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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

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Pabst, Arthur: Beobachtungen über gewerbliche Erziehung und praktischen Unterricht in den Schulen der Vereinigten Staaten von Nordamerika: Nach einem Vortrage, gehalten im Kunstgewerbeverein zu Leipzig am 31. Januar 1905
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https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0203
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196 BEOBACHTUNGEN ÜBER GEWERBLICHE ERZIEHUNG UND PRAKTISCHEN UNTERRICHT

zeichnen und technisches Zeichnen, Illustration und
angewandtes Zeichnen sowie Modellieren. Ferner
sind Klassen für Stenographie und Maschinenschreiben,
für Telegraphie, Verwaltungskunde, Vortragskunst und
ähnliche Unterrichtsgebiete vorhanden. Die Gesamt-
schülerzahl der Anstalt beträgt etwa 3400. Schulgeld
wird nicht erhoben. Mit der Anstalt ist ein Kunstge-
werbemuseum und eine öffentliche Bibliothek ver-
bunden. Ferner werden unentgeltlich öffentliche Vor-
träge gehalten, die von etwa 130000 Personen im
Jahre besucht werden und sich auf alle Gebiete der
Wissenschaft, Technik und Kunst erstrecken.

Eine sehr bedeutende Schule ist das Pratt Institute
in Brookfyn-New York. Auch dieses Institut verdankt
seine Entstehung der privaten Initiative. Die Kosten
der Herstellung der sechs Gebäude, die den Schulzwecken
dienen, haben nahezu 11/4 Millionen Dollar betragen,
die Kosten der jährlichen Unterhaltung belaufen sich
auf 25000 Dollar. Die Schule gibt eine allgemeine
wissenschaftliche, künstlerische und handwerklich-tech-
nische Erziehung. Sie gliedert sich in eine High
School, in Abteilungen für Kunstunterricht, für weib-
liche Handarbeiten, für Haushaltungsunterricht, für
Wissenschaft und Technik, sowie Klassen für die
Ausbildung von Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen und
Bibliotheksbeamtinnen. Werkstätten für die Bearbeitung
von Metall und Holz, für Modellieren und Maschinen-
bau, sowie Räume und Einrichtungen für den Betrieb
aller anderen praktischen Fächer, namentlich auch
Laboratorien für den naturwissenschaftlichen Unter-
richt sind ausreichend vorhanden. Das Institut wurde
im letzten Jahre von etwa 3500 Schülern besucht.
Das Schulgeld beträgt in einzelnen Abteilungen bis
zu 75 Dollar, doch werden unbemittelten Schülern
viele Vergünstigungen gewährt.

Einen Beweis für die hohe Leistungsfähigkeit der
Schule bot die Ausstellung von Schülerarbeiten, die
in der Unterrichtsausstellung in St. Louis in einem
besonderen, sehr geschmackvoll eingerichteten Räume
untergebracht war, und die durch die Vielseitigkeit und
Gediegenheit der Techniken in verschiedenem Material
geradezu überraschte. Diese Ausstellung wurde in
interessanter Weise ergänzt durch eine Ausstellung
von Arbeiten der Lehrer des Institutes, die zur Zeit
meines Besuches in der Schule zu sehen war und
einen großen Oberlichtsaal in dem Bibliotheksgebäude
nebst einigen Nebenräumen füllte. Sie enthielt
neben zahlreichen Öl- und Aquarellmalereien, Skul-
pturen und architektonischen Entwürfen namentlich
vortreffliche kunstgewerbliche Arbeiten in Holz, Stein
und Metall, die die bemerkenswerten künstlerischen
Qualitäten der Lehrer des Institutes erkennen ließen.

