HEDWIG STÖLTINQ, SCHLIESTEDT, AUF SEIDE GEMALTER FÄCHER
DER MODERNE FÄCHER
MARGARETE ERLER-BERLIN
DURCH den großen Umschwung, welcher sich
in den letzten Jahrzehnten in der Kunst und
im Kunstgewerbe vollzogen hat, ist auch in
den breiteren Kreisen eines denkenden Publikums
immer mehr die Überzeugung zum Durchbruch ge-
langt, daß es wohl an der Zeit sei, aufzuräumen
mit der gedankenlosen Nachahmung der Stile ver-
gangener Zeiten und an deren Stelle eigenes persön-
liches Empfinden und Schaffen zu setzen, wie es sich
in der heutigen modernen Richtung betätigt.
Sichfreimachen von beengender Tradition, Sich-
vertiefen in das Studium der Natur, um aus ihr
heraus Gedanken und Kräfte zu entwickeln, die zu
eigenem Leben in der Kunst führen, zweckdienliches
Schaffen auf den Gebieten der angewandten Kunst
bei sinngemäßer Beherrschung des Materials, das sind
die Leitmotive jener ersten Pioniere auf den neuen
Bahnen. Ihnen ist es zu danken, daß die Kunst sich
nunmehr immer inniger mit dem Handwerk verbindet,
und somit durch wechselseitigen Austausch der Ideen
dem Künstler wie dem Handwerker unschätzbare
Vorteile erwachsen. Die Fortschritte, welche heute
durch das Zusammenwirken der schöpferischen Idee
des Künstlers mit der Geschicklichkeit des Hand-
werkers und der verständnisvollen Mitarbeit der
Industrie erzielt werden, müssen auch dem Gleich-
gültigen einleuchten. Jetzt stehen die Begründer
einer neuen, zielbewußten Epoche des Kunsthandwerks
nicht mehr einsam und unverstanden, die Morris und
Ashbee in England, die Olbrich, Eckmann in Deutsch-
land, sie haben ihrer würdige Mithelfer gefunden.
Die großen Fabrikanten, die zu gewinnen wohl am
schwersten war, nachdem sie sich aus Scheu vor dem
Kunstjjewerbeblatt. N. F. XV. H. 12
finanziellen Risiko lange dem Neuen verschlossen
hatten, sie haben längst eingesehen, daß auch für
sie die Zeit gekommen sei, mit dem alten Schlendrian
zu brechen, und jetzt treibt sie die Konkurrenz immer
eiliger dem Ziel entgegen, welches der Künstler von
Anfang an erstrebt hatte, der Befruchtung des Hand-
werks und der Industrie durch künstlerische Taten.
Der Fabrikant, der Großindustrielle, der sich mit dem
Künstler zu gleichen Zwecken verbindet, ist nicht
mehr eine Einzelerscheinung. Das Schwerste ist getan,
die alten überlebten und daher leblos gewordenen Kunst-
begriffe sind teils überwunden, teils stark erschüttert;
die Augen sind für das Neue geöffnet, ein lebendig
pulsierendes Schaffen bringt in schneller Folge einen
Reichtum der Leistungen auf den Markt, daß der
Interessent Mühe hat, den Erscheinungen zu folgen.
Die moderne Richtung läßt sich nicht mehr aufhalten
auf ihrem Siegeszug trotz aller Anfeindungen, trotz
aller Nebensprünge, Verirrungen und Mißverständ-
nisse, die ja bei einem neuen Werden niemals aus-
bleiben können. Manches ist schon erreicht, aber
unendlich vieles bleibt noch zu tun übrig.
