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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Nordische Freiluft-Museen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0109
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102

NORDISCHE FREILUFT-MUSEEN

Empfinden dafür abhanden gekommen sei, daß man
nicht bloß nach Rezepten schafft, sondern auch mit
Rücksicht auf die Örtlichkeit, wo man baut. — In
Ferdinand Boberg hat Stockholm einen Architekten
von feinster Begabung. Seine Bauten beweisen, daß
er ein Bildner ist nicht bloß hinsichtlich des von
ihm Geschaffenen, sondern auch mit Rücksicht auf
die Umgebung, auf die Natur des Platzes, wo seine
Projekte zur Ausführung gelangen. Die Werke zahl-
reicher anderer Architekten, auch in Stockholm, lassen
nach dieser Seite hin viel, alles zu wünschen übrig.
Die »Verarmung« der Architektur ist eine allgemeine
Erscheinung, deren Zunehmen sich dank der Starrheit
der Lehrsysteme nicht leugnen läßt, tritt sie doch bei
den größten Aufgaben in immer erschreckenderem
Maß zutage. Um so wohltuender berühren die
seltenen Gebilde dieser Kunst, wo mit Hinansetzung
jeder akademischen Stilfrage in erster Linie die Wir-
kung der Baumasse, in zweiter erst das feine, nirgends
sich vordrängende Detail in Berücksichtigung gezogen
wurde. Das trifft bei Bobergs Schöpfungen zu. Ihm
ist Architektur Aufbau, Bewegung der Masse, die nach
notwendigen Gesichtspunkten angeordnet des Details
bedürftig ist, ebenso wie das Gewand der verzierten
Naht. Er versteht es, die Einzelheit mit dem Ge-
schmack des wählerischen Künstlers zu beleben; er
ist gegen keine künstlerische Tat der Vergangenheit
etwa unempfindlich wie so manche, die um »modern«
zu scheinen, alles Dagewesene über Bord geworfen
wissen wollen — aber er macht nichts nach, trotzdem
er an den Gebilden der Vergangenheit studiert. In ihm
verkörpert sich ein Stück des geistig allseits frischen
Lebens, das in den skandinavischen Ländern pulsiert
und den Beweis erbracht hat, daß nicht Machtstellung
allein die erste Grundbedingung echter Kultur sei.
Diesen ausdrucksvollen Werken eines neuzeitlichen
und selbständigen Baukünstlers stehen in den drei
skandinavischen Reichen, in Schweden speziell, andere
Anlagen gegenüber, welche berufen erscheinen, der
Geschichte der Entwicklung des räumlichen Denkens
eine gesundere Grundlage zu schaffen, als sie durch
das allzufrühe Bekanntwerden mit den klassischen
Formen der Architektur ermöglicht wird. Nicht der
künstlerische Wert dieser Anlagen ist das ausschlag-
gebende Moment, sondern der Umstand, daß sie
zeigen, wie eng verwoben Menschheitsgeschichte und
Baukunst sind.

Außerhalb des geschäftigen Treibens der Kais,
mit dem Festlande durch eine Brücke verbunden,
liegt, dicht bei Stockholm, rings von Wasser um-
geben, ein langgestreckter, vielgliederiger, zum Teil
schroff abfallender, zum Teil muldenförmig sich sen-
kender, mehrere Kilometer langer und über einen
Kilometer breiter Felsrücken, der Djurgarden, stellen-
weise mit ursprünglichem Walde bedeckt, anderen-
teils mit Gärten, mit Promenaden, manchenorts
auch mit baulichen Anlagen verschiedener Art ver-
sehen, unter denen eine große Reihe von Ver-
gnügungslokalitäten, Theater, Konzert- und Tanzsäle,

Cafe chantants usw. für die lebensfrohe Stockholmer
Bevölkerung keine unbedeutende Rolle spielen.

Das ist eine Welt für sich. Droben, auf dem
felsigen Plateau der Insel — es heißt Skansen, die
Schanze — ist eine andere Ansiedelung, deren Be-
deutung nicht bloß für Stockholm und Schweden
in die Wagschale fällt, sondern für die ganze Welt,
innerhalb deren man der Kulturgeschichte mit wahrem
großem Verständnisse entgegenkommt. Dort liegt
das »Freilufi-Museum«, wie sein Begründer es ge-
nannt hat zum Unterschiede von Anlagen, in denen
alles wohlverwahrt in Zimmern und Sälen aufge-
speichert und jedweder Berührungspunkt mit den
begleitenden Entstehungsmotiven verloren gegangen
ist. — Natürlicherweise kann nicht alles Aufbewahrens-
werte in jenem Zusammenhange gezeigt werden, der
ursprünglich Einzelheiten verschiedener Art zu ge-
meinsamen Zwecken einigte; die Aufstellung von
Einzelobjekten wird immer eine Notwendigkeit bleiben,
wo dieselben ihrem eigentlichen Zwecke und Dienst
entfremdet, nicht mehr Gebrauchsgegenstände sind,
sondern zuerst Handelsware, dann Sammlungsgegen-
stand wurden, bewertet nach materiellem Bestände und
der technischen Art der Bearbeitung, eingereiht end-
lich nach der Qualitätsbeurteilung, nach der Schule,
nach dem »Typus«.

Das Sammeln nach Qualität ist bezeichnend für
die fein abwägende gebildete Liebhaberei; der erst in
neuerer Zeit vielfach maßgebend gewordene histo-
rische oder technologische Standpunkt hat wissen-
schaftliche Unterlage. Er schuf die Entwickelungs-
reihen, die Kenntnis der historischen Aufeinander-
folge der Formen, die kunstgeschichtliche Auffassung
der Arbeit, die Erklärung der Rohstoffbearbeitung.
Damit ist manches erreicht, keineswegs aber in allen
Fällen Klarheit darüber geschaffen, welche Bedeutung
der Summe dieser Dinge in einem größeren Haus-
halt, im Haushalte eines ganzen Volkes zukam. Die
Kunstmuseen vermögen ihrer weitaus größeren Zahl
nach dem Laien die richtige Vorstellung darüber
nicht zu erwecken, in welchem Verhältnisse die in
ihren Räumen aufgestapelten Materialien mit der all-
gemeinen Kulturentwickelung stehen. Das Sammlungs-
objekt ist aus der Aktivität in den Zustand der Unter-
suchung geraten, selten zum Ausgangspunkte erfreu-
licher neuer Arbeiten, viel öfter Grund zum Ent-
stehen recht zweifelhafter Leistungen geworden. Für
jeden Einsichtigen stehen doch diesen Dingen zu
sehr die eigenartigen Entstehungsbedingungen auf
der Stirn geschrieben, als daß man sie vernünftiger-
weise einer Zeit mit vielfach ganz neuen technischen
Hilfsmitteln, mit wesentlich anders gearteten Lebens-
verhältnissen und Anforderungen ohne weiteres an-
gliedern könnte. Die Museen als Fundgruben für
Produkte der modernen Technik ansehen, heißt ihren
Zweck vollständig verkennen. Dem Gebildeten mögen
sie Anregung in reichem Maße spenden, dem Un-
gebildeten aber können sie geradezu gefährlich wer-
den. Was hat nicht das mißverstandene Ausschlachten
des Formenschatzes der Vergangenheit schon für Un-
heil gestiftet!
 
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