In ähnlicher Weise wie in New York im Pratt
Institut sind auch in anderen amerikanischen Städten
die kunstgewerblichen Fachschulen Abteilungen großer
Institute, die der künstlerischen, wissenschaftlichen
und technischen Ausbildung im weitesten Umfange
dienen. Derartige Institute sind in allen Großstädten
und oft auch in kleineren Orten durch reiche Stif-
tungen ins Leben gerufen worden und stehen in hoher
Blüte. Als Beispiele seien genannt das Lewis In-

stitute und das Armour Institute in Chicago, das
Bradley Polytechnic Institute in Peoria (im Staate
Illinois) und das Drexel Institute in Philadelphia. Bei
der großen Freiheit, der sich alle Schulen in ihrer
Organisation und in der Ausbildung ihrer Lehrmethoden
erfreuen, sind sie selbstverständlich unter sich sehr
verschieden, und auch innerhalb der einzelnen Schulen
herrschen große Verschiedenheiten in der Methode
und in den Leistungen je nach der Qualifikation der
Lehrkräfte. Manche arbeiten nach modernen Prin-
zipien, andere bewegen sich im Unterrichte in den
hergebrachten Formen und beschränken sich bei den
Entwürfen auf die Benutzung der alten Stilarten. In
allen Schulen aber steht der Zeichenunterricht aus-
nahmslos in enger Verbindung mit der Werkstattarbeit
und empfängt dadurch die fruchtbarsten Anregungen. Im
allgemeinen kann also von einer Rückständigkeit dieser
Schulen, wenn man sie mit unseren deutschen An-
stalten vergleicht, keine Rede sein. Ihre Lehrer sind
auch vielfach in den besten deutschen und englischen
Schulen (z. B. in Karlsruhe und in der South Ken-
sington-Schule in London) ausgebildet worden und
arbeiten selbstverständlich nach den Grundsätzen, die
das Kunstgewerbe in Europa groß gemacht haben.
Die Schüler, die zum Teil dem weiblichen Geschlechte
angehören, sind von größtem Eifer erfüllt und zeigen
fast durchweg die praktische Begabung und große
Anstelligkeit, die nun einmal als eine Eigentümlichkeit
des Amerikaners anerkannt werden muß. So herrscht
im ganzen zweifellos nicht nur ein freudiges Streben,
sondern auch eine so entschiedene Richtung zum
Fortschritt in künstlerischer Beziehung, daß die Er-
folge auch in der Praxis des Kunstgewerbes nicht
ausbleiben werden. Wenn gegenwärtig noch in
vielen amerikanischen Fabriken europäische Zeichner
und Werkführer unentbehrlich sind, so wird doch in
absehbarer Zeit der Bedarf an solchen Kräften aus
dem eigenen Nachwüchse des Landes gedeckt werden
können.

Auf einige von mir besuchte Schulen soll noch
etwas näher eingegangen werden.

Das Drexel-Institute in Philadelphia wurde vor
etwas mehr als 10 Jahren mit einem Kapital von
3 Millionen Dollar begründet. Die Schule umfaßt
nicht weniger als 18 Abteilungen für alle Zweige des
wissenschaftlichen, technischen und Kunstunterrichts,
in denen nahezu 100 Lehrer tätig sind.

Eine Bibliothek und ein Museum von zum Teil
sehr wertvollen Kunstgegenständen sowie eine Ge-
mäldegalerie sind mit der Schule verbunden, deren
jährliche Unterhaltungskosten 140000 Dollar betragen.
Die Einrichtung der Laboratorien, Werkstätten, Küchen,
Turnhallen usw. ist überaus gut und praktisch. Beim
Besuche der Schule hat man in vielen Abteilungen
den Eindruck einer Anstalt, die in bezug auf ihre
Organisation einem guten kaufmännischen Geschäfte
nachgebildet ist. Das Sekretariat, die Bibliotheksver-
waltung, die Ausgabe von Cheks und anderes er-
innern ebenso an ein kaufmännisches Geschäft, wie
ein in einem Räume der Schule eingerichteter Laden,
in dem die Schüler alle ihre Bedürfnisse an Schul-
 
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