Wie weit entfernt ist noch immer das Publikum
von der Erkenntnis, daß die Kostbarkeit des Materials
nicht das Entscheidende für die Bewertung eines Ge-
brauchs- oder Luxusgegenstandes ist, daß es vielmehr
in erster Linie darauf ankommt, inwieweit der Künstler
verstanden hat, sich einem gegebenen Material, sei
es ein schlichtes oder kostbares Gut, in Form, Farben-
harmonie und Rhythmus der Linien dergestalt anzu-
passen, daß es zum Ausdrucksmittel seiner künstlerischen
Sprache wird. Die künstlerische Behandlung adelt
auch den schlichten und wohlfeilen Gegenstand, un-
34
DER MODERNE FÄCHER
MARGARETE ERLER-BERLIN
DURCH den großen Umschwung, welcher sich
in den letzten Jahrzehnten in der Kunst und
im Kunstgewerbe vollzogen hat, ist auch in
den breiteren Kreisen eines denkenden Publikums
immer mehr die Überzeugung zum Durchbruch ge-
langt, daß es wohl an der Zeit sei, aufzuräumen
mit der gedankenlosen Nachahmung der Stile ver-
gangener Zeiten und an deren Stelle eigenes persön-
liches Empfinden und Schaffen zu setzen, wie es sich
in der heutigen modernen Richtung betätigt.
Sichfreimachen von beengender Tradition, Sich-
vertiefen in das Studium der Natur, um aus ihr
heraus Gedanken und Kräfte zu entwickeln, die zu
eigenem Leben in der Kunst führen, zweckdienliches
Schaffen auf den Gebieten der angewandten Kunst
bei sinngemäßer Beherrschung des Materials, das sind
die Leitmotive jener ersten Pioniere auf den neuen
Bahnen. Ihnen ist es zu danken, daß die Kunst sich
nunmehr immer inniger mit dem Handwerk verbindet,
und somit durch wechselseitigen Austausch der Ideen
dem Künstler wie dem Handwerker unschätzbare
Vorteile erwachsen. Die Fortschritte, welche heute
durch das Zusammenwirken der schöpferischen Idee
des Künstlers mit der Geschicklichkeit des Hand-
werkers und der verständnisvollen Mitarbeit der
Industrie erzielt werden, müssen auch dem Gleich-
gültigen einleuchten. Jetzt stehen die Begründer
einer neuen, zielbewußten Epoche des Kunsthandwerks
nicht mehr einsam und unverstanden, die Morris und
Ashbee in England, die Olbrich, Eckmann in Deutsch-
land, sie haben ihrer würdige Mithelfer gefunden.
Die großen Fabrikanten, die zu gewinnen wohl am
schwersten war, nachdem sie sich aus Scheu vor dem
Kunstjjewerbeblatt. N. F. XV. H. 12
finanziellen Risiko lange dem Neuen verschlossen
hatten, sie haben längst eingesehen, daß auch für
sie die Zeit gekommen sei, mit dem alten Schlendrian
zu brechen, und jetzt treibt sie die Konkurrenz immer
eiliger dem Ziel entgegen, welches der Künstler von
Anfang an erstrebt hatte, der Befruchtung des Hand-
werks und der Industrie durch künstlerische Taten.
Der Fabrikant, der Großindustrielle, der sich mit dem
Künstler zu gleichen Zwecken verbindet, ist nicht
mehr eine Einzelerscheinung. Das Schwerste ist getan,
die alten überlebten und daher leblos gewordenen Kunst-
begriffe sind teils überwunden, teils stark erschüttert;
die Augen sind für das Neue geöffnet, ein lebendig
pulsierendes Schaffen bringt in schneller Folge einen
Reichtum der Leistungen auf den Markt, daß der
Interessent Mühe hat, den Erscheinungen zu folgen.
Die moderne Richtung läßt sich nicht mehr aufhalten
auf ihrem Siegeszug trotz aller Anfeindungen, trotz
aller Nebensprünge, Verirrungen und Mißverständ-
nisse, die ja bei einem neuen Werden niemals aus-
bleiben können. Manches ist schon erreicht, aber
unendlich vieles bleibt noch zu tun übrig.
Wie weit entfernt ist noch immer das Publikum
von der Erkenntnis, daß die Kostbarkeit des Materials
nicht das Entscheidende für die Bewertung eines Ge-
brauchs- oder Luxusgegenstandes ist, daß es vielmehr
in erster Linie darauf ankommt, inwieweit der Künstler
verstanden hat, sich einem gegebenen Material, sei
es ein schlichtes oder kostbares Gut, in Form, Farben-
harmonie und Rhythmus der Linien dergestalt anzu-
passen, daß es zum Ausdrucksmittel seiner künstlerischen
Sprache wird. Die künstlerische Behandlung adelt
auch den schlichten und wohlfeilen Gegenstand, un-
34