier die Umrahmung für glatte
Stofffelder, durch deren regelmäßige Anordnung den
Gefäßen ihre Plätze bestimmt angewiesen sind. Auch
braucht man nun keine Schüssel auf die Erhöhungen
der Stickerei zu stellen, die, wenn auch nur unbedeutend
der Ausdehnung nach, doch in Bezug auf ihren
Sinn verlangen, daß man sie respektiert und ihnen
nicht ohne weiteres ein Gefäß auf den Kopf stellt.
Auch in diesem Punkte sollten wir anfangen fein-
fühliger zu werden. ANNA L. PLEHN.

MUSIKZIMMER, TEPPICH, ENTWURF: R. BOHLAND, AUSFÜHRUNG: RUDOLF HERZOO

ZUM WESEN DER MODERNEN KUNST

STREIFLICHTER VON PROFESSOR KARL WIDMER (KARLSRUHE)

ES wäre eine vergebliche Pedanterie, den beweg-
lichen und tausendgestaltigen Proteus »Moderne
Kunst« in dem engen Netz einer Definition
einfangen zu wollen. Nur mit dem Gefühl kann
das Gemeinsame erfaßt werden, in dem diese schil-
lernde Unendlichkeit von Gegensätzen zu einer Ein-
heit aufgeht. Faßt schon eine einzige Persönlichkeit
von der Universalität Böcklins eine ganze Welt künst-
lerischer und menschlicher Bekenntnisse in sich. Wie
erst, wenn wir die ganze Linie der Modernen mustern.
Wie äußern sich da die Gegensätze der Weltanschau-
ung in Erscheinungen, die sich wie Pol und Pol
gegenüberstehen, und sich doch in demselben ge-
heimnisvollen Zusammenhang einer gemeinsamen
Kulturverwandtschaft berühren, sich als konträre, nach
zwei Richtungen divergierende Strahlen desselben Zeit-

und Kunstgeistes manifestieren: die altmeisterlich-
mythische Subjektivität eines Malerpoeten wie Thoma
und Manets weltlich positiver Realismus, die phan-
tastische Ideensymbolistik Klingers und Leibls kon-
krete, rein auf die vollendetste Wiedergabe der ma-
lerischen Erscheinung gerichtete Kunstanschauung.
Und all die verschiedenen Standpunkte, die Natur
selbst zu sehen und darauf das Prinzip der künst-
lerischen Darstellungsweise zu basieren: die strengen
Zeichner und die Impressionisten, die Monumentalen
und die Kleinmeister, die Stilmenschen und die Natu-
ralisten. Sie alle sind vertreten in der großen Ge-
meinde der modernen Kunst, und man sieht, wie
töricht es ist, das Wesen derselben in irgend einer
»Richtung« oder Parteischablone zu suchen. Das
Leben als Objekt der Kunst ist unerschöpflich an
 
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